TOSKANA 

Die Toskana ist der Ort, an dem vieles, was man sich an Schönem unter Italien vorstellt, kulminiert: Kunst und Kultur, wogende Hügel mit Zypressen und Olivenbäumen, alte Herrenhäuser und Weinberge, gutes Essen in kleinen Trattorias, einzigartige Architektur und eine Balance zwischen verfeinerter Lebensart und bäuerlicher Ursprünglichkeit. Kurz, die Toskana ist ein Sehnsuchtsort. Und wie es Sehnsuchtsorte so an sich haben, wird viel verklärt, viel geschönt, und doch ist der Landstrich definitiv einzigartig.
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FIASCO AUF TOSKANISCH 

Dass die Toskana eine lange Weinkultur besitzt, ist bekannt. Kaum sonst irgendwo gibt es so viele adelige Familien, die sich seit 800 oder mehr Jahren im Weinbau engagiert haben. Stichwörter: Antinori oder auch Ricasoli. Sie haben die Vini di Firenze als gewitzte Händler schon im Mittelalter nach ganz Europa verkauft. Der Chianti Classico, der den schwarzen Hahn als Wappen trägt, erzählt von der Geschichte, dem Mittelalter und der Renaissance, als die Toskana Schauplatz jahrhundertelanger Scharmützel zwischen verschiedenen Stadtstaaten war. Entscheidend für den Weinbau war zur damaligen Zeit außerdem die einzelne Dynastie. Und das galt natürlich nicht nur für den Weinbau. Die Florentiner Dynastie der Medici hat vieles geprägt. Speziell Großherzog Cosimo III. hat Anfang des 18. Jahrhunderts mehr als 150 neue Rebsorten eingeführt und verband mit manchen Landstrichen für Wein eine eigene Herkunftsbezeichnung, quasi eine frühe DOC. Das Chianti war dabei, ebenso auch Pomino und das Val d’Arno di Sopra. Mit der Standardformel des perfekten Chianti hat sich der Marchese Bettino Ricasoli im 19. Jahrhundert ein Denkmal gesetzt. Aber wer jetzt denkt, dass der Weinbau das reine Dolce Vita gewesen wäre, der irrt. Der größere Teil der Toskana war lange bitterarm, und übermäßig bekannt waren die Weine aus der Toskana auch nicht. Wer seine Eltern oder Großeltern fragt, was sie an italienischen Weinen in den 1960ern oder 1970ern getrunken haben, wird wohl schnell die Antwort bekommen: Chianti – aus Bastflaschen, aus sogenannten Fiaschi; denn so heißen die großen, halb mit Bast umwickelten Flaschen, die zur Gemütlichkeit der 70er gehörten wie Mettigel und Käsespieße und die man, wenn sie leer waren, als Kerzenständer zweitverwerten konnte. 

DIE SUPER-TUSCANS 

In den 1970er Jahren war italienischer Wein international so gut wie kaum noch vorhanden, zumindest nicht ab der Stufe Qualitätswein. Die 1970er waren ohnehin schwierig, und zwar für fast alle Weinbaunationen. Aber in Italien war die Erzeugung von Massenwein besonders ausgeprägt. Man denke nur an die Tankladungen von süßem Lambrusco oder von Kalterersee-Auslese. Aber es gibt immer Menschen, die in solchen Krisen etwas Sinnstiftendes finden und etwas Neues schaffen möchten. In diesem Fall kann man das an Marchese Piero Antinori und seinem kongenialen Önologen Giacomo Tachis festmachen. Antinori war mit dem Marchese Mario Incisa della Rocchetta in Bolgheri verwandt. Der hatte schon – und das zu seinem privaten Vergnügen – in den ausgehenden 1940er Jahren ein wenig Cabernet auf die steinigen Böden in der Nähe seiner Villa gepflanzt und erzeugte dort einen Hauswein im Bordeaux-Stil. Piero Antinori musste ihn zusammen mit Rocchettas Sohn Nicolò lange überreden, um den Wein, den Rochetta Sassicaia nannte, mit Tachis zusammen professionell auszubauen und einfach mal am Markt anzubieten. Der 1968er Jahrgang wurde schließlich 1970 lanciert. Er schlug keineswegs ein wie eine Bombe, wie manchmal kolportiert wird. Es begann vielmehr ein langsamer Siegeszug, und das zusammen mit dem Tignanello. Der Tignanello war der zweite moderne Wein des Duos Antinori-Tachis. Er stammt zwar aus dem Chianti-Weingut der Antinori, wurde aber als reinsortiger Sangiovese ausgebaut, und zwar in französischen Barriques. Beide Weine entsprachen nicht den Statuten. Deshalb wurden sowohl Sassicaia als auch Tignanello als Vino di Tavola lanciert. Die beiden Weine sind wohl die berühmtesten Tafelweine der Geschichte, und sie haben den Grundstein für eine Erneuerung des toskanischen und letztlich des gesamten italienischen Qualitätsweinbaus gebildet. Den Namen Super-Tuscan haben sie schließlich von einem amerikanischen Importeur erhalten, und die Weinpresse hat den Begriff schnell aufgenommen. Im Zuge dieses Erfolgs ist das heute so bekannte Bolgheri als Weinbaugebiet erst neu entstanden. Gleichzeitig wurde die damals fast verwaiste Maremma wiederbelebt, und der Morellino di Scansano wurde populär. Auch der Brunello di Montalcino wurde erst nach diesem Erfolg erfolgreich. 

CHIANTI, BRUNELLO & VINO NOBILE 

Auch wenn es die Bordeaux-Rebsorten in Bolgheri waren, die der Toskana den richtigen Schub gegeben haben, so ist der Sangiovese doch bis heute die mit Abstand wichtigste Rebsorte der Toskana. Das war übrigens nicht immer so. Bis ins 20. Jahrhundert hinein war es der Canaiolo Nero. Der wird heute fast nur noch als Ergänzung zum Sangiovese zusammen mit Pugnitello, Colorino oder Ciliegiolo in klassischen Chianti ausgebaut. Im modernen Chianti findet man auch Syrah oder Merlot. Die DOCG Chianti ist mit 24.000 Hektar von 62.000 Hektar insgesamt die größte Appellation der Toskana. Innerhalb der Appellation nimmt der Chianti Classico rund 7.000 Hektar ein. Chianti Classico ist damit viel größer als die direkten Konkurrenten aus Montalcino und Montepulciano. Beide Orte stehen mit an der Sangiovese-Spitze, könnten aber unterschiedlicher kaum sein. Der Vino Nobile di Montepulciano war bereits im 13. Jahrhundert bekannt. Der erste Brunello wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts erzeugt, und dann hat es noch mal 60 Jahre gebraucht, um dem Brunello eine eigene Form zu geben. Der Vino Nobile di Montepulciano ist etwas aus der Mode gekommen, weil zwischenzeitlich zu viele Erzeuger mit internationalen Rebsorten darin mitgemischt haben. Der Brunello di Montalcino ist hingegen immer reinsortig geblieben. Zu ihm hat sich nur zum klassischen Ausbauziel in großen slawonischen Fässern der konzentrierte Parker-Stil mit Barriques dazugesellt. In Montepulciano heißt der Sangiovese Prugnolo Gentile, in Montalcino heißt er Brunello. Streng genommen müsste man zu diesem Triumvirat noch den Morellino di Scansano dazunehmen. Der gehört seit 2006 ebenfalls zu den DOCG-Weinen aus Sangiovese, darf aber ähnlich wie der Vino Nobile mit bis zu 15 % weiterer Sorten verschnitten werden. Bei all diesen Weinen gibt es Riserva-Qualitäten, die noch mal deutlich länger im Fass liegen. Und welcher Wein ist jetzt besser? Man kann es schlecht sagen. Definitiv gibt es im Chianti Classico sehr viel mehr Ausschussware als in den anderen beiden Appellationen. Der Vino Nobile berappelt sich so langsam, weil die Spitzenerzeuger auf Reinsortigkeit und weitere Qualitätskriterien setzen. Und beim Brunello entscheidet letztlich die Stilistik, für die man sich selbst entscheidet. 

WAR ES DAS MIT DER TOSKANA? 

Nein, natürlich nicht! Wir haben noch gar nicht über die Böden gesprochen, die vor allem von den beiden Bodenstrukturen Galestro und Albarese geprägt sind. Das sind besonders lehmige und kalkhaltige Böden. Das Klima ist natürlich warm und letztlich gemäßigt mit dem entscheidenden Einfluss vom Tyrrhenischen Meer. Die ganze Region ist ausgesprochen rotweinlastig. Berühmte Weißweine gibt es kaum, sieht man mal vom Vernaccia di San Gimignano ab, was aber wohl auch daran liegt, dass San Gimignano als alte Ortschaft mit den einzigartigen Hochzeitstürmen so bekannt ist. Es gibt Trebbiano Toscano und Vermentino, natürlich Sauvignon Blanc, Pinot Bianco und Viognier, Muscat, Chardonnay, Greco und Grechetto. Aber das sind bis auf ganz wenige Ausnahmen echte Alltagsweine, die nicht die Größe des Sangiovese erreichen. Wen man allerdings nicht vergessen sollte, ist der Vin Santo del Chianti. Der wird in Weiß, Rosé, Rot und trocken bis süß aus getrockneten Trauben erzeugt. Wie die meisten anderen Süßweine ist er auch nicht mehr so richtig populär, aber wenn man ihn mal im Glas hat, ist er immer eine Freude. Die Toskana ist immer noch eine sehr klassische Region, was den Wein angeht. Große Revolutionäre findet man hier kaum. Dafür aber drehen die guten Winzer immer weiter und weiter an den vielen kleinen Qualitätsschrauben, die sich im Weinberg und im Keller anbieten.