Willkommen im neuen Kalifornien
Besonders bewusst geworden ist mir dieser Preiswahn, ein anderes Wort fällt mir dafür nicht ein, als ich mit meinen Jungs kürzlich in einer Pizzeria im gentrifizierten Süden von Stuttgart zur Pre-Tasting-Stärkung war. Überall Hipster. Sandalen von Birkenstock unter jedem zweiten Tisch. Strohhalme aus handgeschöpftem Papier, Designerlampen auf den Tischen und die Teigfladen sind mit Zutaten wie Wildschweinsalami, Filderkraut und höhlengereiften Bergkäse belegt. Alright, alright, alright, ich verstehe natürlich, dass es gut Geld kostet, die Sauerteigrohlinge Namens Torben Lasse und Wilma-Polly 48 Stunden bei Vollmond ruhen zu lassen, auch die Anschaffung von sieben verschiedenen Arten von Globuli für die Business-Apotheke schlägt heftig zu Buche wie Holzfäller auf Steroiden und der von Freiland-Glühwürmchen erzeugte Bio-Strom will natürlich bezahlt sein, doch Caprese für 18 Euro? Bruder, was geht? Sehe ich aus, als würde ich Geld scheißen? Als Menschmaschine Baujahr 1992 habe ich zwar nur zehn Jahre ohne unsere jetzige Währung erleben dürfen, doch come on: Das sind 36 Mark. Für Tomatengedöns, drei Blätter Basilikum, bisschen Büffelmozzarella, Olivenöl und Balsamicoessig? Dafür hat man um die Jahrtausendwende herum vermutlich einen unkaputtbaren Wasserkocher, vier alte Snickers, eine Vorteilspackung Reiszwecken und einen feuchten Händedruck bekommen.
Para Yok
Ich bin nicht Jeff Bezos rechter kleiner Zeh, der Schwippschwager von Peter Zwegat oder über acht Ecken mit dem Schaich von Honolulu verwandt. Auch wabert unter meiner Bude keine Ölquelle, leider habe ich keinen Harem, der aus einem Dutzend Millionärswitwen besteht und mit dem vergoldeten Silberlöffel in der Poperze bin ich auch nicht aufgewachsen. Kurz gesagt: Ich muss auf die Preisschilder meiner Lusttropfen achten. Nachdem Hendrik und ich letztens ein kostspieliges Rosé-Dreierlei in den Markt gespült haben, war klar, dass als nächstes ein Preis-Leistungs-Killer-Kommando an den Start muss. Runter vom Schiefer, rauf auf den Asphalt. Als Kind der Arbeiterklasse und Mann des Volkes Ehrensache. Heißt, um genau zu sein: zweimal drei Weine für jeweils unter 20 Euro, sodass wir in Summe pro Paket bei maximal 60 Steinen landen.
Als Schwabe aus Stuttgart, der Fünfcentstücke in großen Gefäßen aus Glas sammelt, nichts leichter als das. Auch wenn ich in letzter Zeit Unmengen an Fine Wine strullen durfte, darunter 462 GROSSE GEWÄCHSE® bei der GG-Vorpremiere in Wiesbaden, gereifte Bordeaux-Vertikalen bei befreundeten Weinhändlern oder eine gemischte Tüte Ganevat mit der Gang, rieche ich Schnapper, die für kleines Geld groß liefern, auf dreiundvierzig Kilometer gegen den Wind. Mit verstopfter Nase. Bei Feinstaubalarm. Was ich damit meine, sind Weine, die den Geldbeutel nicht direkt skalpieren, stets verfügbar sind, ohne mystischen Hokuspokus auskommen und durch handwerkliches Geschick überzeugen. Man zahlt für die Qualität und nur die Qualität. Nicht für Name und Nachfrage, künstlich aufgebauschten Hype oder muss die Marketingmaßnahmen des Weinguts und die fahrbare Schwanzverlängerung des Händlers quersubventionieren.
Auf meinem Streifzug durch Hendriks Sortiment habe ich zwei flotte Dreier zusammengestellt: drei Weißweine, drei Rotweine. Das erste Paket setzt sich aus dem Cala Iancu 2023 von Il Mortellito, dem Cota 27 2022 von der Quinta de Soalheiro und dem Nativas Branco 2023 von Ramilo Wines zusammen. Bei den Rotweinen habe ich mich für den Clos Mazurique Brézé 2022 von Arnaud Lambert entschieden, brutal stark finde außerdem den Nativas Tinto 2021 von Ramilo Wines und den El Mentridano 2021 von Vitícola Mentridana.
Ein Stromkasten-Apéro par excellence
Fangen wir mit dem Cala Iancu 2023 von Il Mortellito an. Rebsorte Grillo, vielleicht so gut wie ich sie noch nie hatte. Üblicherweise wird die Traube für die Trattoria von nebenan zur trickbetrügerischen Touristenfalle verhunzt, einem belanglosen Egalwein, den die Welt so wenig braucht wie Selfie-Sticks, Furzkissen und 7/8-Hosen. Dario Serrentino dagegen keltert aus der Rebsorte einen lässigen Spaßwein, der mit seinem naturbelassenen Touch perfekt zum spätsommerlichen Vibe passt. Der Begriff „Easy Drinking“, ein mittlerweile ausgelutschtes Codewort, das eine Zeit lang für jedes dritte, noch so redundante Spülwasser ohne Schluckwiderstand verwendet wurde, trifft hier wirklich zu. Das trinkt sich wunderbar lässig, ohne eine Sekunde beliebig zu wirken. Kein pseudointellektueller Stoff für vinophile Pfadfinder, die dem maximal gelangweilten Tinder-Match mansplainen, dass Chablis Chardonnay ist, sondern Spaß im Glas, der auch ohne Gedichtinterpretationen und Besserwissertum funktioniert. Vibrierend frisch, leicht gelbfruchtig, dazu eine trinkanimierende Säure und Abfahrt. Ein Stromkasten-Apéro par excellence, der den Abend authentisch einläutet. Für 14,50 Euro? Schnapper.
Alles Rebsorten, die ich bis dato noch nie gehört habe wie die Alben von Helene Fischer
Weiter geht’s mit dem Nativas Branco 2023 von Ramilo Wines. Sexy Stoff von der Küste Portugals, der Salz und Säure, in einem knackigen Vinho Branco vereint. Viel Wein für 20 Euro. Cuvée aus Arinto, Malvasia de Colares und Vital. Alles Rebsorten, die ich bis dato noch nie gehört habe wie die Alben von Helene Fischer. Von Hand gelesen, anschließend spontanvergoren – einen Part im Stahl, um die knackige Frische zu konservieren, 25 % im Barrique für Körper und Textur. Die Reben wachsen auf Kalkböden, die für den mineralischen, leicht salzigen Kick sorgen. #saltbae hat angerufen, ich soll Grüße ausrichten! Primärfruchtfreie Zone, durchaus komplexer Juice, der mit animierendem Bitterstoff um die Ecke brettert, der irgendwo zwischen ätherischen Anisnoten und Salzzitrone changiert. Perfekt für alle, die auf knackigen Chenin Blanc und straffen Aligoté stehen. Die Parzellen powernappen zwischen den windgepeitschten Hängen von Mafra und Colares nördlich von Lissabon, einem pittoresken Teil des Landes. Und so kommt der Wein auch daher. Wie die maritime, leicht salzige Gischt, die an den Felsen der Küste zerschellt. Wellen brechen, der Himmel schneidet Grimassen, leichte Anflüge von Melancholie, die über die Seele huschen, das endlose Blau des atlantischen Ozeans auf der Linse. Zu gedämpftem Fisch, vielleicht en papilotte, mit viel Olivenöl, Zitrone und etwas Knoblauch, frischen Kräutern und Kapern, vielleicht auch Oliven und getrockneten Tomaten, stelle ich mir das genial vor. Dazu ein paar knusprige Kartoffeln aus dem Ofen oder ein Fenchel-Bohnen-Salat und ein Sonnenuntergang, der in Zeitlupe über die Netzhaut wandert: What a life!
Ringelpiez für den Gaumen
Last but not least der Cota 27 2022 von Hendriks Haus- und Hofportugiesen Soalheiro. Ein wunderbarer Universalwein, der gleichermaßen Schwiegermutti, Sheldon Cooper und Sommelier XY glücklich macht und zu diversen Anlässen passt: Ob erstes Date im Park mit dem süßen Schnuckiputz von Dating-Plattform XY, lässiger Kochabend mit der Gang oder Audienz beim Papst: dieser Alvarinho sitzt, passt, wackelt und hat Luft, allerdings nicht nach oben. Für 15 Tacken liefert diese Wollmilchsau von Wein ordentlich. Dezent floral, mit gelber Frucht, leichtem Schmelz und einer chilligen Säure, die zwar alles zusammenhält, doch nicht wie eine zickige Zitrone daherkommt. Viel Steinobst, ein Hauch Honig und gelbfruchtige Aromen, die mit etwas Fantasie entfernt an pubertäre Sultaninen erinnern. Was mir an diesem Stoff so gut gefällt, ist, dass die Frucht, die durchaus präsent ist, nie puffig oder eindimensional wird, sondern vielschichtig bleibt. Die geschmeidige Textur schmeichelt dem Gaumen, irgendwie sexy, Ringelpiez für den Gaumen. Smooth Operator.
Geschmeidiges Stöffchen
Ein ebenso mühelos geschmeidiges Stöffchen ist der Clos Mazurique von Loire-Winzer Arnaud Lambert aus der bekannten Gemeinde Brézé. Ein blutjunger Cabernet Franc, hier aus dem warmen Jahrgang 2022, der bereits in der juvenilen Fruchtphase viel Spaß bereitet, da er ruppigen Gerbstoff und die typischen Grüntöne der Rebsorte vermissen lässt. Wie das Kunststück gelingt, das Trinkfensterchen bereits jetzt sperrangelweit zu öffnen, lässt sich so erklären, dass der Klimawandel kickt, Lambert auf Rappen verzichtet, die für einen stängeligen Grünton sorgen können, zusätzlich wurzeln die Reben auf sandigen Böden, die gerne Wärme speichern. Schallgedämpfte Vanille, Sauerkirsche, ein leichter Schmelz und feiner Gerbstoff machen diesen Wein zu einem Balanceakt sondergleichen. Rundum rund, ein Allrounder wie er im Buche steht. Wandert für siebzehneinhalb Kröten über den Teich. Preis-Leistungs-Verhältnis on fleek.
Hedonismus pur
Etwas uniquer, gar kantiger, in Summe unkonventioneller wird es mit dem Nativas Tinto 2021 von Ramilo Wines, der kurz an kühlen Pinot oder Gamay erinnert, allerdings aus der autochthonen Rebsorte Castelão gekeltert wird. Wenn ich einen Clown heiraten würde, wäre das der perfekte Bankettwein, denn das das macht dick Spaß. Keine Ahnung, wo Big Daddy Thoma, das alte Trüffelschwein, den Scheiß ausgegraben hat, aber das ballert brutal. Slightly chilled kommt das brutal gut. Großer Fan. Viel Wein für 20 Euro, Trinkfluss 2000. Eventuell mein Lieblingstropfen der Auswahl. Bedarf keiner großen Worte, der Wein spricht für sich. Ich liebe es, die flüssigen Visitenkarten eines Hauses zu schlürfen, insbesondere wenn diese auch Geschosse jenseits der Hundert-Euro-Grenze im Portfolio haben, was bei Ramilo der Fall ist. Dass die Boys wissen, wie Wein geht, merkt man hier deutlich. So geil, man könnte glatt sagen, ich hätte Tinto auf dem Füller, Hedonismus pur, aber genug dirty talk.
Trinkfreudiger Rotwein
Der El Mentridano 2022 von Vitícola Mentridana aus Méntrida ist dran. Reinsortiger Grenache aus bis zu 65 Jahre alten Reben. Biodynamisch Bewirtschaftung. Keine Trinkmarmelade, keine gekochte Frucht, sondern ein trinkfreudiger Rotwein mit feinem Gerbstoff, der alles andere als dünn daherkommt. Dazu eine serpentinenhafte Aromenabfahrt, die zwischen roten Beeren, einem Hauch Leder, salziger Pflaume, Schwarztee und ätherischen Kräuternoten Schlangenlinien zieht. Trotz 14,5 % Alkohol, die man aromatisch keine Millisekunde spürt, kein überextrahierter Wein für Männer mit Köpfen rot wie Ochsenherztomaten, die nur zum Glas greifen, um schweinisch schnarchend vor dem Kamin zu verenden. Schonende Mazeration über einen längeren Zeitraum, kein aggressives Auswringen der Trauben und gebrauchtes Holz öffnen das Trinkfenster des Tropfens bereits jetzt. Seriöser Trinkspaß. Auch hier kann ich nur wieder den Hut – beziehungsweise die vergilbte Trucker Cap – vor Big Babo Thoma ziehen. Ob als Sparringspartner für Speisen oder unisono als spätsommerliches Trinkflüsschen auf Balkonien. Für 18 Tacken liefert das mehr als stabil. Und kostet dabei ironischerweise so viel wie das Tomatengedöns im gentrifizieren Globuli-Süden meiner Stadt, das ich mir rein theoretisch leisten könnte.
Am Ende fetze ich aber doch lieber auf bodenständig einen Döner mit Alles und scharf. Dass dieser mittlerweile nicht mehr 3,50 Euro kostet, wie damals, als der Sturz der Zwillingstürme noch in jüngster Vergangenheit lag, ich dachte, in meiner Exfreundin die Frau fürs Leben gefunden zu haben, Mutti Merkel noch politisch aktiv war und der große Traum, Basketballprofi zu werden, noch kein Kreideumriss auf den Straßen meiner Seele war, ist vollkommen in Ordnung. Eine Instanz in Sachen value for money bleibt der Kebap allemal. Genau wie diese beiden Pakete, die easy zeigen, dass Wein nicht immer teuer sein muss, um unbezahlbare Momente zu liefern.
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Ein Gastbeitrag von Milton Sidney Curtis, bekannt aus Instagram, wo er seine Follower regelmäßig mit feinem Content versorgt.