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Vergesst den Preis!

Günther Jauchs Weine bei Aldi sind mal wieder zum Thema geworden, denn der Discounter hat die Preise um einen Euro pro Flasche gesenkt. Völlig egal, sagt unser Kolumnist. Er möchte endlich wieder über wichtigere Dinge sprechen als übers Geld.

Deutschland ist ein preissensibler Markt. Das hat sich nicht nur hierzulande herumgesprochen, auch im Ausland ist dieses Phänomen längst als typisch deutsch bekannt. Wir werden auf der ganzen Welt bewundert für unsere Effizienz und Leistungsbereitschaft, aber insgeheim fragt man sich, was wir aus unserem Erfolg machen. Wir exportieren teure Technologiewerte und kaufen vom Überschuss billige Lebensmittel, die billigsten in Europa. Dass viele Menschen darauf angewiesen sind, möglichst günstig einzukaufen, ist mir durchaus bewusst, doch es gibt genügend, die das nicht nötig haben und es trotzdem tun. Wir sind ein Ingenieurland, entsprechend werden die Prioritäten gesetzt. Wenn es nicht gerade ums Auto geht, sparen wir uns kaputt. Da werden für einen Liter Motoröl schon mal 25 Euro bezahlt, aber ein Wein darf nicht mehr als fünf Euro kosten. Bizarre Zeiten.

 

„Mir egal wie teuer der Liter Diesel ist … Aber für meinen Wein gebe ich nicht mehr als 4,99€ aus.“

 

Besonders befremdet hat mich die letztjährige Debatte um den Discounter-Wein des Fernsehmoderators Günther Jauch. Keine Angst, nicht schon wieder, ich will die Debatte um seine Beweggründe gar nicht weiter anheizen. Dazu haben ja fast alle, die sich mehr oder weniger für Wein interessieren, irgendwo ihren Senf gegeben; aus Sicht der PR-Strategen hat Jauch sicherlich alles richtig gemacht. Nein, ich will über uns und unsere Diskussionskultur sprechen: Haben wir keine besseren Themen?

 

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Immer über Preise zu reden, langweilt mich nicht nur, es ist unsinnlich und irgendwie auch beschämend – genau wie dieser banale Wein. Trotzdem sind die Jauch-Flaschen zum Thema Nummer eins geworden, vor allem in den sozialen Netzwerken. Wir räumen solchen Debatten viel zu viel Platz ein. Sie rauben der Kulinarik den Raum und der Weinkultur ihren eigentlichen Stellenwert. Die Frage nach dem Preis dominiert unser Lebensgefühl. Natürlich spielt es eine Rolle, was etwas kostet. Aber für mich steht an erster Stelle: Wie schmeckt das? Erst dann kommt die Frage: Will und kann ich mir das leisten?

Häufig werde ich – hat man mich erst einmal als Experten ausgemacht – am Rande von tollen Weinveranstaltungen gefragt, wie ich den Champagner vom Discounter (Sie wissen schon, von welchem) oder den dort angebotenen Barolo finde. Während ich früher versucht habe, zumindest ein paar aufklärende Worte zu finden, drehe ich mich heute einfach um. Es ist nervtötend, diesen Menschen durch die Hintertür eine Bestätigung für ihre von „Geiz ist geil“ geprägte Weltanschauung geben zu sollen. Insbesondere dann, wenn man noch den exzellenten Geschmack eines großen Weins auf der Zunge hat, die der großzügige Gastgeber vorher mit seinen Gästen geteilt hat. Für mich kommt eine solch platte Frage einem Affront gleich, schließlich  hätte das Gespräch eine ganz andere Qualität verdient.

 

Hendrik’s Gesicht, wenn er auf Discounter-Weine angesprochen wird.

 

Ich frage mich, ob diese übertriebene Fokussierung auf den Preis eines Lebensmittels bereits Teil unserer Genetik ist. Wahrscheinlich. Es ist nicht mehr rauszubekommen aus unserer Gesellschaft. Da regiert prüdes Puritanertum, das keinen Sinn für Ästhetik hat und einen unsensiblen Umgang pflegt – weit davon entfernt, sich ernsthaft mit dem eigenen Geschmack zu beschäftigen. Es ist eigentlich unverantwortlich, billige Weine einzukaufen, allein schon unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit. Denn ich unterstelle, dass viele Massenproduzenten nicht gut mit den Böden, der Tierwelt und den Pflanzen umgehen. Da wird Herbizid, Fungizid, und Pestizid gesprüht, viel bewässert und im Keller manipuliert, was das Zeug hält. Die Mitarbeiter, wenn überhaupt noch nötig, werden schlecht entlohnt, die Ausstattung und der ganze Vermarktungsprozess befinden sich auch am unteren Ende der Möglichkeiten. Nein, es kann nichts halbwegs Gutes dabei raus kommen, das wissen wir von der Massentierhaltung oder von Billigbrot, das nur nach Pappe schmeckt. Warum soll das beim Wein anders sein? Allein aufgrund der Rahmenbedingungen können Jauch’s Weine nichts taugen, die er von einer großen Kellerei abfüllen lässt. Trotzdem redet die Mehrheit weiterhin über den Preis des Promi-Weins, nicht über seinen Geschmack, seine Herkunft, seinen Ausbau oder über die Menschen, die ihn erzeugt haben.

 

Hinter einem nachhaltig produziertem Wein steckt viel Arbeit. Bei Großkellereien weiß man hingegen nicht wo die Trauben herkommen. Werden die Menschen die bei der Lese helfen, den Wein verarbeiten und produzieren wirklich angemessen entlohnt?

 

Dabei gibt es wunderbare Möglichkeiten, über Wein zu sprechen. Dazu müssen wir aber wieder die Grundregeln für ein gesundes Qualitätsbewusstsein beachten und mehr über die Verfeinerung des Geschmacks reden. Jedes Volk bekommt die Debatte, die es verdient. In unserem deutschen Fall ist sie einfach nur billig. Hoffentlich hört das bald auf – bevor ich noch anfange, Selbstgespräche zu führen.

Dieser Text erschien zuerst im Feinschmecker 08/2019

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