Willkommen im neuen Kalifornien
Es war die große Zeit der sogenannten Parker-Weine: dicht, extrahiert, konzentriert mit viel dunkler Frucht und viel Holz. Das Ganze kulminierte dann in der Wiederentdeckung des Anbaugebietes Toro, unweit von Ribera del Duero gelegen, wo der Tempranillo noch dunkler und noch konzentrierter ist. In dieses Bild spanischer Weine passte dann auch die ebenfalls wiederentdeckte, etwas abseits gelegene Region Priorat. Auch im Priorat konnte man diesen so begehrten Weinstil exzellent umsetzen. Spanien war jetzt ganz weit oben, und in vielen Anbaugebieten schossen moderne Bodegas wie Pilze aus dem Boden.
Die Stunde der Renovación
Dann aber kam die Wirtschaftskrise, und Absatzmärkte brachen weg. Was noch dazukam, war eine langsame, aber stetige Veränderung im spanischen Weinbau. Manche würden das auch als stille Revolution bezeichnen, deren Protagonisten sich langsam, aber stetig gleichsam im Untergrund organisierten, und das über zehn, fünfzehn Jahre hinweg. Das hatte etwas mit der Krise zu tun, aber auch mit der Erzeugung des ewig gleichen und ermüdenden Weinstils. Es gab mehr als einen Winzer, der wusste, dass viel mehr möglich war in diesem großen und traditionsreichen Weinland, das in der Außendarstellung so überschaubar gemacht wurde, indem man es auf sehr wenige große Erzeuger und Regionen reduzierte.
Schließlich hatte diese stetige und zunächst einmal schleichende Veränderung auch etwas mit dem Wandel in der nationalen wie internationalen Gastronomie zu tun. Überholzter Rioja war dort irgendwann nicht mehr en vogue, weil zum einen die Küche viel feiner und raffinierter geworden war und weil zum anderen Sommeliers in New York, London, Kopenhagen oder Tokio viel weniger danach fragten, woher ein Wein komme und welche Reputation er und das Anbaugebiet hätten, als danach, wie der Wein entstanden sei und ob er zum Stil der Küche passe. Diese Veränderung gab es in Spanien, aber auch weltweit. Und man sieht das gleichfalls in Australien, wo dieser Paradigmenwechsel ebenfalls stattfand, und zwar auf allen Ebenen. Mit diesem Paradigmenwechsel schlug die Stunde der Erneuerung – die Renovación.
Der Schatz alter Weinberge, alter Rebsorten und traditionsreicher Regionen
Schaut man von außen auf Spanien als Weinland, so zeigt sich einem eine erstaunlich große Anzahl an Regionen und Appellationen, die lange völlig in Vergessenheit geraten waren. Das gilt übrigens nicht nur für die Sicht von außen, sondern auch für die der Spanier. In diesem Land, das von kargen, oft heißen und windigen Hochebenen geprägt ist, fand und findet wieder fast in jeder Ecke Weinbau statt. Der Schatz des Landes ist dabei die große Zahl an alten Weinbergen mit alten Reben, die wegen Geldmangels oder eines für lange Zeit rückschrittlichen Weinbaus weder gerodet noch durch Massenträger ersetzt wurden. Mit diesen Weinbergen, in denen nicht selten lange vergessene Rebsorten standen, schafften es einige Winzer, ganze Regionen aus der Versenkung zu holen.
Noch vor 20 Jahren kannte kaum jemand Sorten wie Mencià, Loureiro oder Godello und gleichfalls Gebiete wie Ribeira Sacra, Bierzo oder Ribeiro. Selbst heute sind Sorten wie Prieto Picudo, Caíño oder Espadeiro noch weitgehend unbekannt. Wer hätte in Zeiten der Parker-Tempranillos und der Torres-Cabernets gedacht, dass Spanien einen riesigen Schatz an weißen Rebsorten beherbergen würde? Damals wurden gerade die ersten Albariños aus den Rías Baixas bekannt und ebenso die ersten Verdejos aus Rueda. Mittlerweile hat sich eine ganze Phalanx an Rebsorten herausgebildet, zu denen nicht zuletzt auch solche Rebsorten gehören, die zwar vom Festland stammen, aber teils seit Jahrhunderten etwa auf den weit entfernten Kanarischen Inseln fest etabliert sind. Dazu gehören Listán, Malvasia, Albillo oder Negramoll.
Mit den alten Reben, Rebsorten und Regionen entsteht ein neuer Weinstil
Was den Weinen dieser neuen Garde an Weinmacherinnen und Weinmachern gemeinsam ist, ist die Rückkehr oder die Wiederentdeckung einer großen Frische, die diese Weine in sich tragen. Nicht umsonst spricht man heute von einem Stil der Viños atlánticos, wenn es um Weine aus Galicien oder von den Kanaren geht, wo Victoria Torres Pecis und Azul Perdido zu Hause sind. Säure, Lebendigkeit, Mineralität und Salzigkeit mögen als Begriffe zwar mittlerweile etwas überstrapaziert wirken, sie treffen allerdings die Stilistik dieser Weine sehr genau. Und damit bilden sie den Gegenpart zu den Blockbustern aus den etablierten Gebieten, die über einen langen Zeitraum als die Hochkultur des spanischen Weinbaus angesehen wurden. Wenn man heute in die Bewertungen von Luis Gutiérrez schaut, dann kann man sehr schnell erkennen, dass sich auch bei Parker ein Paradigmenwechsel vollzogen hat; denn Luis Gutiérrez, Parkers Mann für Spanien, bewertet komplett anders als sein Vorgänger, der als korrupt verschriene Jay Miller, der praktisch ausschließlich konzentrierte Blockbuster hoch bewertet hatte.
dagegen ist nach allen Seiten hin offen und schätzt die neue Vielfalt. Er unterstützt dabei mit seinen Bewertungen die vielen undogmatischen Weinmacher des Landes, die damit eine viel größere Chance erhalten, wahrgenommen zu werden. So hat sich auch in Gebieten wie den Rías Baixas eine unabhängige Szene entwickeln können, die auf ganz andere Weine setzt als die großen Weinbaubetriebe, die in den 1990er Jahren vor allem aus der Rioja dorthin gekommen sind, um mehr oder minder stromlinienförmige Weine zu erzeugen. Andere teils etablierte Betriebe hatten es satt, sich in den alteingesessenen Appellationen wie Rioja oder Cava gängeln zu lassen und ihren hochklassigen Weinen den gleichen Appellations-Stempel aufdrücken zu lassen, wie ihn Discounter-Weine tragen. So haben sie irgendwann schlichtweg auf die Mitgliedschaft in diesen Appellationen verzichtet. Einige der besten Cava-Produzenten schreiben den Begriff Cava nicht mehr auf die Flasche, sondern firmieren stattdessen unter Classic Penedès oder Corpinnat mit viel klareren und weitgehenderen Qualitätsrichtlinien. Gleiches gilt für undogmatische Rioja-Erzeuger.
Eine der interessantesten Neuentdeckungen: das Hinterland von Madrid
Zu den interessantesten wiederentdeckten Anbaugebieten Spaniens gehört neben Galicien und den Kanarischen Inseln auch das Hinterland von Madrid. Obwohl diese Weinregion so nahe an der Hauptstadt liegt, war auch sie bis vor einem Jahrzehnt nahezu unbekannt, und es bedurfte besonderer Menschen wie beispielsweise eines J. Fernando Cornejo und eines Fernando Garcia Alonso, die mit ihren Bodegas Marañones und Commando G. uralte, oft sehr hoch gelegene Garnacha-Weinberge wiederbelebt und deren Potential ergründet haben. Plötzlich wurde die Garnacha wieder fein und duftig, sinnlich und lebendig. Gleiches gilt für die Garnachas von Daniel Gómez Jiménez-Landi, der ebenfalls dort angefangen hat und vor Jahren etwas weiter in die Region Méntrida zwischen Madrid und Toledo gezogen ist, wo er ebenfalls uralte, hoch gelegene Garnacha-Weinberge vorfand.
Die Kombination von alt und hoch gelegen ist einer der wichtigsten Schlüssel für diese Art von Wein – egal ob bei Madrid, in Méntrida, auf La Palma oder in den schwarzen Schiefer- und Granit-Terrassen in Ribeira Sacra. Man kann sich, wenn man die dort erzeugten Weine von Eulogio Pomares oder Fedellos do Couto probiert, kaum vorstellen, dass diese Region früher entweder keinen oder keinen guten Ruf hatte. Wie im Priorat wurden die Trauben, die dort erzeugt wurden, jahrzehntelang fast ausschließlich an große Kellereien verkauft, während die Traubenbauern, die Erzeuger, die in den brütend heißen Steilhängen die Trauben von Hand ernten mussten, von der Hand in den Mund lebten. Diese Zeiten sind in so manchen Gebieten, die sich neu erfunden haben, vorbei. Es hat sich viel geändert in Spanien, und die neue Generation an Winzern hat die Weinwelt damit entscheidend erweitert.
Ein Gastbeitrag von Christoph Raffelt – lebt in Hamburg und bereist die Weinwelt als Betreiber von originalverkorkt.de