LOIRE
Mit rund 1.000 Kilometern ist die Loire Frankreichs längster Fluss. Im Gegensatz zum Rhein ist die Loire aber nicht begradigt. So mäandert sie bis heute durch eine Landschaft, in der an rund 400 Flusskilometern Wein angebaut wird. Pouilly und Sancerre, die Touraine, Saumur, Anjou und das Nantais sind die wichtigsten Regionen. Sauvignon Blanc, Chenin Blanc, Cabernet Franc und Melon de Bourgogne a.k.a. Muscadet die Hauptrebsorten. Es ist eine Landschaft mit uralten Orten und vielen Schlössern. Es ist gleichzeitig eine Landschaft, in der einige der spannendsten Weine Frankreichs entstehen.
FRÜHER VIEL SÜSS, HEUTE MEHR TROCKEN
Weinbau gibt es an der Loire sicher seit 2.000 Jahren. Aber so richtig in Fahrt kam er erst ab dem 11. Jahrhundert. Man weiß, dass der süße Wein von der Loire schon damals in die Niederlande, nach England und auch nach Skandinavien verkauft wurde. Abnehmer waren vor allem die Königshöfe und deren Vasallen. Im 12. Jahrhundert legten die Zisterzienser einen der berühmtesten Weinberge an, den Coulée de Serrant in der heutigen Appellation Savennières im Anjou. Der Weinberg gehört bis heute zu den ganz wenigen, die als Appellation nur einen einzelnen Weinberg umfassen. Dass der Wein von der Loire so erfolgreich war, hat natürlich viel damit zu tun, dass Generationen von Königen und Adeligen an die Loire in die Sommerfrische fuhren. Sie bauten dort mehr als 400 Schlösser. Eines davon, Chambord, wurde sogar von Leonardo da Vinci mit entworfen, den der damalige König nach Blois eingeladen hatte. Dort verstarb Leonardo auch 1519. All diese Schlösser, der Hofstaat, die vielen Günstlinge und Gäste der Könige und Adeligen erhielten von den vielen Weingärten ihren Wein. Und es gab reichlich Wein, vor allem Süßwein aus Bonnezeaux, Quarts-de-Chaume und Coteaux du Layon sowie Brézé. Die Weißweine aus der Rebsorte Chenin Blanc gehörten zu den bekanntesten in der Renaissance. Mit der Zeit aber veränderte sich der Geschmack, die Weine wurden trockener und die Loire vielfältiger. Beispielsweise gibt es eine Tradition von Crémant und Pétillant Naturel, von restsüßem Rosé, Chenin Blanc in allen Varianten und Cabernet Franc. Der Sauvignon Blanc spielt erst seit einem halben Jahrhundert eine bedeutendere Rolle, während der Gamay deutlich zurückgedrängt wurde. Doch fangen wir am besten von vorne an.
VON DER ARDÈCHE BIS SANCERRE
Die Loire entspringt in Sainte-Eulalie in den Monts d’Ardèche. Das ist nicht weit von der Rhône und von Montelimar entfernt. Sie fließt von dort aus in entgegengesetzter Richtung zur Rhône. Am Oberlauf der Loire gibt es nur wenig Weinbau. Die bekanntesten Appellationen sind die Côtes du Forez und die Côtes Roannaises westlich von Lyon, wo vor allem Gamay angebaut wird. Bei Orléans macht die Loire einen Schlenker in Richtung Atlantik. Doch schon kurz vorher wird es bereits interessant. Rund 150 Flusskilometer hinter den Côtes du Forez befinden sich die Appellationen Menetou-Salon, Pouilly-Fumé und Sancerre. Vor allem die beiden letzten haben seit den 1960er Jahren eine beachtliche Karriere hingelegt. Vor dem Zweiten Weltkrieg dominierte die Rebsorte Gamay. Mit dem Anbau von Sauvignon Blanc hat man sich dann ab den 1950er Jahren gleichsam neu erfunden. In Pouilly auf der rechten Seite der Loire hat man vollständig auf Sauvignon Blanc gesetzt, in Sancerre und Umgebung gibt es hingegen noch ein wenig hochklassigen Pinot Noir. Entscheidend für die Wahl der Rebsorten waren die Böden der Region, die Terres blanches, die Caillottes und der Silex. Die Terres blanches sind verwitterter Kalkmergel mit einem hohen Anteil an versteinerten Austern und einem kleinen Anteil an eisenhaltigem Glimmer. Die Caillottes liegen unterhalb der Terres blanches. Sie sind geprägt von Calcaire à Astéries, fossilen Seesternen, sowie dem Calcaire de Tonnerre, einem ursprünglich sehr harten Kalk, der zu einem schwammähnlichen porösen Kalk verwittert ist. Dann gibt es noch den Silex. Das ist Kimmeridge-Boden mit Feuerstein- bzw. Quarzanteilen und ein wenig Eisensandstein, der teilweise in Sancerre, vor allem aber in Pouilly vorkommt, weshalb man den Weinen einen rauchigen Charakter zuschreibt und sich die Bezeichnung Pouilly-Fumé durchgesetzt hat. Diese beiden Regionen haben lange im Alleingang den Standard für reinsortige Sauvignon Blancs gesetzt. In den 2000ern kam dann der neuseeländische Marlborough-Sauvignon auf, der mit seiner ganz anderen Stilistik ordentlich Konkurrenz machte. Außerdem hat sich der Sauvignon Blanc aus der Südsteiermark etabliert. Konkurrenz belebt das Geschäft. Entsprechend haben auch die Top-Erzeuger aus Sancerre und Puilly-Fumé nachgelegt. Sehr begehrt sind auch Sancerre Rosé und Sancerre Rouge – Cool-Climate-Pinot von der Loire.
DIE TOURAINE – MEHR ALS SAUVIGNON BLANC
Wie der Name schon andeutet, umfasst die Touraine ein weitläufiges Gebiet um die Stadt Tours, aber auch um Amboise und Blois. In der Touraine gibt es die AOC Touraine, die für frischen und günstigen Sauvignon Blanc (80 %), für Chenin Blanc und ein wenig für Chardonnay bekannt ist. Aber auch Gamay, Côt (Malbec), Cabernet Franc und Pineau d’Aunis spielen eine Rolle. Sie wachsen auf Aubuis-Böden mit Lehm, Kalk und Kreide sowie auf den Perruches, die aus Lehm mit Silikatgestein bestehen. Doch in der Touraine gibt es noch bedeutend mehr zu entdecken. Weltberühmt sind die Chenin Blancs aus Vouvray und auch aus Montlouis, die zu 55 % als Schaumweine und zu 45 % als stille Weine von trocken bis hin zu Dessertweinen erzeugt werden. Bekannt sind auch die reinsortigen Cabernet Francs aus Chinon, Bourgueil und Saint-Nicolas-de-Bourgueil. Die besten Weine stammen meist vom Tuffeau, einem besonders feinporigen hellen Kalkmergel, aus dem auch die meisten Schlösser errichtet wurden. Zudem birgt die Touraine viele seltene Rebsorten, von denen der Romorantin aus Cour-Cheverny wahrscheinlich die bekannteste ist.
SAUMUR UND ANJOU, DER WEISSE UND DER SCHWARZE STEIN
Weiter flussaufwärts bei Saumur verbindet sich der Tuff mit Kalk. Saumur ist die Kapitale des Crémants von der Loire. Doch der Chenin Blanc wird nicht nur für Crémant genutzt. In Saumur entstehen von Kalk geprägte sehr lineare und druckvolle Chenins, vor allem auch in Brézé. Der 28 ha große Weinberg von Schloss Brézé war einst einer der bekanntesten an der Loire, fiel aber zeitweilig der Vergessenheit anheim. Heute werden seine Weine wieder geschätzt, sie sind rar und gesucht. Saumur und vor allem Saumur-Champigny sind außerdem bekannt für ihre kraftvollen und zugleich feinen alterungswürdigen Cabernet Francs. Der Boden von Saumur ist von weißem Stein geprägt ist, der Boden rund um Angers im Anjou hingegen von schwarzem Schiefer, aber auch von sogenanntem Puddingstein und in Teilen auch von Urgesteinsböden und Vulkangestein. Das Anjou war durch die Jahrhunderte bereits durch die erwähnten Süßweine aus Bonnezeaux, Chaume, Quarts-de-Chaume und Coteaux-du-Layon bekannt. Im Laufe der Zeit wurde im Anjou zudem immer mehr Rosé erzeugt, und zwar trockener Cabernet d’Anjou und restsüßer Rosé d’Anjou. Dieser restsüße Rosé ist eine Besonderheit, die außerhalb Frankreichs kaum bekannt ist. Dafür wird mittlerweile sehr genau wahrgenommen, was sich im Layon-Tal in Bezug auf trockene Chenins tut; denn in der einstigen Süßwein-Hochburg haben sich eine ganz Reihe von Natural-Wine-Winzern angesiedelt, die sehr raren und gefragten Stoff erzeugen. Einige der frühen Protagonisten der Bewegung der vins vivants, also der Weine mit möglichst wenig Intervention und wenig Schwefel, kommen von der Loire, ebenso die Pet Nats, die Schaumweine, die in den Szenebars von Paris und anderen Großstädten ausgesprochen angesagt sind. Neben Chenin Blanc und Cabernet Franc findet man im Anjou zudem recht viel Cabernet Sauvignon, ein wenig Pineau d’Aunis und Grolleau. Diese beiden roten Sorten sind ausschließlich an der Loire beheimatet, werden meist für Cuvées verwendet, aber überzeugen immer häufiger auch als reinsortige Weine.
AUFBRUCH IM NANTAIS
Solche Individualisten wie im Layon-Tal findet man immer häufiger im Nantais, der Landschaft rund um Nantes, in der die Loire dann auch in den Atlantik mündet. In diesem atlantischen Klima fühlt sich vor allem der Melon de Bourgogne, besser bekannt als Muscadet, sehr wohl. Die Sorte kommt eigentlich aus dem Auxerrois, also aus dem Burgund, wie der Name schon sagt, aber dort findet man sie kaum noch. Im Muscadet-Gebiet hat die Rebsorte auf den dortigen Granit- und Gneisböden mit den vielen weiteren Einsprengseln von Schiefer, Gabbro, Glimmerschiefer oder Orthogneis ihre Heimat gefunden. Der Melon de Bourgogne gehört bis heute zu den hoffnungslos unterschätzen Rebsorten. Er galt und gilt als der passende Wein zu den Meeresfrüchte-Platten und Muschelgerichten am nahen Atlantik. Doch was oft übersehen wird, ist die Reifefähigkeit dieser Sorte, die nach fünf oder zehn Jahren immer komplexer und feiner wird. Neben dem Muscadet haben sich in den letzten Jahren immer mehr weitere Sorten etabliert. Die einfache Folle Blanche ist schon lange dort, aber Chenin Blanc, Chardonnay und Cabernet Franc wandern langsam aus dem Anjou ins Nantais. Auch der Gamay wird inwischen gesichtet und auch der Abouriou. Die Loire, so lieblich die Landschaft wirkt und so traditionsbeladen der Weinbau dort auch sein mag, ist eine Region, in der so viel Innovation stattfindet und so viel individueller Weinbau wie kaum irgendwo sonst in Frankreich. Es gibt ausgesprochen viele Winzer, die nur Vin de France erzeugen, also offiziell die niedrigste Stufe im Register. Sie tun es deshalb, weil sie sich allen Konventionen entziehen möchten, um genau das zu erzeugen, was sie gerne trinken möchten. Manchmal ist es schräg, manchmal ungewohnt, immer sehr individuell und nicht selten auch einfach groß.