WEIN AUS LATIUM
Latium bzw. Lazio, wie es im Italienischen heißt, ist eines der klassischen Weinanbaugebiete Italiens. Das liegt daran, dass Latium im Zentrum des Landes rund um Rom, der Ewigen Stadt, liegt. Außerdem grenzt Latium gleich an sechs weitere zentrale Regionen, nämlich an die Toskana, Umbrien, die Marken, die Abruzzen, Molise und Kampanien. Die Region war schon immer der wichtigste Produzent von frischen Nahrungsmitteln wie Gemüse und Obst, aber von auch von Getreide und Wein für die Hauptstadt. Insofern findet der Weinbau hier bereits seit vor Christus statt. In römischer Zeit war Latium vor allem bekannt für seine intensiv würzigen und mit Kräutern und Gewürzen versetzten Weißweine. Später wurde dann der Vorläufer des Frascati bekannt, eine Cuvée aus mindestens 70 % Malvasia Bianca di Candia und/oder Malvasia del Lazio sowie weiteren heimischen Sorten wie Bellone, Bombino oder Trebbiano. Das Problem Latiums aber kann man sehr gut am Frascati festmachen. Latium ist vor allem von industrieller Landwirtschaft geprägt. Der Weinbau ist stark auf Masse getrimmt, zu einem Drittel von Winzergenossenschaften organisiert und sehr international, also auch stark von internationalen Sorten beeinflusst. Bei Frascati fällt einem ja auch bis heute eher die Liter-Flasche ein, die man früher vom Pizzabäcker zu jeder größeren Bestellung als Zugabe erhielt. Die Region musste sich auch nie wirklich um eine internationale Reputation bemühen, weil eh fast alles, was produziert wurde, in Rom verkauft wurde.
BEWEGUNG ERFORDERT GEGENBEWEGUNG
Wo es Potential gibt und das Pendel stark in eine Richtung ausschlägt, gibt es meist auch irgendwann eine Gegenbewegung. Die kann man in der Region Latium seit gut zehn Jahren beobachten; denn dort, wo das Tyrrhenische Meer, wo Gebirge, vulkanische Böden und viel Sonne eigentlich für optimale Bedingungen sorgen, gibt es immer mehr Winzer, die diese Bedingungen nutzen, um authentische Weine zu erzeugen, die zudem biologisch und so natürlich wie möglich entstehen. Der Naturwein ist in Latium angekommen, und so gibt es in Rom längst eine Gastroszene, die solche Weine fordert. Und gerade Weine von vulkanischen Böden sind auch international sehr gefragt. Das zeigt der Erfolg von Weinen vom Ätna, aus Kampanien und auch aus Soave. Und Soave hatte einen ähnlich schlechten Ruf wie Frascati. Was ebenso im Trend liegt, ist die Suche nach alten Rebsorten, die der Authentizität noch mehr Genüge tun. Und da hat Latium viel zu bieten. Cesanese zum Beispiel, Bellone, Passerina und Nero Buono di Cori sind solche Rebsorten, von denen einige mehr oder weniger wiederbelebt wurden. Es gab sie oft nur noch in einigen alten Weinbergen.
Drei Anbaugebiete sind die treibenden Motoren der großen Veränderung in Latium: Frascati in Castelli Romani sowie Piglio und Frusinate südlich von Rom, Olevano Romano etwas weiter südöstlich und die vulkanischen Hänge um den Bolsena-See im Norden.
BACK TO THE ROOTS IN FRASCATI UND OLEVANO
Wenn man nur gewöhnlichen Frascati kennt, kann man es kaum glauben, dass es in der DOC auch einen Grand Cru geben kann. Doch es gibt Winzer, die am vulkanischen Monte Porzio daran arbeiten. Sie nutzen alte Malvasia Puttinata-Klone, arbeiten biodynamisch und bauen ihre Weine in großen Fässern aus Kastanienholz aus – ganz so, wie es früher üblich war. Neben dem Frascati wird in der Region auch der rote Cesanese wiederbelebt, vor allem in Olevano Romano und Umgebung, einer Region, die in den Ausläufern des Apennin und am äußeren Rand des Vulkans Monte Albano liegt. Der Boden dort ist geprägt von einer Mischung aus Vulkangestein, Kalkstein und rotem eisenhaltigen Ton. Und daraus können langlebige und komplexe Cesanese mit viel roter Frucht, Pfeffer und Floralität entstehen, ganz so wie in dem Weingut Abbia Nova, wo Cesanese d’Affile aus der 80 Jahre alten Cru-Lage San Giovanni verwendet wird. Bei Abbia Nova wird schon seit den 1980er Jahren biologisch und biodynamisch gearbeitet, und die Weine werden spontan vergoren, ungeschönt und ungefiltert teils in Amphoren, teils in Demijohns, teils im Edelstahl und in altem Holz ausgebaut.
AM RANDE DES KRATERSEES
Noch eine Region verdient Aufmerksamkeit; denn am Hang des Bolsena-Sees, eines Kratersees im erloschenen Monte Volsini im Norden Latiums, findet gleichsam eine Revolution statt. Viele junge Erzeuger bauen dort wieder die traditionellen Rebsorten wie Aleatico, Grechetto Rosso und Procanico a. k. a. Trebbiano Toscano an, um die traditionelle Weinkultur der Region wiederzubeleben. Auf der anderen Seite des Sees, in Montefiascone, liegt die Heimat des historischen Est! Est! Est!!! di Montefiascone DOC. Das ist der Wein, der dem Augsburger Bischof Johannes Fugger im Jahr 1111 so gut geschmeckt haben soll, dass er „Est!Est!!Est!!!“ im Sinne von „Das ist er!“ ausrief. Er soll fortan keinen anderen Wein mehr genossenen haben und sich an diesem Wein zu Tode getrunken haben. Sein Grab findet sich in Montefiascone. Auch hier gibt es mittlerweile Winzer, die den Est!Est!!Est!!! mit Procanico, Rossetto und Malvasia Bianca mit spontaner Gärung und ohne Schönung oder Filterung ausbauen. So etwas hat es vor zehn Jahren in Lazio noch nicht gegeben.