Grauburgunder oder Pinot Grigio — Was ist Grauburgunder für ein Wein?
Heute ist Grauburgunder, wie sein Konkurrent aus Italien, auch bei uns zu einem Massenprodukt geworden — beliebig und konturlos, bedauert Hendrik Thoma. Zeit für einen Spurwechsel auf der Suche nach alternativen Weißweinen.
Mit ziemlicher Sicherheit bekomme ich für diesen Artikel Klassenkeile. Denn es gehört sich nicht, den Zeigefinger in des Deutschen liebsten Wein, den Grauburgunder, zu legen. Zu meiner Verteidigung vorab: Jeder soll trinken, was ihm schmeckt, und wenn er seinen Bordeaux mit Eiswürfeln nippt. Es lässt mich kalt. Wer bin ich denn, über die Vorlieben meiner Mitmenschen zu richten? Jeder soll auf seine Art und Weise glücklich werden.
Ist Pinot Grigio ein Grauburgunder?
Natürlich gibt es traumhafte Pinot Gris und einige Grauburgunder, die mir gut gefallen, etwa die von Konrad Salway, Holger Koch, Cornelius Dönnhoff, Gerhard Wohlmuth aus der Steiermark, Familie Michlits vom Weingut Meinklang aus dem Burgenland oder Marcel Deiss aus dem Elsass. Die spielen in einer anderen Liga als jene mit Industriehefe kalt im Stahltank vergorenen, zu Tode filtrierten und behandelten Wässerchen, die so gemacht wurden, damit sie von Menschen getrunken werden, die sonst nie Wein trinken. Da höre ich schon das erste Argument meiner Kritiker: Solche Weine braucht man halt, um einen Einstieg in die komplizierte Weinwelt zu finden. Dem widerspreche ich. Nach meiner Beobachtung kommt die echte Begeisterung für Wein weder durch diese noch durch irgendwelche anderen Discounterstoffe. Es bleibt meistens beim reinen Wirkungstrinken.
In Wahrheit steckt dahinter die unsensible, überhebliche Haltung, die sich Zeitgeist nennt. Irgendwann in den 90ern, ich fing gerade an, mich intensiv für Wein zu interessieren, kamen immer mehr deutsche Winzer auf den Plan, die sich für Qualität stark machten. Einer ihrer größten Herausforderer war der italienische Pinot Grigio, der damals das mit schlechter Pizza und Pasta inszenierte “Dolce Vita” abrundete. Jetzt kamen Sprüche in Mode wie: “Grauburgunder ist der bessere Pinot Grigio.” Man appellierte an die Heimatgefühle des deutschen Weintrinkers, und zwar erfolgreich.
Woher kommt Pinot Grigio?
20 Jahre später trinkt die ganze Nation Grauburgunder, unübersehbar, in allen Lebenslagen. Fast alles dabei so bedeutungslos und auch geschmacklich identisch wie einst die “Italo-Pinot-Grigios”. Den meisten Kunden ist es sowieso egal, wer ihren Grauburgunder gekeltert hat.Namen sind Schall und Rauch, das war doch schon immer so. Hauptsache, es knallt, und der Preis stimmt.
So ist der Grauburgunder zum Volkswein aufgestiegen. Ambitionierte Gastronomen rollen mit den Augen, wenn der Kunde ihn bestellt, hören dabei aber die Taler klingeln. Am besten soll der Saft nach nichts schmecken außer nach ein ganz bißchen Frucht und Alkohol. Der Duft muss blitzsauber sein, wie Dosenobst, und im Glas soll es funkeln wie eine Metallic-Lackierung. Da wir ein Volk von Magenkranken sind, darf der Wein keine Säure haben, und die angeblich “dienende” versteckte Süße lässt erahnen, was eigentlich gefragt ist: Bonbon.
Was mich dabei stört, ist eine Oberflächlichkeit, die sich mit diesem Mittelmaß auch noch selbst feiert. Jeder soll auf seine Art glücklich werden. Doch wenn die Wertschätzung für authentische Weine fehlt, warum sich noch anstrengen? Geschmacklich gibt es schon lange keinen Unterschied mehr zwischen Pinot Grigio und Grauburgunder. Bei Letzterem enttäuscht mich einfach, dass sie nur des Kaisers neue Kleider sind.
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Eine Ausrede dafür, bedingungslos an dieser Rebsorte festzuhalten, gibt es nicht. Grauburgunder ist nicht alternativlos. Wir leben in einer Zeit, in der Vielfalt und Qualität so üppig sind wie nie zuvor. Warum werden nicht mehr Entdeckungen angeboten wie zum Beispiel Alvarinho, Assyrtiko, Arneis, Aligoté, Sylvaner oder Furmint – lauter Reben mit Charakter und Geschmack? Wenn man schon zeitgemäß sein will, dann sind solche Weine meine erste Wahl. Niemand ist ein besserer Mensch, wenn er so etwas bestellt, aber vielleicht ein offenerer. Es geht um Geschmack, mehr nicht. Weichgespültes bringt niemanden weiter.
Kurzum, ich halte es leicht abgewandelt mit dem Hamburger Musiker Stefan Gwildis und seinem Stück “Dänemark, ohne mich”: “Meinetwegen roll’ mir meine Zehnägel auf, ja, ganz langsam, roll doch. Wenn’s dir zu viel ist, dann mach’ ich’s gern für dich, schon ok so. Aber nochmal Grauburgunder? — Ohne mich!”
Dieser Artikel erschien zuerst im Feinschmecker 11/2018