
It’s the freshness, stupid: Trip durchs atlantische Portugal
Hendrik ist kein Messie wie Lionel. Ganz im Gegenteil. Der schattenboxende Silberrücken aus 040 macht klar Schiff wie Putztrupps auf der Queen Mary 2 im Hafen von Hamburg. Die Anker sind geworfen, der Wischmopp getränkt – Zeit für Tabula rasa. Richtig, Frühjahrsputz bei Wein am Limit und wir stauben ab.
Ein angenehm fluktuierendes Sortiment ist ein Muss für Händler, die sich nicht im Kreis drehen möchten wie Hula-Hoop-Reifen. Dieser nuancierte Balanceakt gelingt bei weitem nicht jeder Vinothek, da er neben Fingerspitzengefühl und dem richtigen Timing auch Integrität und Loyalität verlangt. In Zeiten wie diesen rares Gut wie Sonnenblumenöl und Scheißhauspapier während der Corona-Pandemie. Wie oft sieht man Weinhandlungen, die den künstlich vergebens hochgehypten Neuzugang wie eine heiße Kartoffel fallen lassen, nachdem der vollkommen aus der Luft gegriffene Burgund-Vergleich nicht gezündet hat. Oder das exakte Gegenteil: ein angestaubtes Portfolio, das sich der Zukunft verweigert wie die Wahlprogramme bestimmter Parteien, deren Namen ich an dieser Stelle nicht nennen will.
Die goldene Mitte aus heißem Scheiß und langjährigen Wegbegleitern gilt es zu treffen. Clever und akzentuiert auf Trends und Modeerscheinungen aufspringen, um die Welle zu reiten. Weingüter eigens aufbauen und authentisch hochjazzen. Klassiker in Petto haben. Underdogs pushen. Regionen und Länder, die niemand auf dem Schirm hat. It’s all about the Mischung, wie der Viertelamerikaner in mir sagen würde. Big Daddy Thoma gelingt das, meiner Meinung nach, ganz hervorragend. Dafür stehe ich mit meinem Namen. Dass sich im Lauf der Zeit Wege trennen, ist gang und gebe. Dann muss der Stoff eben weg. Allerdings nicht in einer Nacht-und-Nebel-Rabatt-Aktion, die den Stoff rufschädigend verscherbelt wie Zalando-Sales, sondern liebevoll inszeniert. Als Kampagne. Wein-am-Limit-Style eben. Denn nur wer Platz schafft, kann neue Weingüter aufnehmen und sich spannende Allokationen für die Community sichern. Außerdem fahren Einzelflaschen im Lager herum, die auf der Suche nach einem neuen Zuhause sind und kleine Restbestände von Wein XY suchen Abnehmer wie WeightWatchers.
Für pfennigfuchsende Sparschweine heißt das: geiler Stoff zu sexy Preisen. Saftig rabattierte Ware, Rares für Bares, Raritäten, Lagenweine, alles, was das Herz begehrt. Wenn Hendrik ausmistet, gibt’s zum Glück kein vinophiles Resteficken, sondern stabile Namen zu korrekten Preisen: Kolfok, Cupano, FIO Wines, Von Winning, um ein paar zu nennen. Auch Pacalet, der bei der legendären Domaine Prieuré Roch Kellermeister war und laut Legende einen Job bei Romanée-Conti abgelehnt hat, um sich auf die eigenen Weine zu konzentrieren, gibt’s im Sale. Kurz gesagt: die Schnäppchenjagdsaison ist eröffnet. Hier kommen meine vier Empfehlungen:
Wir starten mit dem „Leirana“ von der Bodegas Forjas del Salnés aus Galicien, der die Messlatte in Sachen Preis-Leistung direkt hochlegt. Für rund 14 Taler ein echtes Schnäppchen, das mein Schwabenherz schneller schlagen lässt als die Flügel eines Kolibris auf Kokain. 100 % Albariño aus bis zu 200 Jahre alten Rebstöcken, die zehn Kilometer von der Küste entfernt wurzeln. 70 % des Weins reifen sieben Monate im Stahl. Der Rest wird im französischen Fuder ausgebaut, was für Struktur und Schmelz sorgt – zwei Attribute, die der knackige Albariño mit seiner straffen Säure als Sparringspartner braucht. Das Ergebnis ist ein unglaublicher stabiler Wein für kleines Geld, der gleichermaßen Grauburgunder-Junkies und versnobte Wein-Freaks happy macht. Für jedermann und allefrau. Ob als Solo-Act oder Speisenbegleiter. Ein echter Allrounder und viel Wein für wenig Geld. Geschmacklich befinden wir uns auf einer gelbgrünen Streuobstwiese: Klarer Apfel-Birnen-Touch, doch auch die ein oder andere Zitrusfrucht verirrt sich neben mediterranen Kräuterbüschen in das Geschmacksprofil dieses Preis-Leistungs-Bangers.
Kommen wir zum „Falkenberg“ von FIO Wines, dem spannenden Mosel-Crossover-Projekt von Philipp Kettern und der Douro-Dynastie Niepoort, deren Tropfen ich ohnehin mag. Zugegebenermaßen bin ich voreingenommen, da ich Marco Niepoort, diesen TÜV-geprüften Ehrenmann, persönlich kenne und großer Fan seiner beseelten Art bin. Super Typ. Außerdem hat er mir eine Flasche gereiften weißen Portwein zum Geburtstag geschenkt, obwohl wir uns nur zweimal gesehen haben, doch ich will nicht abschweifen. Also „Falkenberg“, 100 % Mosel-Riesling. Hier aus 2016, sprich wunderbar in sich ruhend und slightly angereift, wenn man so will. Keine Spur von aggressiver Apfel-Säure, bissigen Grüntönen oder pubertärer Unausgeglichenheit. Dennoch unglaublich frisch und wunderbar knackig für 9 Jahre Flaschenreife. Ausgestattet mit Cool-Climate-Charakter, was darauf zurückzuführen ist, dass der Falkenberg eine etwas kühlere, hoch gelegene Lage in Piesport in Waldnähe ist. Mit 11 % Alkohol schlank, dennoch aromatisch tief. In der Nase glasklar Riesling, am Gaumen könnte man durchaus an einen schiebend salzigen Chenin Blanc mit knochentrockener Struktur und feinem Bitterstoff denken, ehe die Schieferwürze und der mineralische Kern das Ruder übernehmen und in Richtung Mosel brettern. Schönes Mundgefühl, weder dünnes Säftchen noch extrahierte Wuchtbrumme, sondern genau richtig dosiert. I like. Primärfruchtfreie Zone. Für rund 22 Taler fallen mir wenige Rieslinge ein, die dermaßen liefern. Eigentlich absurd, dass man diesen Wein überhaupt noch perfekt gelagert und mit 9 Jahren Flaschenreife dermaßen easy irgendfuckingwo bestellen kann, aber was weiß ich denn schon.
Weiter geht es mit dem „Piglio Berlame“ von Abbia Nova aus Latium, einer Region südlich von Rom. Für mich Wein des Abends. Blind hätte ich den Wein im Jura verortet, was wiederum daran liegen könnte, dass ich gerade gefühlt wöchentlich Rotweine von Ganevat aus den Rebsorten Trousseau und Ploussard trinke. In der Nase durchaus naturig, etwas dirty, wunderbar animierend und kräuterfrisch. Fast wie ätherischer Wermut, allerdings ohne den beißenden Alkohol. Auch an Aperol könnte man denken. Als hätte man drei Rosmarinbüsche, Thymiansträucher, etwas Pfeffer und eine Horde frischer Orangenzesten in einen saftigen Rotwein geschmissen und die schmackige Angelegenheit wie Tee ziehen lassen. Am Gaumen wirkt der Wein dunkler und konzentrierter als die Rotweine aus dem Jura. Dichter, tiefer, zupackender, auch fülliger, was sicher den 14 % Alkohol geschuldet ist, dennoch saftig und animierend. Ich will fast sagen eine eigene Spielart, die Saft und Kraft und spielerisch miteinander verbindet. Perfekt für Menschen, denen juicy Rotweine aus dem Naturwein-Spektrum zu dünn sind. Spontanvergoren, 1 Jahr in der Amphore und 2 Monate vor Abfüllung in Demijohn-Glasballons zur Harmonisierung gereift. Ungeschönt, unfiltriert und mit minimale Schwefelbeigabe gefüllt. Rebsorte Cesanese d’Affile, ein autochthoner Schatz der Region, der mich persönlich an eine Mischung aus Nebbiolo, Trousseau und Ploussard erinnert. Kurz gesagt: Geiler Stoff für Naturwein-Skeptiker.
Last but not least ein Klassiker. Wer mich kennt, weiß, dass ich vorzugsweise leichte Rotweine trinke, die in Farbe und Herstellung transparent sind, quasi durchlässig und lässig. Alkoholarme Tropfen, die frisch daherkommen, naturbelassen, energetisch, mit tänzelnder Frucht und animierender Säure über das Zünglein schießen. Manchmal, wenn die Sterne in der richtigen Konstellation stehen, ist mir allerdings auch nach einem mafiösen Rotwein. Einem Mutterbusen, einer starken Schulter mit fünfzehn Prozent, einer innigen Umarmung. Einem Bilderbuchrotwein. Sangiovese. Von Cupano.
Toskana. Montalcino, um genau zu sein. Hier haben Journalistin Ornella Tondini und Filmemacher Lionel Cousin (RIP) das 7 Hektar kleine Weingut gegründet, das jährlich lediglich 12.000 Flaschen abwirft. Die Bewirtschaftung der Weinberge erfolgt biodynamisch, rigorose Selektion und geringe Erträge, der Most vergärt spontan, zusätzlich kommen die Weine ohne Filtration oder Schönung aus. Beste Voraussetzungen für grandiosen Stoff.
Ich habe mich für den Brunello di Montalcino aus 2017 entschieden. 100 % Sangiovese, 38 Monate in Barriques gereift, davon 30 % Neuholz-Anteil, sprich nicht komplett durch den Möbelladen gebolzt, dennoch von einer feinen Holzkontur geprägt, die gemeinsam mit einem stabilen Gerbstoff und dem legendären Säurenerv eine perfekte Basis bildet. Anfangs muss der Wein stoßbelüftet werden, dann allerdings blüht er auf und wird von der Minute zu Minute harmonischer und entfaltet komplexe Aromen, die irgendwo zwischen einer schmatzigen Kirschfrucht, getrockneten Rosenblätter, frischen Orangenzesten, ätherischen Kräuter und Tabaknoten changieren. Mit viel Zeit kommt auch etwas Lakritze zum Vorschein. Ein sehr stabiler Wein, der sicher nicht günstig ist, doch in Sachen Qualität und vor allem Reifepotential die Messlatte extrem hochlegt. Kürzlich erst 2005 getrunken: zum Niederknien.
In diesem Sinne: Die Schnäppchenjagdsaison ist eröffnet. Viel Spaß beim Suchen und Stöbern. Mögen alle Trüffelschweine dieser Welt mit uns sein.