Willkommen im neuen Kalifornien
Malbec oder Cot oder Pressac?
Wer ist dieser Malbec, der anderswo auch Pressac genannt wird und eigentlich und offiziell Cot heißt? Ja, Cot oder Côt, was sich hierzulande verständlicherweise nicht durchgesetzt hat, denn das klingt zu sehr nach … ach, Ihr wisst schon. Es gibt über 130 Synonyme, was darauf schließen lässt, dass die Sorte sehr alt ist. Aufgrund von DNA-Analysen geht man heute davon aus, dass ihre Eltern die Magdeleine Noire des Charentes und der Prunelard sind. Das macht sie zur Schwester des Merlot. Ihr Elternhaus stand mit ziemlicher Sicherheit im südwestfranzösischen Cahors. Dort erlebte der Malbec im Mittelalter zusammen mit dem Tannat seine erste Blütezeit. Denn bevor die Welt ihre Weine in Bordeaux kaufte, tat sie dies im Südwesten Frankreichs. Aus den genannten Rebsorten wurde dort der „Schwarze Wein“ erzeugt. Schwarz war er, weil die beiden Rebsorten ohnehin viel Farbstoff enthalten. Aber auch, weil die Trauben vor der Gärung oft im Ofen getrocknet wurden oder der Most vor der Gärung gekocht wurde. Eine Art Appassimento des Mittelalters.
Heimat: Cahors
Im Cahors ist die Rebsorte bis heute mit Abstand am weitesten in Frankreich verbreitet. Etwa 70 % der rund 6.000 Hektar Rebfläche sind mit ihr bestockt. Dazu gibt es recht viel davon in der Touraine an der Loire, wo ein besonders frischer Weinstil entsteht. Bis zur Reblauskatastrophe war sie auch eine der Hauptsorten der Bordeaux-Cuvées. Da sie jedoch frostempfindlich und auch anfällig für Mehltau und Schwarzfäule ist, wurde sie bei den damaligen Neuanpflanzungen in Bordeaux kaum berücksichtigt. Denn mit Frost hat sie vielleicht Probleme, mit Hitze nicht. Das ändert sich jetzt mit dem Klimawandel zunehmend wieder. Noch bis vor Kurzem wurde kaum darüber geredet, doch so langsam wird sogar wieder selbstbewusst Malbec gepflanzt, zu Lasten des zu alkoholisch werdenden Merlots. Wie gesagt: Alles ist im Fluss.
Zweite Heimat: Argentinien
Seine zweite Heimat fand der Malbec schließlich in Argentinien. Mitte des 19. Jahrhunderts, also vor der Reblaus, brachte sie der französische Agronom Michel Aimé Pouget nach Argentinien. Dort ist sie heute die Signature-Variety von oft noch wurzelechten alten Weinbergen. Die findet man vor allem in den Höhenlagen von Mendoza, aber auch in Patagonien. Mit mehr als 40.000 Hektar Rebfläche ist der Malbec die mit Abstand häufigste Sorte und Argentinien die Nummer 1 unter den Anbauländern.
Die unterschiedlichen Spielarten des Malbec
Cahors und Mendoza haben auch bei meiner Sozialisierung mit dem Malbec eine entscheidende Rolle gespielt. Nicht zuletzt, weil ich 2012 bei einem meiner damals häufigen Besuche in Brüssel zwei Weine von Fabien Jouves mit den Namen „Omar m’a abuser“ und „You f*ck my wine?“ kennenlernte. Und weil ich im selben Jahr bei Freunden geholfen habe, eine Flasche „Estrella Malbec“ 1977 der Bodegas de Weinert zu leeren. Die ersten beiden Weine zeigten mir eine ganz neue Art, Malbec im Cahors zu machen: mit Kohlensäuremaischegärung im Beaujolais-Style, mit viel Frucht, aber auch mit viel Frische und Saftigkeit. Der Estrella wiederum ist eine Legende, so etwas wie die Mutter aller großen Malbecs Argentiniens, ewig im Beton und teils im Holz gereift, unverwüstlich, tief, dicht und schön.
Französisch, aber mit Opulenz
Zur Cahors-Gang, zu der ich Fabien Jouves zähle, gehört auch Valérie Courrèges. Sie stammt aus der Provence, hat bei Lalou Bize-Leroy, Jean-François Ganevat und Olivier Horiot gelernt und ihre 2019 gekauften oder gepachteten Weinberge direkt auf biodynamischen Anbau umgestellt. Sie hat einen unvoreingenommenen Blick auf den Malbec und macht das, was man im Cahors mit dem Malbec machen muss, wenn man neben dem „Vin de Soif“ auch große Weine machen will: Ihm die Dichte, die Konzentration und auch den Alkoholgehalt lassen, aber gleichzeitig Frische, Säure und Mineralität fördern. So entstehen Malbecs mit Kraft, die gleichzeitig sinnlich, charmant und trinkfreudig sind.
Argentinisch aus der Höhe
Malbecs wie die von Escala Humana sind etwas ganz anderes. Sie stammen von bis zu 120 Jahre alten Reben auf 1.200 Metern Höhe, mit einer ganz anderen Sonneneinstrahlung, anderen Böden mit hoher Mineralität vom Schmelzwasser der Anden. Auch sie sind kraftvolle Weine, auch sie schimmern im typischen Violett, auch sie bringen viel der typischen Aromatik von Pflaumen, Blaubeeren, Tabak und Schokolade ins Glas – aber sie schaffen es gleichzeitig, feingliedrig zu wirken. Hier gelingt die Quadratur des Kreises.
Argentinisch aus dem tiefen Süden
Einen anderen Aspekt wiederum bieten die Weine von Hans Vinding-Diers in Patagonien. Der Weinbau dort ist am ehesten mit dem in Central Otago in Neuseeland zu vergleichen. Beide Gebiete liegen schon deutlich im Einflussbereich der Antarktis, es gibt Hitze und Kälte und der Weinbau ist nur möglich, weil er durch Gebirgsketten geschützt ist. Der „Malbec“ der Bodega Noemia ist ein magischer Wein. 90 Jahre alte, wurzelechte Rebstöcke sorgen für eine elektrisierende Mineralität in der Malbec-typischen üppigen Fülle, verschwenderischen Frucht und feinen Tanninstruktur. Das muss man mal getrunken haben. Das zieht diverse „Bordeaux Cru“ locker über den Tisch, bleibt dabei aber ganz eigenständig.
Sexiest Variety alive?
Malbec ist keine Rebsorte für Feingeister oder Intellektuelle. Er ist kein transparenter Pinot, über dessen Größe man sich im Kreis Gleichgesinnter stundenlang bis ins kleinste Detail austauschen kann. Es ist aber auch nicht unbedingt der fette Blockbuster, auch wenn bei so manchem konzentrierten argentinischen Parker-Style-Malbec schon die leere Flasche zwei Kilo wiegt. Das Besondere am Malbec ist, dass er, wenn er gut gemacht ist, seine Größe von selbst und ohne Umschweife offenbart. Er ist ein offener, einnehmender, wollüstiger und sinnlicher Typ, der uns einfach mitnehmen will in eine Nacht der Ausschweifungen, in der man nicht schlafen, sondern feiern wird und an die man später lange und voller Befriedigung zurückdenkt.
Ein Gastbeitrag von Christoph Raffelt, Originalverkorkt.de.