WEINE AUS LISSABON
Rund um die portugiesische Hauptstadt Lissabon findet man neun unterschiedliche Qualitätsweinbaugebiete sowie die Landwein-Appellation Lisboa, benannt mit dem portugiesischen Namen der Hauptstadt. Noch bis 2008 wurde die IGP Lisboa als IGP Estremadura bezeichnet, trug also den Namen der historischen Provinz. Doch die Namensähnlichkeit zur spanischen autonomen Gemeinschaft Extremadura hat zu einer Umbenennung der Appellation geführt.
SANFTE HÜGEL AM ATLANTIK
Die gesamte Region mit ihren rund 30.000 Hektar Rebfläche teilt sich auf in Gebiete, die stark vom Atlantik geprägt sind, und in solche, die schon hinter verschiedenen Hügel- und Gebirgsketten liegen und eher einem mediterranen Übergangsklima zuzuordnen sind. Die Weine aus den Küstengebieten – und das gilt vor allem für die Weißweine – erinnern in ihrer Frische und Leichtigkeit manchmal an Wein aus dem Minho, also an Vinho Verde, der im Norden Portugals entsteht. Und so vielfältig das Vinho-Verde-Gebiet ist, so vielfältig ist es auch rund um Lissabon. Aber die Böden sind anders als im Minho, wo vor allem Granit vorherrscht. Rund um Lissabon finden sich lehmig kalkhaltige und sandig lehmige Böden. Die Appellationen, die für den atlantisch geprägten Stil stehen, sind Bucelas, Colares und Carcavelos. Colares haben wir hier gesondert beschrieben. Von dort stammen sicher die originellsten Weine Portugals. Bucelas ist in den letzten Jahren immer populärer geworden für die unverwechselbaren Weißweine aus der Sorte Arinto. Falls sie Euch bekannt vorkommt: Sie ist auch eine der Weißweinsorten des Vinho Verde. Die Appellation Carcavelos ist übrigens in den letzten Jahren komplett dem Bau-Boom der Hauptstadt zum Opfer gefallen.
HINTER DEN SIEBEN BERGEN
Etwas weiter im Inland liegen die Appellationen Alenquer, Arruda, Lourinhã, Óbidos und Torres Vedras. Weiter im Norden findet man die Encostas d'Aire. Alenquer ist eine Besonderheit, weil diese Appellation gerade einmal rund 160 Weingüter umfasst, die jedoch in schlossähnlichen Stilen errichtet wurden und aus dem Mittelalter stammen. Fährt man nach Arruda, Óbidos oder Torres Vedras, bekommt man einen noch tieferen Einblick in die Historie Portugals. Man fühlt sich gleichsam in eine andere Zeit versetzt bei so vielen alten Schlössern, auch bei historischen Windmühlen oder den Resten von Straßen aus der Römerzeit. Die Appellation Lourinhã steht für Aguardente, also Weinbrand, der dort seit langer Zeit erzeugt wird. Nach Armagnac und Cognac ist Lourinhã die drittgrößte Weinbrand-Appellation der EU.
Auch wenn die eher inländisch gelegenen Anbaugebiete, die zum Bereich Lissabon gehören, international weniger bekannt sind als Colares und Bucelas, so haben sie doch eine ganz wichtige Funktion für die Vielfalt des Weinlandes Portugal. Neben kleinen Mengen von Chardonnay, Cabernet Sauvignon und Syrah werden dort vor allem einheimische historische Sorten angebaut. Dazu gehören die weißen Arinto, Fernão Pires, Malvasia, Rabo de Ovelha, Seara Nova und Vital sowie die roten Sorten Alicante Bouschet, Aragonez (siehe Tempranillo), Camarate Tinto, Castelão, Jampal, Mortágua (Trincadeira Preta), Periquita (Castelão Francês), Preto Martinho, Tinta Miúda (Graciano), Touriga Franca, Touriga Nacional und Trincadeira.
COLARES
Das Anbaugebiet Colares gehört definitiv zu den ungewöhnlichsten Weinregionen auf dem Kontinent. Es liegt nur 40 Kilometer vom Stadtzentrum Lissabons entfernt in der historischen Provinz Estremadura, und zwar direkt, und „direkt“ meinen wir wortwörtlich; denn die Reben, die als Kriechreben kultiviert sind, befinden sich innerhalb der Sanddünen am Meer. Entsprechend einzigartig sind die Weine, die dort entstehen.
VON 1.500 AUF 20 HEKTAR
Über lange Zeit hinweg gehörten die „Colares“ zu den bedeutendsten Weinen Portugals. Das hatte nicht zuletzt mit den portugiesischen Königen zu tun, die in Colares lange ihre Sommerresidenz hatten. Afonso III. erteilte Colares im Jahr 1255 die Stadtrechte und sorgte dafür, dass im gesamten Gebiet Wein angebaut wurde. Zunächst waren es wohl französische Sorten, später wurden sie von einheimischen Sorten abgelöst. Noch in den 1930er Jahren wurden in Colares 1.500 Hektar mit Reben bewirtschaftet. Heute sind nur 30, aber mit leicht steigender Tendenz. Die politische Entwicklung während der Diktatur hatte damit ebenso zu tun wie die Bodenspekulationen rund um Lissabon. Die Stadt hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte immer weiter ausgedehnt. Doch auch der Zeitgeist und der Geschmack hatten sich geändert.
UNGEWÖHNLICHE ART DES ANBAUS
Tatsächlich sind „Colares“ sehr ungewöhnliche Weine. Das zeigt sich schon im Anbau. Die Weinlagen befinden sich sehr nahe am Meer, und entsprechend sind die Reben oft heftigen Winden ausgesetzt. Daher sind sie als Kriechreben oder in niedriger Buscherziehung kultiviert und oft mit Schilfzäumen gegen Flugsand geschützt. Um die Reben zu setzen, muss man zunächst durch die 50 bis 80 Zentimeter tiefe Sandschicht dringen, um sie in der darunter liegenden Ton- und Lehmschicht zu verwurzeln. Die Mengen an Sand haben aber immerhin dazu geführt, dass die Reblaus hier nie Fuß fassen konnte, sodass die alten Rebstöcke allesamt wurzelecht sind. Dass die Region Estremadura heißt, kommt nicht von ungefähr. Im Sommer wird es sehr heiß, und lediglich die Nähe zum Atlantik sorgt für nächtliche Kühlung und eine gewisse Feuchtigkeit. Es regnet erst im Herbst und im Winter. In kalten Wintern wiederum dient der nahe Atlantik als Wärmespeicher und mildert die Kälte ab.
EINZIGARTIGE WEINE
Die ungewöhnlichen Bedingungen führen zu einzigartigen Weinen. Es gibt rote und weiße „Colares“. Die roten werden zu mindestens 80 % aus der Rebsorte Ramisco erzeugt, die weißen zu mindestens 80 % aus Malvasia de Colares. Dazu sind kleinere Anteile der roten Sorten Parreira Matias, Molar, Castelão, Tinta Roriz und Tinta Miuda sowie der weißen Sorten Galego Dourado, Fernão Pires, Jampal, Arinto, Vital sowie verschiedener Malvasier möglich. Der weiße „Colares“ ist ein eher fruchtiger, duftiger und lebendiger Wein, der tendenziell jung getrunken wird. Beim roten „Colares“ ist es ganz anders. Er ist jung extrem säurelastig, fast bissig und aggressiv. Hinzu kommt eine Menge Gerbstoff, sodass man sich in jungen Jahren gar nicht vorstellen kann, dass daraus einmal ein großer Wein werden könnte. Aber so ist es. Nach zehn bis 15 Jahren verwandelt sich der „Colares“ in einen finessenreichen lebendigen und frischen Wein mit seidigen runden Tanninen. Die Herkunft kann man sehr gut nachvollziehen; denn man hat ganz klar einen atlantischen Wein im Glas mit Noten von Jod und Salz. An der Länge, die der Wein zur Entwicklung braucht, lässt sich nicht viel ändern, weshalb er in unserer schnelllebigen Zeit immer eine Besonderheit bleiben wird. Doch wer die Chance hat, einen solchen Wein ins Glas zu bekommen, sollte sie nutzen.