
It’s the freshness, stupid: Trip durchs atlantische Portugal
In den beiden Ländern der iberischen Halbinsel, die vor allem bekannt sind für ihre Rotweine, ist eine weiße Rebsorte so etwas wie ein stiller Star geworden, deren Namen man immer häufiger auf den Etiketten sieht. In Spanien ist sie als Rebsorte der Rias Baíxas bekannt, heißt dort Albariño und hat als eine der ersten Rebsorten auf das Potential der spanischen Weißweine aufmerksam gemacht. In Portugal ist sie eine der wichtigen Rebsorten für den Vinho Verde, jenen Weißweintyp, den wir lange Zeit nur leicht moussierend, jung und eine Spur restsüß kannten. Doch auch das hat sich geändert, und immer häufiger trifft man auf reinsortigen Vinho Verde und speziell auf solchen, auf dessen Etikett der Name Alvarinho steht.
Der Name der Rebsorte Alvarinho ist irreführend. Übersetzt heißt er nämlich die »Weiße von Rhein«. Tatsächlich ging man lange Zeit davon aus, dass der Alvarinho – so heißt er in Portugal – bzw. der Albariño – so heißt er in Spanien – aus Deutschland oder dem Elsass kam. Das wäre auch nicht ungewöhnlich gewesen; denn Rebsorten kommen genauso weit in der Welt herum wie Mönche, Pilger oder sogar ganze Völker. Die meisten Rebsorten, die wir in Mitteleuropa als heimisch ansehen, dürften ursprünglich aus dem kaukasischen Raum gekommen sein und gelangten mit den Völkerwanderungen nach Mitteleuropa. Dort haben sich dann viele Rebsorten gekreuzt, und es sind neue Sorten entstanden, von denen dann Pilger Schösslinge auf ihrem Weg nach Santiago di Compostela ins spanische Galicien gebracht haben. Santiago di Compostela ist ja seit Jahrhunderten Ziel von Millionen von Pilgern, die in ganz Europa aufgebrochen sind, um auf den Jakobswegen nach Galicien zu wandern. Santiago di Compostela war der wichtigste Wallfahrtsort des Mittelalters, und es ist bekannt, dass auf den Jakobswegen Rebsorten in beide Richtungen transportiert wurden.
Wie man heute durch DNA-Analysen weiß, ist der Alvarinho weder mit dem Riesling identisch noch unmittelbar verwandt. Er kommt auch nicht vom Rhein, sondern aus dem Minho, also dem Vinho-Verde-Gebiet bzw. aus dem benachbarten Galicien. Was man auf Grund der Analysen ebenfalls weiß, ist, dass die Sorte große morphologische Unterschiede aufweist, woraus man schließen kann, dass sie sehr alt ist und wahrscheinlich zu den ältesten der Region gehört. Auch wenn die Sorte in Galicien unter dem Namen Albariño nicht vor 1843 erwähnt wurde, gibt es dort Albariño-Weingärten, die 200 bis 300 Jahre alt sind. In diesen Weingärten wurden die Reben ursprünglich in so genannten Arjões erzogen, also an Bäumen, an denen sie mehrere Meter hochwuchsen und nur mit langen Leitern geerntet werden konnten. Später hat man die Reberziehung an der Pergola vorgezogen. Beide Erziehungsformen hatten sich dadurch entwickelt, dass es in den Regionen bis in die 1970er Jahre hinein so gut wie keinen professionellen Weinbau gab, sondern Wein immer nur Teil eines gemischten Anbaus war. Die Pergola-Erziehung gab den Bauern die Möglichkeit, neben den Pergolen noch weitere Nutzpflanzen wie Kartoffeln oder Mais zu setzen.
In Spanien bleibt der Anbau im Wesentlichen auf die Region Rias Baíxas in Galicien beschränkt, in Portugal auf Minho, und da vor allem auf die Regionen Monção e Melgaço im Inneren des Landes mit moderatem Meereseinfluss. Der Erfolg dieser Sorte in den beiden iberischen Gebieten hat allerdings auch Winzer aus anderen Ländern auf den Alvarinho aufmerksam werden lassen. So findet man Alvarinho heute in Oregon, Washington und Kalifornien, bei Eben Sadie in Südafrika, bei Gunther Künstler in Deutschland sowie in Neuseeland und Australien.
Die Rias Baíxas, die vier unteren Meeresbuchten, geben dem Anbaugebiet im Südwesten Galiciens seinen Namen. Die Region rund um die Städte Vigo und Pontevedra war bis vor zwei Jahrzehnten vor allem für die Muschelbänke in ihren Buchten bekannt. Auch der Erfolg des Vinho Verde in der benachbarten portugiesischen Region ist noch jüngerer Natur. In beiden Gebieten wurde lange Zeit nur für den regionalen, höchstens für den nationalen Verbrauch produziert, und das vor allem von Genossenschaften; denn dort bestehen die Weinberge aus kleinen Parzellen. Allein beim Vinho Verde teilen sich rund 19.000 Weinbauern und Betriebe die rund 21.000 Hektar. Es gibt gerade einmal 600 Weingüter und davon auch nur wenige große, die überhaupt eigene Weine abfüllen.
In solchen Strukturen braucht es Visionäre wie Anselmo Mendes oder João Antonio Cerdeira. Letzterer hat 1974 den ersten Alvarinho in der Subregion Melgaço gepflanzt und 1982 das Weingut Quinta de Soalheiro gegründet. Er hat sowohl die Qualität der Rebsorte als auch die hervorragenden Voraussetzungen erkannt, die das hoch gelegene Melgaço mit seinen schützenden Gebirgszügen, der hohen Zahl der Sonnenstunden, dem beträchtlichen Niederschlag und dem reinem Granitboden mit seinem sandigen Oberboden bietet. Was bis dahin nur eine Rebsorte neben anderen Vinho-Verde-Sorten wie Loureiro, Avesso oder Arinto war, entwickelte sich auf beiden Seiten der Grenze zunehmend zum Kassenschlager. Vieles, was gerade heute in den Rias Baíxas vinifiziert wird, empfinden wir zwar als langweilig, weil oft zu kalt vergoren wird und zu industriell, zu süß und mit zu wenig Frische, weil es in den Rias Baíxas typisch ist, mit dem biologischen Säureabbau zu arbeiten. Aber es gibt eben auch andere Erzeuger wie Rodrigo Méndez, der sich mit seinem Weingut Forjas del Salnés auf die Suche nach besonderen Weinbergen begeben hat. Er produziert Alvarinhos und andere historische Rebsorten der Region, die er in extrem alten Pergola-Weingärten entdeckt hat.
Bei Forjas del Salnés wie bei Soalheiro fällt auf, in welcher Vielfalt sie die Rebsorte ausbauen. Und insofern, das kann man sagen, ist sie dem Riesling nicht ganz unähnlich, auch wenn sie nicht ganz so anfällig für Botrytis und etwas alkoholstärker ist. Alvarinho findet man vor allem trocken ausgebaut und jung trinkbar. Doch die Sorte gefällt auch halbtrocken, ausgebaut im Holz wie auch mit Maischegärung oder in der Amphore. Als Schaumwein zeigt sie gleichfalls ihre Qualität, vor allem, weil sich die Säure der Rebsorte in dieser Variante besonders frisch zeigt. Im Aroma erinnert sie in ihrer Jugend häufig an pfeffrige und sogar grüne Noten, mit mehr Reife dann an Orangen-, Akazien- und Lindenblüten, manchmal an Veilchen, häufig an Orangenschalen, Zitronengras, Quitten und Pfirsich. Je nach Ausbau kommen noch einige exotische, oft auch salzige und jodige sowie Noten von Haselnüssen und Mandeln hinzu. Wenn man der Sorte ein wenig Standzeit gibt, erhält diese durchaus kräftige Sorte eine markante Textur und Stoffigkeit. Wenn man den Alvarinho länger auf der Hefe lässt, haben die Weine locker ein Potential von zehn, wenn nicht zwanzig Jahren.
Mit Soalheiro und Forjas del Salnés haben wir zwei Weingüter gefunden, die so ziemlich alle Facetten eines handwerklichen und terroirbetonten Alvarinho bzw. Albariño bieten. Sie zeigen, dass es diese Rebsorte in sich hat und mehr, nein, viel mehr zu bieten hat als die einfachen Sommer-Quencher, die man jahrelang für den einzig wahren Vinho Verde gehalten hat. Alvarinho ist frisch und klar in seiner Aromatik und vor allem auch in seiner Säure, die lebendig wirkt und mineralisch, dabei aber nie streng oder fordernd wird. Die jungen Alvarinhos sind hervorragende, im besten Sinne unkomplizierte Sommer- und Aperitif-Weine, die anspruchsvolleren werden komplex und tief und behalten doch immer etwas von ihrer Leichtigkeit. Das macht die Weine in den letzten Jahren extrem erfolgreich.