Willkommen im neuen Kalifornien
Warum ich selten bis nie Rosé bestelle, und mit selten bis nie meine ich nie, liegt nicht daran, dass ich keinen Pool im Garten habe – um genau zu sein, habe ich nicht mal eine Badewanne in meiner Bude. Warum ich selten bis nie Rosé bestelle, und mit selten bis nie meine ich wirklich nie, liegt vor allem daran, dass Rosé weder Fisch noch Fleisch beziehungsweise Erbsenprotein ist und Wischi-Waschi-Vino keinen Platz in meinem Leben hat. Ätsch! Im Zweifel können auch Weißweine eine leichte Rotfruchtigkeit aufweisen und sich easy Rotweine wunderbar weißweinig trinken. Wozu also Rosé? Ist doch sowieso nur ein recyceltes Beiprodukt der Rotweinproduktion, Stichwort Saftabzug. Quasi vinophile Schlachtabfälle, flüssiges Separatorenfleisch.
Wenn ich an die größten Lusttropfen meines Lebens denke, fällt mir kein einziger Rosé ein, der mich hardcore berührt hat. Also nachhaltig. Deep. Mit Zungenkuss auf die Seele, Gänsehautentzündung und stehenden Ovationen im Bereich der Boxershorts.
Klar, so’n Tondonia-Geschoss aus 2010 ist durchaus exzellent, keine Frage, aber markerschütternd wie die Euroreform? Stoff für die Bucket List? Ein waschechter Henkerstropfen? I don’t know. Eventuell, und davon gehe ich stark aus, liegt hier mein Denkfehler: Muss Rosé überhaupt weltbewegend sein? Sollte ich Rosé endlich als das sehen, was Rosé wirklich ist? Chilligen Terrassenvino? Flüssige Fahrstuhlmusik? Rosé eben?
Ich predige vierundzwanzigsieben auf Insta, dass jeder Wein seine Zeit und seinen Ort hat, Moment und Momentum. Das perfekte Setting. Diesen einen Augenblick, der wie eine Sternschnuppe über die Seele schnippt. Vermutlich sollte ich mein Leben überdenken, wenn dieses nicht genug Rosé-Momente bereithält und weniger in Wettbüros, Dönerbuden und auf der Couch herumhängen? Rosé ist Sundowner am Swimmingpool, Olivenzweige, die im Wind wanken, Grillenzirpen, gegrillter Fisch, Salz auf der Haut, Kräuter der Provence und die letzten Sonnenstrahlen, die sich kaleidoskopisch im unendlichen Blau des Meeres spiegeln. Rosé ist Lifestyle und Lebensgefühl, ein Vibe, flüssiges Fernweh, Voyage, Voyage.
Verrückterweise – und hier haben wir einen kleinen, durchaus emotionalen full circle moment – bin ich 2019 bei Wein am Limit Privatkunde wegen eines Rosés geworden. Dass ich fünf Jahre später für WaL schreibe und einer meiner ersten Magazin-Beiträge jenes Thema behandelt, obwohl ich kaum noch Rosé trinke, ist irgendwo kosmisch, paradox und maximal unterhaltsam. Wie Kendrick sagt: Life is one funny motherfucker.
Hendrik, nicht Kendrick, der mich neuerdings in Sprachnachrichten auf WhatsApp „Brudi“ nennt, hat von meiner Rosé-Skepsis selbstverständlich Wind bekommen, da wir hin und wieder miteinander telefonieren, um uns über verschiedene Themen auszutauschen wie beispielsweise Atomwaffen, Sexspielzeuge und eben Roséweine. Alles irgendwo leicht frivol, zwielichtig und nicht ganz meins. Duracell-Hendrik, ständig schattenboxend auf der Suche nach neuen Herausforderungen, konnte es selbstverständlich nicht lassen, mir Wein zu schicken. Ziel des Pakets: mein Hinterhof in 70174 – und mir beweisen, dass Rosé auch geil geht. Ding-dong, DHL-Mann da, Paket dito, let’s go, gib ihm!
In diesem Fall: 2021 „Roselana“ von Pearl Morissette aus Kanada, 2021 „Ye-Yé“ von Titerok Akeat aus Lanzarote und last but not least der 2020 Rosé Reservado von Bussaco aus Portugal.
Wir, ein paar Bro’sis und meine Lappenhaftigkeit, entspannter Abend auf der Terrasse eines Freundes mit Blick auf das Remstal, beginnen mit dem Ye-Yé vom Weingut Titerok Akeat, das auf Lanzarote sitzt. Kanaren-Rosé, crazy. Nie gehabt bis dato. Gehört zu Spanien und jetzt bitte in meine staubtrockene Kehle. Rebsorte Listán Negro, autochthon. Über 80 Jahre alte Reben, die im Norden der Insel auf vulkanischen Böden von einem jungen Önologen-Paar biologisch bewirtschaftet werden: #couplegoals. Komplett entrappt, drei Tage mazeriert, anschließend spontanvergoren und 9 Monate in Kastanienfässern gereift, ehe unfiltriert und mit wenig Schwefel auf Flasche gezogen. Mit 13 % Alkohol alles andere als dünne Gummibärchensuppe. Anfangs verstehe ich den Wein nicht ganz wie Mulholland Drive. Hendrik gibt dem Tropfen das Prädikat „Partywein“, was ich nicht ganz nachvollziehen kann, da der leuchtende Saft durchaus komplex daherkommt wie Satz des Pythagoras. Ich kenne das Nightlife in Hamburg nicht, aber das ist alles andere als easy. Positiv gemeint, don’t get me wrong. Steinig, karg, kaum Frucht, sehr terroirgeprägt, durchaus vulkanisch, minimal rotfruchtig. Hinzukommen vegetabile Noten, die an Rote Bete erinnern und eine leicht liebstöckelige Kräuterwürze. Spannend, sehr unique, aber muss dringend belüftet werden, wie das Gaming-Zimmer eines Gildenleiters nach einer achtundvierzigstündigen LAN-Party. Zwischenfazit: Rosé für Rotweintrinker, Wein mit USP, Prädikat „Spezialmaterial“, to be continued.
Dann heißt es Bussaco, Baby! Der Portugal-Rosé ist dran. Hohe Erwartungen bei 79 € und dem Prädikat „Weltklasse“. Hinter dem Wein steckt der durchaus mystische Betrieb Bussaco, der eigentlich ein prunkvolles Hotel im Kurort Luso betreibt. Früher, reinstes Storytelling-Gold, wurden die Tropfen ausschließlich den Gästen des Palácio Hotel do Buçaco kredenzt, heute importiert Big Daddy Thoma die raren Vinhos, sodass auch Ottos wie ich in den Genuss der Weine kommen.
Geografisch befinden wir uns in Bairrada, einem der spannendsten Anbaugebiete Portugals, das zwischen der gebirgigen Region Dão und dem tobenden Atlantik liegt. Ein Moshpit der Naturgewalten, wirklich beeindruckend. Lokalmatador in den Weingärten: Baga, eine autochthone Rebsorte, die an Nebbiolo erinnert. Viel Säure, ordentlich Tannin, perfekt für Rosé mit Rückgrat. Hendrik hat mir mit dem 2020er den aktuellen Jahrgang geschickt.
Der erste Schluck ballert direkt. Geil. Tondonia-Vibes, allerdings ohne die oxidativen Noten und die typische Nussigkeit. Wunderschöner Schmelz. Die crazy ausgelutschte Phrase „burgundisch“ trifft hier wirklich zu. Perfektes Holz-Management, das in einer feinen Cremigkeit mündet. Schon groß! Für Rosé vor allem. Uff. Der Wein wurde sechs Monate auf der Hefe in gebrauchten französischen 300-Liter-Fässern ausgebaut. Keine Kaugummisuppe, keine himbeerdropsige Klosteinbrause mit quietschigem Kopfweh-Kitsch, sondern seriöser, großer Rosé. Als hätten Tondonia und Leflaive in Bairrada Bunga Bunga gemacht. Kaum Frucht, dafür Kräuter und eine knochentrockene, leicht kalkige Salinität, ein Fingerhut Erdbeerwasser, feinstes Holz, getragen von einer dezenten Säure und dann wieder dieser holy Schmelz. Struktur pur, schönes Finish. Wirklich grande.
Jetzt: „Roselana“ aus Kanada von Pearl Morissette. Richtig gelesen: Kanada. Wo sonst Gravy über Poutine tropft, fließt nun der Rosé. Das Weingut kenne ich, taugt mir. Machen auch sexy Gamay auf Durstlöscher-Basis. Anyway. Schauplatz: Niagara Peninsula, eine Region im Süden der kanadischen Provinz Ontario. Die Cuvée: 80 % Pinot Noir, 15 % Gamay und 5 % Syrah. Separat vergoren und ausgebaut, dann alchemistisch verheiratet. Pinot und Gamay im Betongebinde ausgebaut, die 5 % Syrah durften im alten Elsässer Fuder reifen, das ein Fassungsvermögen von 1000 Litern hat. Nach 7 Monaten wurden die Partien gemixt, anschließend wurde der Wein für einen zweimonatigen Powernap zur finalen Harmonisierung in den Stahlstank geschickt, bevor ungeschönt und unfiltriert mit geringer Schwefelbeigabe auf Flasche gezogen. Diese Geduld schmeckt man: sitzt, passt, wackelt und hat Luft. Kräuterwürze trifft Rotfruchtigkeit, knochentrocken und doch super saftig. Schönes Ding. Love it.
Zum Schluss noch mal alle Weine mit Luft. Der Ye-Yé kommt jetzt smoother daher, alles wirkt eingebetteter, runder, saftiger. Richtig: o2 can do! Das Prädikat „Partywein“ trifft jetzt besser zu, dennoch maximal seriöser Rosé. Taugt mir. Bussaco nach wie vor groß. Mit Luft, ohne Luft, das Ding schmeckt wahrscheinlich auch auf dem Mars oder auf irgendeinem anderen Planeten, den Elon Musk für seine Altersresidenz ins Visier genommen hat. Wirklich großer Rosé. Top 3 ever auf meiner Liste. Auch der „Roselena“ liefert und bringt Saft und Würze nach wie vor spielerisch unter einen Korken. Und das für faires Geld. Zwanni oder so? I like.
Puh. Was soll ich noch groß sagen? Eventuell gibt es ja wirklich Menschen, die freiwillig Rosé bestellen. Thermomix-Tanten, Miraval-NPCs, zu Vino nie no sagende Tinder-Babes, Bonzen-Kiddies und real people aus Fleisch und Blut mit richtigen Nine-to-five-Jobs, normalen Leben und Faible für exzellente Weine. Und ab sofort eben auch mich. Schuldig im Sinne der Anklage. Der Satz geht an Hendrik. Was soll’s: Das Leben sieht durch die rosérote Brille sowieso viel schöner aus.