Malbec, der große Verführer
Wenn Wein am Limit Messe macht, ist das anders wie Thomas.
Der fleischgewordene Flakon namens Sybille, der an jedem Stand kreischend nach Grauburgunder fragt und melancholisch seufzend vom Lugana schwärmt, den sie letzten Sommer im Urlaub entdeckt hat, sucht man auf der Waliversum vergebens. Selbes gilt für den Bordeaux-Boomer aus Blankenese, der keinen einzigen Schluck spuckt und bereits um 12:48 Uhr so besoffen ist, dass er dem Loire-Winzer von Stand 7 am Pissoir stolz erzählt, dass er Maxi Riedel 2017 beim Skifahren in Kitzbühel getroffen hat. Diese und weitere Klischees bleiben Walinauten – ob Fachmensch oder Privatperson – auf der Hausmesse von Wein am Limit glücklicherweise erspart.
Bumsvolle Hütte!
Trauben von Menschen, die sich neugierig um Stände bilden. Ertragsreduziert. Wie bei der grünen Lese. Die Hütte ist dennoch bumsvoll, keine Frage, doch was den Altonaer Kaispeicher mit Blick auf die Elbe und meinen Körper trotz leichter Größenunterschiede eint: Die Massen verteilen sich gut. Als Rebschnitt dienen vier spannende Masterclasses, die für Ausdünnung sorgen, eine Chill-out-Area mit bunt bestücktem Buffet und weitere Bespaßungs maßnahmen wie Hipster-Kaffee, lokales Craft Bier und Brot vom Bäcker, nicht aus der Fabrik.
Bei Chris Alheit aus Südafrika ist selbstverständlich immer Full House und auch das Négoce-Projekt Maison Harbour vom quirligen US-Boy Nicholas, der von Sternzeichen Grinsekatze ist, erfreut sich großer Beliebtheit. In Summe Top-Bedingungen. Überall geistige Beinfreiheit. Eine Armlänge Abstand geht zu 87,4 % der Zeit klar und auch der Sauerstoff ist nicht bereits von zwei Dutzend Raucherlungen recycelt worden. Einmal Stoßlüften in Hamburg und der Raum wirkt innerhalb von drei Sekunden frischer als eine Vorteilspackung Fishermen’s Friend. Als 1. Vorsitzender der Vereinten Frostbeulen von Stuttgart kickt die nordische Kälte sowieso anders und auch mein ohnehin heftiger Herbstblues nimmt Ausmaße an, die schleunigst in einen Container gehören, um ans andere Ende der Welt verschifft zu werden.
Apropos: Als Bursche aus BaWü, der sonst passioniert Trollinger pusht oder frankophilen Stoff schlürft, liebe ich Hendriks zu meinem Trinkverhalten diametral verlaufenden Übersee-Fetisch, der sich auch im Messe-Line-up spiegelt, das sich wie die abgespeckte Destinationsliste der upcoming Weltreise einer Anwaltstochter mit taufrischem Abitur liest. Auf die zwei Kurzaufenthalte in Germany an der Nahe und in Franken folgt ein Wochenende am Neusiedlersee in Österreich, ehe es in den Nordosten von Slowenien geht. Im Anschluss viel Frankreich: Beaujolais by the way, doch auch die Loire wird abgeklappert und das Burgund darf selbstverständlich nicht fehlen. Im Anschluss stehen diverse Teile des gestiefelten Italiens auf dem Reiseplan, darunter zwei Zwischenstopps in sexy Sizilien. Kurz darauf ruft das Rioja in Spanien, doch auch La Palma wird heimgesucht, ehe es für einen Abstecher nach Portugal geht. Dann beginnt der kosmopolitische Part des Trips, der mit Gastspielen in Argentinien, Australien und Südafrika für ordentlich Vielfliegermeilen sorgt.
Ich kenne das Portfolio meines hanseatischen Lieblings-Dealers und Kooperationspartners natürlich gut, teils in der Praxis, teils theoretisch, doch freue mich auf einen tiefschlürfenden Kopfsprung in ganze Kollektionen, die jeweiligen Menschen hinter den Weinen und das Team von Wein am Limit.
Geschäftsführerin Bianca, die starke Frau, die Oberwappler Hendrik den Silberrücken freihält und nebenbei Sommelière ist. Annekathrin, die das Marketing bei Wein am Limit verantwortet und meine Magazin-Beiträge fachfraulich betreut. Karl, Social Media-Mensch und super Typ, der sich um die Content Creation kümmert. Mein Brudi Sven, seines Zeichens Produktmanager und Naturwein-Trüffelschwein von Württemberg bis Mittelrhein. Der hypersympathische Patrick, der momentan Richtung Sommelier schielt und sich gemeinsam mit Carolin um das Thema Sales kümmert, die selbstverständlich auch Sommelière ist und nebenbei die komplette Organisation der Messe übernommen hat. Auch Cyber-Homie Jonathan, der bei Wein am Limit als Texter in die Tasten haut und für Anfang November frech gebräunt ist, konnte ich kurz treffen und last but not least Torsten aka Totti, Sales Manager und noch ein Sommelier. Nicht vergessen werden darf natürlich Praktikantin Joya, Hendriks Tochter, die sich für das Waliversum-Design verantwortlich zeichnet und für frischen Wind bei Wein am Limit sorgt.
Alle Menschen treffen, die bei Wein am Limit arbeiten: auch wieder so ein #fullcirclemoment, nachdem ich 2019 noch selbst Walinaut war. Schön.
Wir gehen rein da!
Ich starte bei Marcus Hees, der just zum Aufsteiger des Jahres in der Vinum gewählt wurde, um meinen Gaumen mit frischen Weißweinen zu kalibrieren. Ein Sympathie-Schwergewicht sondergleichen, das an der Nahe Rieslinge mit enormem Preis-Leistungs-Verhältnis auf Braunglas beamt. Dass ich kurz vor Mitternacht im Rive, wo wir den Abend ausklingen lassen, noch kurz mit seiner Frau telefonieren sollte, die er als Fan meiner Texte outet, macht die ganze Geschichte so zuckersüß, dass ich fast in Versuchung gerate, bei meiner Zahnzusatzversicherung durchzuklingeln. Einer von vielen Momenten, die an diesem Wochenende neben dem Feedback zahlreicher Messebesucher, die mich auf meine Texte ansprechen, wie Narben-Gel für die Seele wirkt.
Selbstverständlich schaue ich kurz bei Nuno von Ramilo Wines vorbei. Das Weingut an der windgepeitschten Küste Lissabons ist meine Neuentdeckung schlechthin. Auch vor der Messe. Bin Fan. Und was für einer. Zwei Weine – der „Nativas Tinto“ und der „Nativas Branco“ – haben es bereits in meine Pakete geschafft. Nichts für NPCs, sondern Charakterstoff mit Ecken und Kanten. Mein persönliches Highlight – dickes Sorry an dieser Stelle – ist allerdings ein Wein, den Nuno exklusiv am Vorabend auf Preview-Basis vorgestellt hat. Eine rote Cuvée, die auf den Namen „Ramisco Castelão Tinto“ hört und erst 2025 auf den Markt kommt. Gekeltert aus autochthonen Rebsorten, deren Namen ich noch nie gehört habe wie Scooter-Alben. Geile Energie. Viel Tee, Rooibos vielleicht, meint auch Chris Alheit, hinzu kommt ein grüner Crunch, der ätherisch zwischen krautigen Tönen und getrockneten Kräutern changiert, abgerundet von einer schmatzigen Säure und saftigem Trinkfluss, der hedonistisch „Cherry, Cherry Lady“ in den Nachthimmel posaunt. Genau meins.
Ebenso ein grandioser Rotwein, für mich das Messe-Highlight schlechthin, im Gegensatz zum „Ramisco Castelão Tinto“ allerdings verfügbar: der Gevrey-Chambertin von Maison Harbour aus der 0,18 Hektar kleinen Parzelle „En Billard“ an der Côte de Nuits im Burgund. Ein Pinot Noir aus 40 Jahre alte Reben. Knackige Frucht, die purpurfarben daherkommt wie die Auswärtstrikots der Los Angeles Lakers trifft sanftes Tannin, eine animierende Säure und saftig-seriösen Trinkfluss mit Tiefgang. Sitzt, passt, wackelt und hat Luft. Druckvoll und tänzelnd zugleich. Ein genialer Wein, doch auch der Aligoté macht unglaublich Fun. Ich liebe die Rebsorte, halte sie für maximal unterschätzt und freue mir jedes Mal ein zweites Arschlosch in den Allerwertesten, wenn Weingüter die Sorte nicht stiefmütterlich behandeln. Bei Nicholas und Colleen ist genau das der Fall. Alte Reben, wenig Ertrag, dafür volle Konzentration wie Scharfschützen auf Betablocker. 18 Monate Reifezeit, 12 davon im gebrauchten Barrique mit 228 Litern Fassungsvermögen, ehe ein sechsmonatiges Nickerchen im Stahltank folgt. Streuobstwiese trifft Amalfiküste, trinkanimierende Säure, feiner Schmelz. Tipptopp.
Kommen wir zu meinen zwei Weißwein-Highlights, die es als Paket gibt.
Fangen wir mit Bud-Spencer-Bruder Chris Alheit an, der in der Walker Bay in Südafrika Champions League-Chenin Blancs keltert. Ein Kanonenschlag von einem Kerl mit einer Weißwein-Kollektion von Weltklasse. Für Fans von Chenin Blanc führt meiner Meinung nach kein Weg an seinen Weinen vorbei, die spielerisch Kraft und Frische vereinen. Insbesondere die Spitzenweine können sich easy mit den größten Unicorns der Loire messen – von mir aus auch Richard Leroy, den ich kürzlich erst in Paris im Glas hatte. Ich habe mich für den „Cartology“ entschieden, der aus 94 % Chenin Blanc und 6 % Sémillon besteht. Ein Herkunftswein par excellence, der den kargen, doch kraftvollen Charakter der unbewässerten Weingärten widerspiegelt. Handlese, Ganztraubenpressung, Spontangärung. Kurz: Craftsmanship straight outta SA. Die 6 % Sémillon, eine Rebsorte, die den größten Süßweinen der Welt zu Fame verholfen hat, spendet dem straffen Stoff Fülle, Körper und eine weitere Dimension an kaleidoskopischer Komplexität. Im Glas ein Moshpit aus ätherischen Kräuternoten, reifem Kernobst und den Aromen von grüner Birne und Salzzitrone. Gerahmt von einem phenolischem Grip, der gemeinsam mit einer schlotzigen Säure alles in Zaum hält. Ein Weltenbummler von Wein, der sich schlafwandlerisch zwischen reichhaltigem Extrakt und kristallinem Vroom bewegt. Wirklich starker Stoff.
Und dann ist da der Preis-Leistungs-Banger der Messe im Bereich Chardonnay: „The Agnes“ von Crystallum. Wir bleiben in Südafrika und an der Walker Bay, wo die beiden Brüder Peter-Allen und Andrew das Familienweingut in 3. Generation führen. „The Agnes“, benannt nach der Großmutter, ist der Einstieg in die Welt der Crystallum-Weine, doch alles andere als your typical Basiswein. Die Franzosen sind zwar nach wie vor King Louie im Haifischbecken Chardonnay, oui, oui, doch das Gerät kann den Vertretern aus dem Burgund auf dem Preisniveau – 28,50 Euro – selbst auf vier Pullen WICK MediNait die Stirn bieten. 100 % Chardonnay, gewachsen auf Sandstein und Tonschiefer, spontanvergoren und 9 Monate in gebrauchten Eichenholzfässern gereift. Zu Beginn Zitronenabrieb und gelbfruchtige Töne, die mit etwas Fantasie und drei Gläsern im Kopf entfernt an Quitte erinnern. Hinten raus ein feiner Schmelz, der sich irgendwo zwischen gesalzener Butter, Popcorn und karamellisierter Ananas bewegt. Die perfekte Balance aus Frische und Körper, genau wie ich es liebe.
Gehen wir über zu Rot über. In dem Fall: Eduardo Torres Acosta! Ein ruhiger Typ, der seine Weine für sich sprechen lässt, die auf der Nordseite des Vulkans Ätna auf Sizilien wachsen. Auch hier wieder – eine Art roter Faden, der sich gefühlt durch meine Auswahl zieht – Weinbau am Limit. Ich habe mich für den „Versante Nord“ aus dem Jahr 2021 entschieden. Vulkanischer Stoff, der ganz wunderbar strukturiert daherkommt, wie das Autobahnkreuz in meiner Heimatstadt Stuttgart-Vaihingen. 85 % Nerello Mascalese, 15 % autochthone Rebsorten, die namentlich nicht weiter genannt werden. Von Hand gelesen, komplett entrappt, anschließend sanft gepresst und 18 Monate in gebrauchten Barriques und Betontanks spontanvergoren. Vulkan-Power pur! Wunderbares Tannin trifft tänzelnde Frucht, Anklänge von Tee, ein Aroma, das ich momentan besonders gerne in Weinen suche. Schön ätherisch, vulkanisch würzig, dann wieder eine rotbeerige Frucht und diese karge Ätna-Mineralik. Wirklich geil für das Geld und ein Herbstwein par excellence.
Wir bleiben in Sizilien. Montecarrubo von Legende und Grandseigneur Peter Vinding-Diers himself, der für mich die Rotwein-Kollektion der Messe abgeliefert hat. Ich habe mich für den „Il Piccolo“ 2021 entschieden: 80 % Syrah, 15 % Merlot, 5 % Cabernet Franc – 100 % Wohlfühl-Wein mit Seele und Tiefgang. Für das Geld ein genialer Schnapp, da der Saft seiner Spitzenweine, der nicht mehr in die Fässer passt, in diesen Wein wandert. Aber nicht weitersagen, das soll unser Geheimnis bleiben! Dunkle Frucht, die einen in den Arm nimmt und den Gaumen umarmt, dabei nie ins Marmeladige driftet. Mit 12,5 % Alkohol wunderbar schlank und ausgestattet mit einer Säure, die dem Potpourri aus dunklen Früchten perfekt die Stirn bietet. Ein Bilderbuchrotwein mit seidigem Tannin, wunderbarer Frucht und Tiefgang. Als wäre Marvin Gaye himself Winzer geworden. Alte Schule in frischem Gewand, love it!
Last but not least schielen wir ins Beaujolais. Gamay von Julien Sunier, dessen Vater früher in der Region als Coiffeur unter anderem Winzer-Legende Christophe Roumier die Haare geschnitten hat. Daher auch Juliens wurzelechte Leidenschaft für das Winzertum, der jetzt unglaublich geilen Stoff auf Flasche zieht. Der „Fleurie“ aus dem Jahr 2022 kommt mit beaujolässigem Trinkfluss um die Ecke gebrettert, hinzu kommt eine vibrierende Frucht, die entfernt an Kolanuss und Kirsche denken lässt, dann wieder saftige Säure, die schiebt und schiebt und schiebt. Über diesen Wein will ich nicht schreiben, ich will ihn trinken. Straight aus der Flasche. Sooo animierend. Biodynamisch bewirtschaftet, von Hand gelesen, minimalinvasives Winemaking im Keller, das man mit jedem Schluck dieses dynamischen Safts schmeckt. Nach dem ersten Sip war klar: ein Muss für mein Paket!
Meine Messe-Highlights „Rouge“ und „Blanc“ , sowie alle Stoffe einzeln, gibt’s im Shop. Spaß im Glas, wie Big Babo Thoma sagen würde! Oder auch: heißer Stoff für kalte Tage. In diesem Sinne: Cheers!
Ein Gastbeitrag von Milton Sidney Curtis, bekannt aus Instagram, wo er seine Follower regelmäßig mit feinem Content versorgt.