Malbec, der große Verführer
Ist Wein eigentlich immer besser, je teurer er ist? – Mythos 1
Gerade für Weineinsteiger ist der Preis ein wichtiges Thema. Was muss man für guten Wein anlegen, und ist er tatsächlich immer besser, je teurer man einkauft? Tatsächlich gibt es Grenzen nach unten, da es Preisbarrieren gibt, unterhalb derer man keinen guten Wein mehr produzieren kann. Aber nach oben hin ist das sehr viel schwieriger. Wir haben hier schon einmal an anderer Stelle die Maximalkosten für die Produktion einer Flasche Wein aufgedröselt und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass sehr guter Wein für rund € 30 zu haben ist – und das meiste zwischen fünf und 30 Euro in einer ansteigenden Qualitätskurve recht gut nachvollziehbar ist. Alles, was teurer ist, ergibt sich entweder durch extrem geringe Erträge, extrem teure Weinberge, dadurch dass ein Winzer die Weine sehr lange bis zur Trinkreife im Keller gelagert hat, oder aber durch ein geringes Angebot bei gleichzeitig hoher Nachfrage. Nicht wenige Weine sind heute zudem Sammler- und Spekulationsobjekte, was den Preis solcher Weine stark beeinflusst. Ob diese hochpreisigen Weine immer besser sind als jene für 30 oder 40 Euro, liegt dann oft im eigenen Empfinden und in gewissem Maße auch an Erfahrung.
Ist Wein ein natürliches Produkt? – Mythos 2
Im Prinzip schon, denn Weintrauben werden gepresst oder gequetscht, und die auf den Trauben befindlichen Hefen vergären den Zucker der Trauben zu Alkohol. Es wird nichts hinzugefügt und nichts weggenommen. Es könnte so einfach sein. Ist es aber nicht; denn der Prozess des Weinwerdens ist extrem instabil, und Wein oxidiert gerne. Um den Wein zu stabilisieren, hat man schon in griechischer und römischer Zeit wie auch im Mittelalter alle möglichen Zusatzstoffe verwendet. Schwefel bzw. Sulfite werden schon lange genutzt, um den zu Wein stabilisieren. Im Laufe des letzten Jahrhunderts sind jedoch noch viel mehr Stoffe hinzugekommen, und zwar Zuchthefen und Enzyme, künstlich erzeugte Säuren und dergleichen mehr. Außerdem gibt es Maschinen aus der Getränketechnologie, die Weine in ihre Bestandteile zerlegen, etwas hinzufügen und etwas wegnehmen können.
Ist Naturwein das Gleiche wie Biowein und Orangewein? – Mythos 3
Ein Naturwein soll immer ein Biowein sein und kann auch ein Orangeweine sein. Sogenannte Naturweine sind Weine, deren Herstellung nicht durch gesetzliche Vorgaben geregelt ist, für die Weinmacher allerdings ein Konzept haben. Naturwein soll in biologisch und biodynamisch gepflegten Weingärten entstehen. Im Keller soll so wenig wie möglich hinzugefügt und nichts entnommen werden. Das heißt, dass solche Weine mit der eigenen Hefe vergären, nicht geschönt und nicht filtriert werden. Nur wenn es unbedingt nötig ist, wird ein wenig Schwefel eingesetzt, um den Wein gesund zu halten.
Ist Biowein dann auch immer ein Naturwein? Nein keineswegs, denn Bioweine, vor allem die, die lediglich nach der EU-Bioverordnung erzeugt werden, stammen oft auch aus großen Produktionen für Supermärkte und Discounter. Sie werden weitgehend industriell erzeugt, was der Idee von Naturwein widerspricht.
Und wie ist das mit dem Orangewein? Ein anderer Name für Orangewein ist „maischevergorener Weißwein“. Orangeweine sind also Weißweine, die durch langen Kontakt mit der Schale Gerbstoffe bekommen. Oft werden solche Weine tatsächlich von Leuten gemacht, die der Natural-Wine-Szene angehören. Insofern ist Orange oft, aber nicht zwingend auch ein Naturwein und ein Biowein.
Erzeugt Schwefel eigentlich Kopfschmerzen? – Mythos 4
Man hat wissenschaftlich herausgefunden, dass Schwefel nur in den seltensten Fällen Kopfschmerzen verursacht. Schwefel ist meist nicht das Problem, sondern eher der Alkohol. Alkohol ist ein Nervengift, das man nur in geringen Dosen zu sich nehmen sollte. Was häufig an Beschwerden auftritt und sich neben Kopfschmerzen beispielsweise auch in Form von geschwollenen Händen äußert, ist eine Histamin-Unverträglichkeit. Histamin findet sich in Gerbstoffen, und zwar sowohl in den Gerbstoffen der Traubenhäute als auch in denen von Holzfässern. Warum entstehen dann immer mehr Weine, bei denen bewusst auf Schwefel verzichtet wird? Der Grund ist, dass sich dann die Weine von Beginn an offener präsentieren und auch anders schmecken.
Wann schmeckt Wein mineralisch? – Mythos 5
Kaum ein Wort ist in den letzten zehn Jahren populärer geworden als der Begriff „mineralisch“. Meistens wird er verwendet, wenn man einen Wein mit alten Reben in Verbindung bringt, die tief aus der Erde mineralische Spurenelemente „einsammeln“ und in die Beeren bringen. Tatsächlich kann man nachweisen, dass sehr tief wurzelnde Rebstöcke mehr Spurenelemente in den Wein bringen als solche, deren Wurzeln weniger tief vordringen. Man weiß auch, dass sich unterschiedliche Gesteinsarten samt ihren Mineralien deutlich auf den Charakter eines Weines auswirken. Doch ist dies nicht eins zu eins schmeckbar. Vor allem hat der Geschmack oder Geruch von Stein, vor allem von Feuerstein, so gut wie nie etwas mit Gestein zu tun, sondern mit der Art der Vergärung. Meist handelt es sich um eine sogenannte Schwefelreduktion.
Was aber ist dann Mineralik? Für uns ist Mineralik die vibrierende Lebendigkeit eines Weines. Ein mineralisch wirkender Wein fühlt sich fast so an, als würde er leichte Stromstöße abgeben oder pulsieren. Dies passiert, wenn der Wein über bestimmte Säuren verfügt, die er an die Zunge bringt. Das kann bei einem Viño Verde von jungen Reben ebenso passieren wie bei einem großen Burgunder von alten Reben.
Sind helle Rotweine immer leichte Weine? – Mythos 6
Wer zum ersten Mal einen Pinot noir bzw. Spätburgunder oder auch einen Grenache aus der Mitte Spaniens im Glas hat, wird sich unwillkürlich fragen, ob man diesen Wein überhaupt als Rotwein bezeichnen kann oder ob es sich nicht doch eher um einen kräftigen Rosé handelt. Tatsächlich sind gerade diese beiden Rebsorten, oft aber auch der Nebbiolo aus dem Piemont, je nach Jahrgang recht transparent. Doch die Menge der Farbstoffe sagt bei einem Wein rein gar nicht über die sonstigen Qualitäten aus. Die erwähnten Rebsorten sind nämlich Kraftprotze mit teils hohem Tanningehalt (Nebbiolo), teils auch hohem Alkoholgehalt (Grenache). Dazu können sie sehr komplex werden und auch mit wenig Farbe oft über Jahrzehnte altern, wenn sie aus gutem Hause stammen. Ganz im Gegensatz dazu kann ein sehr dunkler und dichter Dornfelder oder Primitivo ein weicher, substanzloser Wein für einen Sommer sein.
Werden gereifte Weine immer dekantiert? – Mythos 7
Meist ist eher das Gegenteil der Fall. Wir dekantieren tendenziell eher jüngere Weine und geben den gereiften Weinen meist nur ein wenig Luft, indem wir früh die Flasche öffnen. Zum Dekantieren eines Weines gehört viel Erfahrung; denn was beim Dekantieren aus dem Wein entschwindet, kommt nicht mehr zurück. Manchen Altweinen tut Luft gut, andere oxidieren sehr schnell. Allerdings war der Wein, wenn er oxydiert dann eh nicht mehr stabil. Gereifte Bordeauxweine dekantieren wir dabei eher als gereifte Burgunder. Bei gereiften Weinen bildet sich häufig ein Depot, das bitter schmeckt und nicht mitgetrunken werden sollte. Bei jungen Weinen macht es hingegen oft Sinn, sie zu dekantieren bzw. – streng genommen müsste man formulieren – sie zu karaffieren, weil sie in der Jugend noch verschlossen wirken und mit Luft aufblühen können. Wir entscheiden das dann, nachdem wir die Weine probiert haben. Zu den oft karaffierten Weinen zählen junge aber auch ältere Bordeaux, Rioja, Brunello oder Barolo, junge im Holz ausgebaute Weißweine, reduktiv wirkende Weine (mit den schon erwähnten Knallplättchen-Aromen) und manchmal auch noch junge, aber komplexe Champagner.
Werden Überseeweine häufig industriell hergestellt? – Mythos 8
Es ist eine der großen Mythen, dass Überseeweine vornehmlich industriell hergestellt werden und europäische Weine vor allem handwerklich. De facto hält sich das sowohl hier also auch in Übersee die Waage. Überall werden Weine, die zu Spottpreisen verramscht werden, industriell hergestellt. Sicher ist es so, dass Länder wie Australien oder Kalifornien deutlich laxere Weingesetze haben als wir. Es kann also vorkommen, dass auch einem teuren australischen Shiraz Kastanienmehl beigemengt ist, um das Tannin zu verbessern. Doch im Wesentlichen ist es so, dass Qualitätswein heute überall nach ähnlichen Maßstäben entsteht. In Ländern wie Australien, Neuseeland, Südafrika oder in den USA hat sich längst eine große Bewegung an rein handwerklich arbeitenden Betrieben entwickelt. Einige von ihnen führen wir in unserem Programm.
Wie trocken ist eigentlich ein als „trocken“ bezeichneter Wein? – Mythos 9
Was „trocken“ ist, ist Ansichtssache und Zeitgeist. Das kann man sehr schön daran erkennen, wie sich die Stilistik der Champagner im Laufe der letzten 200 Jahre entwickelt hat. Zu Beginn waren Champagner im Allgemeinen sehr süß. Weil man aber auf den Britischen Inseln nicht gerne so süß trank, hat man irgendwann einen Champagne Sec lanciert. Sec steht für trocken, de facto aber sind in einem solchen Getränk 17 bis 32 Gramm Restzucker enthalten. Manchem war das irgendwann nicht mehr trocken genug, weshalb dann Extra sec oder Extra dry Mode wurde. Diese Champagner verfügen über 12 bis 17 Gramm Zucker. Madame Pommery hat dann irgendwann im 19. Jahrhundert einen Champagne Brut lanciert, was ja ebenfalls „trocken“ bedeutet, der bis zu 12 Gramm Süße beinhaltet. Extra Brut (0 bis 6 Gramm) und Brut Nature (0 bis 3 Gramm) sind erst in den letzten zehn Jahren immer populärer geworden.
Wie verhält es sich bei deutschem Wein? Laut Weingesetz darf ein als „trocken“ bezeichneter deutscher Wein bis zu 9 Gramm Restzucker beinhalten, vorausgesetzt, die Säure hält sich mit dem Zucker weitgehend die Waage. Sie darf nicht geringer sein als 7 Gramm pro Liter.
Ist die Bezeichnung Grand Cru Garant für einen großen Wein? – Mythos 10
Nein sicher nicht, aber die Möglichkeit besteht. Als Grand Cru werden im Burgund und im Elsass Lagen bezeichnet, in der Champagne ganze Orte und in Bordeaux Weingüter, die einmal sehr erfolgreich waren und es häufig immer noch sind. Ob aber die Weinmacher oder die Winzer, die dort tätig sind, aus dem Potential, das sie haben auch einen großen Wein machen, liegt an vielen Faktoren. Dazu gehören natürlich das Können und die Erfahrung des Winzers. Dazu gehört weiterhin, wie der Boden und die Reben bearbeitet werden, wie hoch die Erträge sind, wie sauber im Keller gearbeitet wurde und auch, wie der Jahrgang generell ausgefallen ist und wie sich die Grand-Cru-Lage mit dem Klimawandel verändert. Schon jetzt kann man im Burgund feststellen, dass beispielsweise Lagen, die man früher als minderwertig angesehen hat, weil sie recht hoch lagen, nun bessere, weil kühlere Weine hervorbringen, während einstige 1-A-Lagen tendenziell schon zu warm werden.
Veranschaulichen lässt sich das auch sehr gut in Deutschland, wo es seit rund 15 Jahren die Großen Lagen des VDP, des Verbandes Deutscher Prädikatsweingüter gibt. Aus ihnen entstehen pro Jahr rund 400 sogenannte Große Gewächse. Manche Weine zeigen wirkliche Größe, bei anderen – teils aus denselben Lagen – kommt nichts wirklich Überragendes heraus. Letztlich liegt es immer am Winzer und an dessen Engagement. Wenn er es kann, dann können mit ihm plötzlich auch früher unbekannte Lagen bekannt und berühmt werden.