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Cornern am Limit

Die sogenannte Weinkultur wird in Deutschland größtenteils abgeschirmt ausgelebt. Ein paar Typen mit kreisrundem Haarausfall und Vivino App verbarrikadieren sich in der sterilen Eigentumswohnung eines Bekannten, die in irgendeiner nicht weiter nennenswerten Neubausiedlung steht und leeren sich eine halbe Badewanne gelbfruchtiges Schwefelwasser in die matschigen Köpfe.

Stehen die Sterne in der richtigen Konstellation, geht es vielleicht auf den Balkon, der wie ein Rettungsboot an der koksweißen Hauswand baumelt. Oder gar in den mähroboterfrisierten Vorgarten mit weitläufigem Blick auf das haarige Hinterteil der nervigen Nachbarschaftstöle, die immer so schön bellt, wenn der Postbote Briefkastenmünder emsig mit der Apotheken Rundschau stopft. Ganz richtig: Das Gewohnheitstier säuft ausschließlich im eigenen Revier.

Was der von sich selbst besoffene Hedonist in Deutschland für gelebte Hochkultur hält, geht in frankophilen Ländern und auf mediterranem Boden maximal als Kekswichsen im Elfenbeinturm durch – und ja, das vollkommen zurecht. Woher die geistige Verirrung kommt, beschwipste Bilderbergertreffen wären der heiße Scheiß, wissen vermutlich nur der liebe Gott, Angela Merkel, Team Wallraff, James Suckling, Barbara Salesch oder wer auch immer den Laden hier schmeißt. Ich sage: Schluss mit dem Heimscheißertum!

Lasst uns den Hedonismus dort frönen, wo er sich mittels Tröpfcheninfektion in Sekundenschnelle verbreitet: auf der Straße. Dort, wo die Revolution schon immer stattgefunden hat. In Zeiten des Abstinenzfanatismus ein wichtiges Zeichen. Quasi Öffentlichkeitsarbeit. Wein, ein dynamisches Kulturgut, das schier aus dem Glas springt, will auf der Straße getrunken werden. Die Gläser müssen dort klirren, wo sonst Reifen quietschen, Gesprächsfetzen durch die Luft flimmern und der Himmel das einzige Dach über dem Kopf ist, der gerade in den Wolken steckt. Das schönste Terroir der Welt bleibt der Asphalt.

Wenn die Temperaturen steigen, wie die Lebenshaltungskosten, genau dann muss alles raus, als wäre Sommerschlussverkauf. Mann, Frau, jung, alt, dick, dünn, divers, ganz gleich. Richtig. Wer legal dazu befugt ist, Rebensaft zu genießen, gehört im Sommer auf die Straßen der Republik. Im Gepäck ein halbes Dutzend Universalgläser, eine Batterie frostige Kühlmanschetten und Stoff, der sich so leicht schlabbern lässt wie drei Kugeln Stracciatella nach einem sonnengeküssten Tag im Freibad.

Wir alle waren ganz sicher nicht 9 Monate in die warmen Bäuche unserer geliebten Mütter gepfercht, um die restlichen 80 Jahre in einem Spiegelkabinett mit immer enger werdenden Wänden dahinzusiechen, während der Zeiger seine Runden dreht. Es herrscht doch keine Ausgangsperre mehr, nicht wahr? Also, raus die Maus! Draußen ist das neue Drinnen! Schluss mit dem eigens verhängten Lockdown. Im Sommer wird gecornert. Yes! Sprich, jede vinophile Session nach draußen verlagert. Auf die Straße. Den sonnenwarmen Asphalt. In grüne Parks. An befahrene Kreuzungen. Auf staubige Treppengeländer. Draußen eben. Dort, wo sich das echte Leben abspielt. Stromkästen wie Tresen. Stufen wie Stühle. Flasche unter den Arm, Beine in die Hand und ab geht’s. Ran an die Öffentlichkeitsarbeit, das Outsourcing des eigenen Seins.

Stellt sich nur noch die alles entscheidende Frage, welche Weine sich für den Genuss in freier Wildbahn gut eignen? Big Babo Thoma und ich haben deshalb drei Tropfen ausgesucht, die unserer Meinung nach wie Arsch auf Parkbank passen. Für uns brauchen die Weine vor allem Lebendigkeit und Frische, außerdem sollten sie Saftigkeit und Säurestruktur mit sich bringen. Niedriger Alkohol oder gut eingebundene Prozente sind ebenso herzlich willkommen. Zum Leben à la Laisser-faire passen einfach weder überextrahierte Gerbstoff-Bazookas, Marmeladen-Weine, die zähflüssig ins Glas laufen wie Druckerschwärze oder Buttersaft mit Eierfurz-Reduktion und feinster Möbelhaus-Note. Stoff, der stundenlang in der Karaffe schmollt, bis er endlich aufmacht? Keine gute Idee! Bestenfalls performt der Saft aus einfachen Universalgläsern und braucht keine Schlangenlinien ziehenden Dekanter aus reispapierdünnem Glas. Sorry, Maxi!

Was wir dringend brauchen, sind Trinkflüsschen, energetische Hydranten und lebensbejahende Tropfen, die – jaaaaaaa, genau – getrunken werden wollen. Theodora 2023 vom Gut Oggau kommt da wie gerufen. Mit elfenhaften 10,5 % Alkohol absurd perfekt zum Cornern. Als hätten Stephanie und Eduard Tscheppe den Tropfen genau dafür gekeltert. Vom Neusiedlersee in die Welt. Weißblütige, traubige Frucht, dezenter Hefe-Touch, ein kristalliner Säurezug, sehr klar, sehr saftig, sehr fein, ein überfrischer Spaßmacher in Flaschenform, der pure Sommer-Vibe. Keck. Wie Theodora selbst. Das schlabbert sich perfekt und verdunstet im Nu, während man sich ein Spiegelei auf der Stirn braten kann. Eine ungeschminkte Schönheit. Wie alles, wo der Name Gut Oggau draufsteht. Keine Filtration und keine zusätzliche Schwefelzugabe. Für maximale Spannung. 9 Monate im gebrauchten Fass auf der Hefe gereift, Welschriesling und Grüner Veltliner – a match made in summer heaven, whoop. whoop!

Wenn die sich die erste Pulle in Sekundenschnelle in Luft aufgelöst hat, was bei Oggau durchaus passieren kann, wenn die Boyz n the Hood mit ausgeprägtem Refill-Reflex an der Tränke Einkehr halten, braucht es noch eine zweite Flasche Weißwein zum Wegschlabbern. Sal da Terra 2023 von Fento Wines. Reinsortiger Albariño von der atlantischen Küste. Auf Meeresbrisen-Basis. Cuvée aus zwei Lagen: 60 % des Weins reift 9 Monate auf der Vollhefe in einem traditionellen 1200 Liter Kastanienfuder, die restlichen 40 % in einem neutralen Betongebinde. Interessiert niemanden auf der Straße, ist aber für die Nerds unter uns, zu denen ich mich zählen würde, wenn die Sterne in der richtigen Konstellation stehen, sicher irgendwie interessant. Anschließend werden beide Lagen zusammengepanscht und auf Flasche gezogen. Die 13 % Alkohol sind perfekt integriert, schmackofatz, einfach starker Stoff. Nobelreduktion trifft kristalline Frucht, feiner Schmelz auf mineralische Salzigkeit, ein Wein nobel wie Chablis mit einem Hauch galicischen Schmackes. Nice! Wie der Name sagt: Sal da Terra, das Salz der Erde, eine Meeresbrise, so wie ich mir Albariño vorstelle, yeah, Baby!

Last but not least eine Pulle Rotwein. Hendrik und ich haben uns für hypersaftigen Gamay aus dem Beaujolais entschieden. Régnié aus dem Jahr 2021 von Julien Sunier. Die im Schnitt 60 Jahre alten Reben stehen am Fuße der berühmten Lage „Côte de Py“ an der Grenze zur Nachbargemeinde Morgon und werden biodynamisch bewirtschaftet. Die Gärung erfolgt wie immer spontan, so spontan wie das Leben selbst, Macération Carbonique, typisch für die Region, eh klar, anschließend durfte der Jungwein 9 Monate in 15 Jahre alten Holzfässern und Betontanks reifen, bevor er unfiltriert und ungeschönt abgefüllt wurde. Das Ergebnis ist ein purer Saft von absurder Trinkfreude – wirklich wahr: Juice 3000. Frisch. Lebendig. Das zischt! On top gibt’s eine Lastwagenladung Sauerkirschen in die Fresse, etwas Kolanuss, einen stängeligen Frische-Kick in zartem Grün und mit viel Fantasie und sieben Gläsern Vino im Kopp hat der Tropfen auch etwas Florales, leicht Blumiges, da ich allerdings kein Botaniker bin, verzichte ich auf ein exaktes Gewächs und sage einfach: supergeil. Runde Sache mit Ecken und Kanten. Passt perfekt zum besten Dönerteller der Welt aus der sexy Styropor-Box – Shoutouts an Yaprak Kornwestheim. Yes, so einfach geht’s! Und für alle, die eine Anleitung dafür brauchen, gibt’s hier meine sieben Regeln zum Cornern.

Meine sieben Corner-Gebote:
1. Wir hängen nur dort ab, wo es angebracht ist. Wir feiern das Leben nicht dort, wo sich Menschen aufhalten, die damit zu kämpfen haben. Aus Respekt. Weil: Friede dem Wellblech, Krieg den Palästen!

2. Leer? Gut! Pfandflaschen immer dort abstellen, wo sie andere finden können. Neben oder auf Mülltonnen, dann erspart man ohnehin stigmatisierten Seelen die Blöße, in aller Öffentlichkeit mit dem Arm in eine Mülltonne greifen zu müssen.

3. Ordnung muss sein! Müll immer brav wegbringen. Unter allem Umständen. Ob Döner-Folie, Ayran-Becher, Pizzakarton, leere Becher, Servietten, Zahnstocher oder Chipstüten. Wir verlassen alle Orte sauber – mobile Kehrwoche quasi, Ehrensache!

4. Sharing is caring: Willkommenskultur wird bei uns großgeschrieben. Wer mittrinken will, bekommt einen Schluck! Wer mitchillen will, nimmt Platz! Pöbler, Lappen und sonstiges Gesocks werden deeskalierend ignoriert oder mit einem Schluck besänftigt. Keine Zeit für schlechte Vibes!

5. Immer schön an das Zwischenwasser denken. Richtig und wichtig. Wer trinken will, muss hydratisiert sein. Gerade im Sommer, wenn das Arschwasser heavy am Drippen ist. Trust me!

6. Wer keine Flasche dabei hat, spendiert eine Runde Bier! Aber dalli! Zackzack! Oder kümmert sich um die Snacks! Pizza! Döner! Alles kann, nichts muss. Und immer schön an die Veggie-Friends denken, ja? Merci.

7. So, jetzt aber genug Regeln! Viel Spaß, gutes Gelingen und noch mehr Liebe! Die Welt ist verrückt, doch das Leben gut. Also raus da und rein ins Vergnügen. Enjoy! Und wer Extra-Motivation braucht, ruft mich einfach an: 0190/666666! Ring Ring Ring!

Ein Gastbeitrag von Milton Sidney Curtis, bekannt aus Instagram, wo er seine Follower regelmäßig mit feinem Content versorgt.

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