PIEMONT
Am Fuße der Berge lautet die Übersetzung von Piemont. Und die kann man wohl dem Savoyer Adel zuschreiben, der vom 11. bis zum 19. Jahrhundert dort geherrscht hat. Tatsächlich liegt Piemont zu Füßen der Alpen, und zwar sowohl der Schweizer wie der französischen Alpen. Dort hat sich über Jahrhunderte eine Kultur hervorragender landwirtschaftlicher Produkte entwickelt, von denen der Wein nur ein Teil ist, aber ein bedeutender; denn das Piemont erzeugt zusammen mit der Toskana einige der besten Weine Italiens, ja der gesamten Weinwelt. Der Weg dorthin war allerdings gar nicht so leicht.
GESCHICHTE, KURZ ERZÄHLT
Am Anfang in der Geschichte Piemonts stehen die ligurisch-keltischen Tauriner. Die wurden von Hannibal 218 v. Chr. vernichtend geschlagen und weitgehend ausgerottet. Sie hinterließen die Stadt Taurasia, aus der später das römische Castra Taurinorum bzw. Turino wurde. Die Römer sollen die ersten Reben in Gattinara gepflanzt haben, doch der Weinbau war zunächst kaum von Bedeutung. Erst die Savoyer haben den Weinbau deutlich erweitert. Erste Erwähnungen des Nebbiolo wurden 1266 in der Burg von Rivoli und 1303 im Dorf Canale im Roero dokumentiert. 1431 wird er als wertvollste Rebsorte in offiziellen Dokumenten der Ortschaft La Morra erwähnt. 1815 fiel das Piemont an das Königreich Sizilien, das 1861 in das neu gegründete Königreich Italien integriert wurde. König wurde wieder ein Savoyer, nämlich Viktor Emmanuel II., der ein großer Fan des Barolo war, der die Entwicklung des trockenen Barolo Mitte des 19. Jahrhunderts unterstützt hat und ihn zur eigenen Krönung ausschenken ließ. Im Jahr 1966 erhielten Barolo und Barbaresco eine geschützte Ursprungsbezeichnung. Der Status Denominazione di Origine Controllata (DOC) wurde 1980 in Denominazione di Origine Controllata e Garantita (DOCG) umgewandelt. Im Jahr 2014 wurden große Teile es Gebietes der Langhe, von Roero und Monferrato von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.
AM FUSSE DER BERG
Was die Fläche betrifft, ist das Piemont die größte Weinbauregion Italiens, größer also als Sizilien oder das Veneto. Doch mit 48.000 Hektar gibt es nicht einmal halb so viel Rebfläche. Das liegt vor allem daran, dass das Piemont immer für hohe Qualität gestanden hat, auch bei den Genossenschaften, von denen es eine ganze Reihe im Piemont gibt. Deshalb gab oder gibt es eigentlich auch nur sehr selten Piemonteser Weine im Discount. Die Weinberge findet man vor allem rund um Asti, Monferrato und in der Langhe sowie in Carema, Canavese, Caluso und den Vercelli- und Novara-Bergen. Die Alpen bilden eine schützende Barriere um das Piemont, und die subalpinen Ausläufer, die Hügel des Piemont, bieten Raum für den Wein, während in der Ebene andere hochwertige landwirtschaftliche Produkte entstehen und Viehzucht betrieben wird. Die Weinberge liegen meist in Höhen von 150 bis 450 Metern. Die sonnigsten Plätze erhält meist der Nebbiolo, die kühlsten der Dolcetto oder der Moscato.
Das berühmteste Anbaugebiet ist natürlich die Langhe. Die heißt so, weil das Gebiet einen langen schmalen Streifen bildet, ähnlich einer Zunge. Und die heißt auf Latein lingua. Daraus ist irgendwann Langhe geworden. Die Böden bestehen meist aus Ton, kalkhaltigem Mergel, Sandstein und Sand. In der Gegend um Gavi gibt es viel Kalkstein. Im Roero viel Sand und weniger Kalkstein. Vor allem in der Langhe, die von drei Flüssen begrenzt wird, steht morgens oft der Nebel in den Weinbergen. Der verzögert die Reifezeit und hat vielleicht auch für den Namen der Rebsorte Nebbiolo gesorgt; denn Nebel heißt auf Italienisch nebbia.
MEHR ALS 100 REBSORTEN
Kaum einem dürfte bewusst sein, dass das Piemont mehr als 100 Rebsorten beherbergt, von denen die meisten autochthon sind. Es gibt zwar auch ein wenig Pinot Noir und Chardonnay, Pinot Bianco und Sauvignon Blanc, den die Savoyer einst mitbrachten. Man findet sogar ein wenig Riesling. Aber die meisten Rebsorten sind in der Region selbst oder in der Nachbarschaft entstanden. Bekannt sind natürlich Dolcetto, Barbera, Nebbiolo und Moscato. Aber schon die in den 1960ern fast ausgestorbene und dann wiedererweckte Arneis kennen nur wenige. Auch Cortese ist weitgehend unbekannt – auch wenn man den Gavi kennt, der aus Cortese erzeugt wird. Ferner gibt es die Favorita – ein anderer Name für Vermentino – und einen der ganz großen Aufsteiger letzten Jahre: Timorasso, eine weiße Edelrebe. Weitgehend unbekannt unter den roten Sorten sind Vespolina oder Ruché, Avanà oder Bonarda, Croatina, Erbaluce, Freisa oder Grignolino. Noch seltener sind die ebenfalls gerade so am Aussterben gehinderten Nascetta und Pelaverga. All diese Rebsorten profitieren von der einzigartigen Lage des Piemont mit seinem sehr ausgeglichenen halbkontinentalen Klima.
17 DOCGS, 42 DOCS UND KEIN LANDWEIN
Was durchaus ungewöhnlich ist im Piemont, ist die Abwesenheit eines Landweins. Entweder macht man Qualitäts- oder Tafelwein. Und unter fortschrittlichen Naturweinwinzern ist das heute ohnehin kein Thema mehr. Dann macht man halt Tafelwein. Aber das Piemont ist sehr traditionsbewusst und hält viel auf seine Qualitätsweinappellationen. Von denen gibt es mehr als in der Toskana. Und mit der Toskana gibt es natürlich immer ein Kräftemessen darum, wer die Nase in Italien vorn hat. Auch wenn Barolo und Barbaresco sicher die berühmtesten Weine der Region sind und Nebbiolo, Barbera und Dolcetto vielleicht die bekanntesten Rebsorten, wird trotzdem fast so viel Weiß- wie Rotwein erzeugt. Die Weine entstehen in den vier Bereichen Asti, Langhe, Monferrato und dem nördlichen Bereich mit dem Alto Piemonte.
RUND UM ASTI
Asti ist vor allem bekannt für seinen leicht schäumenden süßen Moscato d’Asti DOCG. Außerdem gibt es Barbera d’Asti DOCG. Als DOC findet man Dolcetto d’Asti, Freisa d’Asti, die seltenen Grignolino d’Asti und Malvasia di Casorzo d’Asti. Besonders selten ist der Brachetto d’Acqui, wo die Rebsorte Brachetto zu einem roten Spumante verarbeitet wird.
DORT, WO DER KÖNIG DER WEINE ZU HAUSE IST
Der Barolo wird gerne als „Wein der Könige und König der Weine“ bezeichnet, spätestens seit er bei der Krönung des ersten italienischen Königs ausgeschenkt wurde. Es hat lange gedauert, bis man diesen säure- und tanninreichen Wein gezähmt hatte. Aber seit den späten 1970er Jahren hat der Barolo wie auch sein Nachbar, der Barbareso, einen steilen Aufstieg hingelegt. Die Lagen der Orte, die zu den DOCGs Barolo und Barbaresco gehören, sind heute in etwa so teuer wie Cru-Lagen im Burgund. Das Gleiche gilt für die Weine. Doch die Langhe hat viel mehr zu bieten. Der Dolcetto ist von den drei roten Hauptrebsorten der genügsamste Wein, der am frühesten trinkbare und ein toller Pizza-, Pasta- und Salami-Begleiter. Der Barbera ist eher der bürgerliche Vertreter und ein alkoholstarker Wein. Deshalb wird es in Zeiten des Klimawandels immer wichtiger, ihn im Weinberg im Zaum zu halten. Die weiße Rebsorte Arneis hat vor allem rund um Roero ein sehr gutes Comeback hingelegt. Immer bekannter wird auch die Alta Langa für sehr guten Spumante aus Chardonnay und Pino Nero.
MONFERRATO – MITTENDRIN STATT NUR DABEI
Das Anbaugebiet Monferrato rund um den Ort Nizza Monferrato überschneidet sich sowohl mit der Langhe als auch mit Asti. Bekannt ist das Gebiet für Barbera del Monferrato Superiore und den Gavi aus der weißen Cortese-Traube. Weine aus der Nizza DOCG findet man hier eher selten, sie sollen aber so etwas wie Grands Crus des Barbera d’Asti werden.
DAS GROSSE REVIVAL: GATTINARA & CO
Oberhalb von Turin gibt es den Nebbiolo vor allem in den hoch gelegenen uralten Anbaugebieten von Gattinara und Ghemme. Das Gebiet heißt heute Alto Piemonte und liegt auf 400 bis 500 Metern Höhe. Der Nebbiolo aus Gattinara und Umgebung war lange vor dem Barolo bekannt und beliebt, hat aber die schwierige Zeit der Reblaus-Plage und der Weltkriege nur gerade noch überlebt. Doch seit einigen Jahren gibt es ein Revival. Namhafte Winzer aus der Langhe investieren in die Region, die mit dem Klimawandel immer interessanter wird. Außerdem gibt es dort vulkanische Böden, die eine ganz eigene Spannung in den Wein bringen. Neben dem Nebbiolo, der in der Region Spanna genannt wird, werden auch die alten Sorten Bonarda und Vespolina rekultiviert. Zudem entsteht dort der seltene weiße Erbaluce di Caluso, ein Stillwein oder Spumante, der auf gerade einmal 180 Hektar kultiviert wird.