Malbec, der große Verführer
Ja, in der konservativen deutschen Weinszene wurden »bio« und seine Protagonisten lange belächelt, in die Ecke gestellt und ignoriert. Einige der Bio-Weine waren auch durchaus mirakulös – vielleicht so wie es heute einige Naturals sind. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. So wie die Grünen heute Regierungsverantwortung übernehmen, ist in aufgeklärten Kreisen nicht mehr die Frage, ob, sondern in welcher Art man »bio« ist und wie ernst man es tatsächlich mit dem ökologischen Anbau meint. Da gibt es diejenigen, die zwar ökologisch arbeiten, sich aber nicht zertifizieren lassen. Da gibt es jene, die zu 90 oder 95 % ökologisch arbeiten, aber einen Weinberg haben, der partout nicht ohne Fungizide auskommt, weil die Feuchtigkeit immer in irgendwelchen Ecken hängen bleibt. Dann gibt es die konventionell arbeitenden Winzer, die »naturnah« arbeiten, wobei dieser Begriff aus der Sprachhölle stammt.
Außerdem gibt es welche, die behaupten, biologisch zu arbeiten, weil es trendy ist, die sich aber trotzdem nicht in die Karten schauen lassen. Natürlich findet man auch die biodynamisch arbeitenden Winzer, bei denen sich zur Ökologie noch esoterische und ganzheitliche Aspekte hinzugesellen. Was Biodynamie bedeutet, haben wir vor ziemlich genau einem Jahr hier im Magazin schon mal näher beleuchtet. Welche Unterschiede es tatsächlich zwischen Biodynamie nach demeter®-, respekt-BIODYN®- und Biodyvin®-Richtlinien oder biologisch-organischem Anbau nach Bioland®-, Naturland®- oder Ecovin®-Zertifizierung, der EU-Bio-Norm und konventionellem Anbau gibt, ist aber tatsächlich den wenigsten klar. Deshalb fassen wir das hier mal übersichtlich, wenn auch gekürzt, zusammen. Gekürzt deshalb, weil allein schon die erlaubten und weniger erlaubten Mittel und Anwendungen im Weinkeller viele Dutzend Seiten umfassen würden.
Kurze Rückschau
Die Frage nach dem Einsatz von fremden Stoffen im Weinberg stellt sich für die Winzer seit dem 19. Jahrhundert. Damals hat man amerikanische Wild-Reben zu Versuchszwecken aus den USA nach Europa gebracht. Dass diese mit Rebläusen verseucht waren, die sich in ganz Europa rasant ausbreiteten, ist weitgehend bekannt. Doch die Rebstöcke hatten noch mehr im Gepäck, und zwar den echten (Oidium) und den falschen Mehltau (Peronospora) sowie die Schwarzfäule. Diese Pilze breiteten sich fast ebenso schnell wie die Reblaus aus und wurden ebenfalls zu einem ernsthaften Problem. Während man die Reblaus nach zunächst extremen Verlusten in den Griff bekam, kämpfen die Winzer bis heute gegen den Mehltau. Damals hatte man recht schnell zwei Gegenmittel gegen die Fäulniskrankheiten gefunden. Mit Schwefel und der sogenannten Bordelaiser Brühe, einer Mischung aus Kupfersulfat, Kalk und Wasser, rückte man den Krankheiten zu Leibe. Kupfer und Schwefel sind bis heute die Mittel der Wahl, wenn es im Bio-Anbau um die Bekämpfung dieser Krankheiten geht. Auch wenn jeder Bio-Winzer weiß, dass Kupfer als Schwermetall definitiv nicht die ultima ratio ist, gibt es für den Bio-Anbau bisher kaum Alternativen.
Der konventionelle Weinbau hat sich dagegen im Laufe der Zeit an die Entwicklungen des chemischen Pflanzenschutzes gewöhnt, der heute Dutzende, wenn nicht Hunderte von Präparaten für den Obstbau umfasst. Diese chemischen Präparate wurden lange Zeit recht bedenkenlos verwendet, ganz so, wie es geschulte Vertreter der chemischen Industrie in den 1960er und 1970er Jahren propagiert hatten. Die meisten Winzer in dem Qualitätsbereich, wie wir ihn vertreten, setzen diese Präparate jedoch nur noch ganz gezielt und zurückhaltend ein; denn seit den 1970er und 1980er Jahren, in denen man sich – wenn man im Sommer durch die Weinberge wanderte – durch häufige Nebel von Fungiziden und Herbiziden kämpfen musste, hat sich doch einiges getan. Das Bewusstsein für den Umweltschutz ist größer geworden – auch wenn man eigentlich noch viel mehr erwarten dürfte. Und auch der Sinn für das Bodenleben als Grundlage für die Qualität im Weinberg hat sich vergrößert. Wo in den 1980er Jahren noch der Hausmüll von Paris als Dünger in die Weinberge der Champagne gekippt wurde und ein bekannter Bodenforscher dem Burgund attestierte, dass der Boden dort weniger Leben aufweise als die Sahara, hat zumindest in Teilen ein Umdenken stattgefunden. Wer sich heute für einen umweltbewussteren Weg entscheidet, hat viele Möglichkeiten. Doch wie sehen diese aus?
Bio ist nicht gleich Bio
Sowohl im konventionellen als auch im biologischen Landbau gibt es viele Alternativen. Gerade was die ökologische Arbeitsweise angeht, findet man diverse Zertifizierungen auf dem Markt. Die häufigste in unseren Breiten ist das EU-Biosiegel. Dieses Siegel stellt bis heute den kleinsten Nenner dar. Es ist der Kompromiss, für den sich alle EU-Mitgliedsländer trotz unterschiedlichster Interessen entschieden haben. Definitiv ist er besser als nichts, aber für einen engagierten Öko-Aktivisten sind die Vorgaben viel zu lasch. So ist es Weingütern, die nach EU-Biosiegel zertifiziert sind, erlaubt, den Betrieb nur zum Teil ökologisch zu bewirtschaften, während ein anderer Teil weiterhin konventionell bewirtschaftet wird. Zwar dürfen die Weine in konventioneller Machart kein Ökosiegel tragen, aber es ist wirklich schwierig, das zu kontrollieren, wenn beides nebeneinander herläuft. Es kann Situationen geben, wo dies wirklich von Vorteil ist, etwa wenn es Flächen gibt, die besonders von Feuchtigkeit betroffen sind. Im Allgemeinen gibt es aber bei den großen Weinbaukonzernen die Möglichkeit, in ihrem Portfolio Bio-Weine als Teil eines Gesamtkonzeptes anzubieten und das ganze Spektrum abzudecken. Bio ist längst nicht mehr nur eine vernachlässigbare Nische. Bio bedeutet Umsatz. Immerhin werden in Italien mittlerweile rund 105.000 Hektar biologisch bewirtschaftet, das sind mehr als 15%. In Spanien und Österreich sind es etwa 12 %, in Deutschland 7 % ¹. Der weltweite Umsatz an Bio-Lebens- und Genussmitteln hat sich innerhalb der letzten zehn Jahre mehr als verdoppelt und liegt bei rund 50 Milliarden Euro. Kein Wunder also, dass es Label gibt, die mit so wenig Einschränkungen wie möglich auskommen möchten, damit so viel Gewinn wie möglich hängen bleibt. (¹ Quelle Forschungsinstitut für biologischen Landbau / Stand Dezember 2017)
Vergleicht man das EU-Biosiegel mit dem konventionellen Anbau und mit den Vorgaben von demeter, Bioland, Naturland oder Ecovin, fällt aber noch mehr auf. So gibt es beim EU-Siegel keine Begrenzung der Stickstoffmengen im Boden und keine Vorgaben bei der Begrünung von Flächen. Biodiversität ist gleichfalls kein Thema beim EU-Siegel. Bei der Verwendung von Kupfer dürfen sechs Kilo pro Jahr und Hektar ausgebracht werden, bei den klassischen Ökoverbänden sind es drei Kilo pro Jahr, und demeter versucht bei Pilzbefall ganz auf Netzschwefel zu setzen. Wie deutlich sich der Weinbau nach EU-Biosiegel von den etablierten Anbauverbänden tatsächlich unterscheidet, wird aber vor allem dann klar, wenn man die Möglichkeiten im Keller betrachtet. Dabei sollte man im Hinterkopf haben, dass der Keller erst seit 2009 in der EU-Biorichtlinie eine Rolle spielt.
Erst seit 2009 gibt es Biowein
Tatsächlich darf man erst seit der Neuregelung der EU-Weingesetzgebung im Jahr 2012 Bioweine auch als solche bezeichnen. Vorher hießen sie »Weine von Trauben aus ökologischer Erzeugung«. Das weist darauf hin, dass es zwar Vorgaben für den Anbau der Trauben im Weinberg gab, nicht aber dafür, was mit den Trauben im Keller gemacht werden durfte. Während die etablierten Verbände schon damals für ihre Mitglieder genaue Vorgaben ausgearbeitet hatten, war das EU-Biosiegel für den Keller eine Nullnummer. Das hat sich zwar geändert, doch auch heute unterscheiden sich die traditionellen Bioverbände deutlich in ihren Maßgaben vom EU-Biosiegel. Wenn Ihr auf die Tabelle schaut, dann gibt es zwei Fraktionen. Den Weingütern mit dem EU-Biosiegel ist ähnlich viel erlaubt wie den konventionell arbeitenden Betrieben. Die Öko- und Biodyn-Verbände haben sich dagegen deutliche Regeln gegeben. Gerade was den Einsatz von Hefen und Enzymen und auch weiteren Mitteln zur Gärkontrolle angeht, ist man bei dem EU-Biosiegel recht frei. Auch der Einsatz von Technik, wie wir ihn in einem Beitrag in diesem Magazin schon einmal näher beleuchtet haben, unterliegt nur wenigen Beschränkungen. Man darf etwa Holzchips verwenden, um dem Wein eine Eichennote zu verpassen, Aromahefen, um den Geschmack zu verbessern, Enzyme, um die Gärung zu beschleunigen, und Umkehrosmose-Tanks, Schleuderkegelkolonnen, Gegenstrom-Extraktion oder flash release – also Verfahren, in denen Wein gedehnt, verdichtet, gefiltert, geschleudert und erhitzt wird, um all das technisch zu überspielen, was im Weinberg versäumt wurde.
Beim EU-Biosiegel, und das kann man ganz klar so sagen, ist man auf Vertrauen und den direkten Kontakt mit dem persönlich bekannten Winzer oder Händler angewiesen. Das gilt auch für jene Zertifikate, die sich außerhalb der EU auf das EU-Biosiegel beziehen. Argentcert® ist ein solches Beispiel, bei dem der argentinische Weinbau sich an den EU-Standards orientiert, sodass man, wenn man bei Argentcert zertifiziert ist, auch das EU-Biosiegel verwenden darf, was den Verkauf in Europa erleichtert. Mittlerweile gibt es viele Dutzend Zertifizierungsmöglichkeiten weltweit, und man kann als Verbraucher schnell die Orientierung verlieren. Deshalb war die Idee eines einheitlichen EU-Siegels eigentlich eine sehr gute Idee; denn tatsächlich darf die ganze Palette der chemischen Mittel im Weinberg nicht mehr genutzt werden, und das Bodenleben in diesen Weinbergen wird komplexer.
Doch kellertechnisch stehen fast alle Möglichkeiten offen. Deshalb kommen auch die teils extrem günstigen Preise zustande, die im Lebensmitteleinzelhandel für das Bio-Einstiegssortiment aufgerufen werden. Um billige Bioweine zu erzeugen, geht man dorthin, wo es wenig Niederschlag und daher kaum Pilzdruck gibt, zum Beispiel in die La Mancha in Spanien oder nach Apulien und Sizilien in Italien. Da man dort an sich schon wenig spritzen muss, ist Bio-Anbau vergleichsweise leicht. Wie überall sonst auch, stellt man die Weinberge innerhalb von drei Jahren von konventionell auf bio um und lässt dies kontrollieren. Sonst ändert sich gerade in diesen Gebieten nicht viel – außer dass man für diese Weine mit neuem Label höhere Preise erzielen kann. Man nutzt – wie beim konventionellen Preis-Einstiegssortiment – Technik, hohe Erträge und die dann nötigen Mittel, um den fahlen Geschmack ein wenig zu überdecken. Solche Weine wollen wir nicht trinken. Deswegen propagieren wir den Weg zu ernst gemeinter Nachhaltigkeit und Ökologie. Weinbau braucht echtes Bio, damit er eine Zukunft haben kann. Weinbau ist und bleibt eine Monokultur und ist deshalb im Anbau fragil, weil er vielen Krankheiten und Schädlingen ausgesetzt ist. Der Klimawandel trägt ferner dazu bei, dass der Anbau immer heikler wird – nicht nur wegen der immer häufiger auftretenden Wetterphänomene, sondern auch wegen der Schädlinge, die beispielsweise die Erwärmung dazu nutzen, sich breiter auszudehnen.
Deswegen braucht der Weinbau Protagonisten, die Bio ernst nehmen und mehr tun, als lediglich die geringsten Vorgaben zu erfüllen. Es geht um das Bodenleben, die Biodiversität und vor allem auch um die genetische Vielfalt; denn der Massenanbau funktioniert nur deshalb, weil es Klonarmeen in unseren Weinbergen gibt, die genetisch völlig identisch sind und entsprechend gleich auf alle Einflüsse reagieren. Wird ein Rebstock von einem Virus befallen, werden irgendwann alle betroffen sein. Deshalb ist auch die Nutzung alter Rebbestände, wie es beispielsweise unsere südafrikanischen Winzer seit einigen Jahren propagieren, wichtig als Teil nachhaltigen Wirtschaftens. Auch wenn es mit dem Einsatz von Kupfer immer noch einen problematischen Stoff in der Produktionskette gibt, den viele Winzer lieber heute als morgen los wären, so ist ernst gemeinter biologischer Anbau doch der Weg in die Zukunft – sowohl als Grundlage für das Leben der Pflanzen in den Weinbergen als auch als Basis für gute Weine.