Willkommen im neuen Kalifornien
Partners in Crime
Sein Name lässt sich so leicht aussprechen, wie sich die einprägsamen Songs der Pop-Ikone problemlos nachträllern lassen. In noch einer Kategorie nimmt sich das Duo nichts. Überall auf der Welt ist ihnen der Erfolg garantiert. Soll heißen: Chardonnay performt auf jeder Bühne der Erde, so wie die US-Sängerin ihre Swifties in ihren Bann zieht. Beide werden für ihre chamäleonartigen Vibes ekstatisch gefeiert. Sie vermitteln das Gefühl von „heile Welt“, die wir uns in diesen krassen Zeiten so intensiv herbeisehnen. Einer schmeichelt Nase und Gaumen, die andere kümmert sich um Augen und Ohren.
Wo Liebe proklamiert wird, da trifft sie auf „Hate“ oder Neid – noch eine Gemeinsamkeit. Bereits Ende der 90iger formierte sich die „ABC – Anything but Chardonnay“ Bewegung. Gelangweilt vom stereotypen Geruchs- und Geschmacksbild der Industrievariante, die an eine Schreinerei mit eingebauter Destillieranlage erinnert, rief der Chardonnay seine Gegner auf den Plan. Es stimmt, auf die plumpe Variante sattelten viele, auch bekannte Winzer auf. Und die meisten übertreiben es (noch immer!) mit dem würzigen Eichenholzgeschmack, der mehr an Bourbon als an Wein erinnert. Es ist so gewollt, weil pompöses „Bling Bling“ und ein bisschen Fake gerade „en vogue“ sind. Etwas Restsüße gefällig? Kein Problem, merkt sowieso fast keiner und eckt weniger an. Das Publikum liebt Chardonnay auf Steroiden. Läuft durch…
Was an solchen Stoffen noch echt ist?
Die Frage könnte genauso gut ein plastischer Chirurg beantworten. Fässer waren gestern, den beliebten Holzduft gibt es auch als hochdosiertes Pulver. Da wo Erfolg zuhause ist, da sind die Trittbrettfahrer nicht weit. Die Liste im Besteckkasten der önologischen Grausamkeiten ist lang, zu lang. Alles im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten, aber mehr auch nicht. Legal, illegal, scheißegal!
Ich lehne mich jetzt weit aus dem Fenster, aber einige der besten trockenen Weine, die ich je getrunken habe, waren Chardonnays. Natürlich sind die großen Namen aus Burgund darunter. Von dort stammt er, bevor er seinen Siegeszug um die Welt antrat. Aber ein Monopol auf den besten Chardonnay haben unsere Nachbarn nicht. Vor allem aus Übersee oder Deutschland, Österreich, Slowenien oder Italien u.v.m. habe ich hervorragende und ebenbürtige Vertreter getrunken. Anders, aber auf ihre Weise genauso faszinierend.
Der aromatische Spannungsbogen reicht je nach Reifegrad der Beeren von Zitrusfrüchten, Melone, Ananas, Mandeln, salziger Butter, Feuerstein, Honig, Vanille bis zu Kräutern. So einladend und einfach zu verstehen. Auch am Gaumen hat der Chardonnay ein faszinierendes Spektrum zu bieten. Der feinen Säure, dem salzigen Geschmack steht ein feiner Schmelz oder eine weiche Cremigkeit gegenüber. Sexyness pur, oder Zuckerbrot und Peitsche.
Burgund: Das Zentrum des Chardonnays
Während die Deutungshoheit für den Chardonnay lange Zeit in Frankreich lag, ändern sich die natürlichen Rahmenbedingungen, teils drastisch. Das klimatische Fenster verschiebt sich gerade enorm, auch wenn es noch geöffnet ist. Burgund liegt im Zentrum des Landes. Das semikontinentale Klima mit mediterranen Einflüssen kann in manchen Jahren, neben anderen Wetterphänomenen, zu warm werden. Die Finesse und Eleganz, die die Bourgogne einst auszeichneten, lassen sich nicht mehr jedes Jahr erzeugen. Dafür steht den Burgundern ein jahrhundertealtes „Know How“ für die besten Plätze und ein biodiverses Rebenmaterial zur Verfügung was dieses Manko kompensiert, vorerst. Die Dichte berühmter und großartiger Weine aus diesem Landstrich ist ein Einhorn auf dem Weinplanet, aber kein Monopol.
Außerhalb seiner Urheimat gibt es viele einzigartige und geeignete Terroirs auf der Welt. Mit Kalk- oder Vulkanboden, alten Reben, moderatem Klima, egal ob hoch in den Bergen oder mit maritimem Einfluss.
The New Wave of Chardonnay
Eine neue Winzer-Avantgarde kristallisiert sich seit einigen Jahren auf der ganzen Welt heraus. Sie lesen keine überreifen Beeren, sondern gehen früh und rechtzeitig in die Weinberge. Ihr Mantra sind moderate Alkoholwerte, herber Gripp durch gekonnten Schalenkontakt oder Ganztraubenpressung, adäquater Holzeinsatz, saftige Säure und Balance im Weinberg. Manche versuchen sich am Feuerstein- oder Bölleraroma, dem Markenzeichen, das einigen der berühmtesten Burgunder zu eigen ist. Einigen gelingt das auf Augenhöhe, genau wie markante Steinigkeit und dekadente Salzigkeit aus den Lagen herauszukitzeln. Terroir exists, auch außerhalb von Frankreich.
Burgund und seine Vinifikation waren lange Zeit die Blaupause für Winzer rund um die Welt, doch das Selbstbewusstsein und vor allem die Qualität, die außerhalb der Côte d’Or zu finden ist, lohnt den Blick über den Tellerrand. Vielleicht werdet ich doch noch zum „Swiftie“ oder mindestens ein „Chardonnay Adict“ so wie wir.