Malbec, der große Verführer
Im Weinberg dagegen war Aktionismus, also möglichst nah an den Rebstöcken dran zu sein, durchaus gewollt. Schwarz ist eine der einflussreichsten Persönlichkeiten im deutschen Weinbau der letzten Jahrzehnte, er war Lehrmeister einer ganzen Generation von Spitzenwinzern wie Hansjörg Rebholz, Frank John, Markus Wöhrle oder Andreas Schumann. Bei ihm in die Lehre gehen zu können hatte einen ähnlich hohen Stellenwert wie eine Kochausbildung bei Paul Bocuse. Schwarz, Jahrgang 1941, war auch eine der treibenden Kräfte als sich das Weingut von Winning in Deidesheim etablierte, aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls leitete er den Kurswechsel ein, der den deutschen Weinbau verändern sollte: Weg von technisch produzierten Produkten hin zu Weinen, die ihre Herkunft zeigen und nicht durch die Möglichkeiten der Kellertechnik manipuliert werden.
Dabei musste Hans-Günter Schwarz viele Widerstände überwinden: Mit gerade mal 19 Jahren wurde er 1961 Betriebsleiter des Weingutes Müller-Catoir in Neustadt-Haardt, damals noch nicht einmal volljährig und er musste sich Respekt verschaffen. Aber Schwarz wagte es sogar, die gängigen Lehrmeinungen zu hinterfragen – um dann alles auf den Kopf zu stellen. „Mir war der Drang zur Technik im Weinausbau sehr suspekt“, sagt er. Wein war damals ein technisch kontrolliertes Produkt, nichts wurde dem Zufall überlassen, pflichtschuldig kamen die praktischen Helferchen aus der chemischen Industrie zum Einsatz, nach der Devise: Viel hilft viel. Jungweine wurden generell mit dem Tonmineral Bentonit geschönt, dabei wurde das Eiweiß entfernt, ein natürlicher Bestandteil des Weins. Bentonit verursacht aber auch eine Trübung, der Wein muss deshalb noch einmal filtriert und bewegt werden: So setzte sich ein Kreislauf in Gang, der den Wein in seinem Charakter stark veränderte. Wenn Schwarz aber in seiner Ausbildung dieses Procedere hinterfragte, wurde abgewiegelt: In wenigen Wochen habe sich der Wein ohnehin wieder erholt.
Qualität lässt sich nicht in den Wein hinein vinifizieren
Schwarz aber beobachtete, dass die Weine sich nicht mehr erholten. „Das innere Gefüge des Weins wird bei der Schönung zerstört“, erklärt er. Das sei vergleichbar mit einem Gerüst, an dem ein tragendes Element entfernt wird. Dem Wein wird dabei nicht nur Eiweiß entzogen, er verliert auch Geschmack und natürliche Kohlensäure. „Ich hatte eine Riesenabneigung dagegen, Bentonit in den Wein hinein zu rühren, der dabei war, sich richtig gut zu entwickeln“, sagt Schwarz. Für ihn stand fest, dass man keine Qualität in den „Wein hinein vinifizieren“ könne: „Im Keller muss man zum richtigen Zeitpunkt das Falsche lassen“, sagt er, „ich kann dort maximal die Qualität erhalten, die im Weinberg wächst.“ Als zurückhaltend agierender Kellermeister von Müller-Catoir machte sich Hans-Günter Schwarz einen Namen mit puristischen Weinen: Die Fruchtaromatik und Reinheit der Traube wollte er möglichst klar ins Glas transportieren, die Weine zeichneten sich durch brillante Frucht und einen unverkennbar subtilen und präzisen Geschmack aus. Der „Catoir-Stil“, der weit über Deutschland hinaus gerühmt wurde, ist bis heute lebendig geblieben, auch wenn er weiterentwickelt wurde. Gerade Winzer wie Hansjörg Rebholz und Andreas Schumann vom Weingut Odinstal betonen stärker den im Weinberg herausgearbeiteten Terroir-Ausdruck und die Eigenarten der Lagen, Böden und Mikroklimata.
Kontrolliertes Nichtstun = Gar nichts tun?
Aber auch beim kontrollierten Nichtstun kann man einiges falsch machen: Manchmal ist der Übergang zur Unordnung und zum Chaos im Wein fließend. Wenn das Motiv des kontrollierten Nichtstuns zu lässig ausgelegt wird und die Weine sich selbst überlassen werden, sei das „fatal“, sagt Schwarz und steht damit bei weitem nicht allein. In Calce im Roussillon, einem Hotspot des biodynamischen Weinbaus, führt Thomas Teibert die Domaine de l’Horizon. Teibert ist nicht begeistert, dass einige Winzer neuerdings „in Richtung Naturwein abdriften“ und ihre Weine zu passiv begleiten, da fehle es häufig an „Sauberkeit und Präzision“. Wein sei „Hochkultur“, sagt Thomas Teibert, vom Menschen gemacht: Ohne dessen Zutun funktioniere es nicht, denn „Most will Essig werden“.
In der Naturwein-Szene gibt es Winzer, die ihren Wein ganz bewusst dem Prinzip der unkontrollierten Kräfte anvertrauen. Einer der radikalsten Winzer dieser Bewegung ist Aci Urbajs im slowenischen Šentjur. Der sagt: „Es gibt ein mächtigeres Gesetz als das des Menschen: Anarchie.“ Im Wein sei vieles „normiert und gleichgeschaltet. Ich gehe zurück zum Ursprung.“ Aus Konventionen macht sich Urbajs gar nichts, er besitzt keinen Traktor, im Weinberg arbeitet er mit Island-Pferden. Ein Hektar Reben verteilt sich auf drei Weinberge, zu jeder Parzelle gehört ein eigener Keller, weil er die „Weine nicht von ihrem Garten trennen“ wolle. Im Keller macht Urbajs gerade so viel, dass aus Trauben Wein entstehen kann: „Es ist alles in der Traube“, sagt Urbajs, „du musst nichts hinzufügen.“ Urbajs ist ein anti-autoritärer Winzer, er will den Wein nicht bevormunden und zähmen.
Seine Trauben lässt er mehrere Wochen in offenen Bottichen auf der Maische vergären, dann quetscht er sie sanft in einer uralten Holzpresse, danach ruht der Wein ein Jahr in einheimischem Holz. Urbajs ist konsequent in seiner Methode des Weglassens: Er verzichtet vollständig auf Schwefel, Wein hat für Urbajs auch eine spirituelle Dimension, die der Schwefel zerstöre. „Geschwefelter Wein ist so müde wie alte Erde“, sagt der Winzer, der Mitglied bei Demeter ist. Die Lehre Rudolf Steiners interpretiert Urbajs nach seinen eigenen Vorstellungen. Er ist kein verhärmter und dogmatischer Esoteriker, er lebt und lacht gerne. Wenn jemand zu ihm sagt, dass seine Weine nicht ganz sauber röchen, freut er sich und erwidert: Das müsse so sein, „meine Pferde riechen genauso“.
Weine mit wahrem Kern
Es gibt Naturweine, die für den einen Gaumen eine Zumutung, für den anderen dagegen eine Offenbarung sind. Mancher Vin Naturel sieht aus wie eine abgestandene Urinprobe beim Urologen und riecht auch so. „Naturwein heißt nicht, dass man die Brühe vor sich hinrotten lässt“, sagt Dirk Würtz, der das Weingut Balthasar Ress in Hattenheim prägte und nun das Weingut St. Antony in Nierstein leitet. Man müsse sehr exakt und sauber arbeiten, sagt Würtz, „sonst war alles umsonst“. Das lässige Bonmot vom kontrollierten Nichtstun macht inzwischen in der Winzerszene die Runde und ist auch ein Schlagwort so mancher Marketingstrategie. Für Hans-Günter Schwarz bedeutete es vor allem, für seine Überzeugung zu kämpfen: Für Weine mit wahrem Kern.
Rainer Schäfer, Journalist und lebt in Hamburg. Er reist für guten Wein um die Welt und publiziert in Medien wie Falstaff, Der Feinschmecker, Fine – Das Weinmagazin…