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Weinberg statt Keller oder: Die andere Seite der Rioja

Alvaro Loza will mit seinen Weinen von der Schönheit der Landschaft der Rioja erzählen. Der junge Winzer steht für den Wandel in den Köpfen in Spaniens berühmtester Weinregion.

Die Rioja ist vielleicht am meisten für ihre großen Barriquekeller bekannt, in denen sich bis zu 60.000 Fässer stapeln. Wenn ich an die Region denke, kommt mir als erstes eine der faszinierendsten Weinlandschaften der Welt in den Sinn. Das Anbaugebiet erstreckt sich 120 Kilometer entlang des Ebros und wird im Norden und Süden von Gebirgszügen eingerahmt. Je nachdem, wo man sich befindet, dominiert atlantisches, kontinentales oder mediterranes Klima. Die sieben Zuflüsse des Ebro, darunter auch der Rio Oja, von dem die Region ihren Namen hat, bilden wiederum eigene Täler und Mikroklimas. Hinzu kommen unterschiedliche Böden, den Bergzügen vorgelagerte Plateaus und Höhenlagen im Weinbau, die zwischen 300 und 900 Metern variieren.

In der baskischen Rioja gibt es beispielsweise Ortschaften, die nur wenige Kilometer auseinanderliegen, allerdings eine um einen Monat versetzte Weinlese haben, da sie über derart verschiedene klimatische Bedingungen verfügen, abhängig von ihrer Höhe und ihrer Entfernung zum Ebro. Last but not least zeichnet sich das 67.000 Hektar große Weingebiet durch einen hohen Bestand an alten Reben und kleinteilige Parzellen aus: Die Durchschnittsgröße eines Weinbergs beträgt 0,59 Hektar und ein Drittel der Rebstöcke ist älter als 35 Jahre. Zwar dominiert der Tempranillo mit 80 Prozent den Weinbau, doch in den alten Weinbergen finden sich noch Hunderte verschiedener Klone von dieser Rebsorte.

Rund 60.000 Barriques stapeln sich in mehreren Schichten im Keller von Campo Viejo.

All das klingt eigentlich nach einem Paradies für terriorgeprägte Weine, die den spezifischen Charakter einer Ortschaft oder Einzellage zum Ausdruck bringen. Und trotzdem ist die Rioja vor allem für die Klassifikationen Crianza, Reserva und Gran Reserva bekannt, also für Weine, deren Stil sich durch die Dauer der Reifezeit im Barrique und anschließend in der Flasche definiert. Kaum jemand denkt bei Rioja an Terroir. Der Grund dafür liegt vor allem in einer spanischen Eigenheit. Denn die historisch bedeutendsten Weinstile des Landes — Sherry, Cava und Rioja Gran Reserva — basieren ursprünglich auf der Idee, dass Qualität durch Zeit entsteht. Das Grundprinzip lautet: Je länger die Weine reifen, desto besser, feiner und komplexer werden sie.

Die seriösen Erzeuger in der Rioja, die diesem Grundprinzip folgen, wissen natürlich, dass sie hochwertige Trauben benötigen, wenn sie einen Wein auf eine lange Reise schicken. Damit er nicht auf halbem Weg schlapp macht. „Wenn du einen Kurztrip nach Bilbao machst, brauchst du einen kleinen Koffer. Und wenn du nach New York fährst, brauchst du einen großen Koffer“, sagte mir einmal ein Winzer aus der Rioja sehr bildhaft. Der große Koffer wäre, in die Weinsprache übersetzt, Säure und Struktur. Entsprechend stellen Spitzenhäuser wie La Rioja Alta, Viña Tondonia, Muga oder Marqués de Murrieta eine Gran Reserva nur aus ihren besten Lagen und in sehr guten Jahrgängen her. Es handelt sich um enorm langlebige Weine, die trinkreif auf den Markt kommen, aber auch bedenkenlos gelagert und vererbt werden können und zu den Großen der Welt gehören.

Ein Problem besteht jedoch schon seit einigen Jahrzehnten darin, dass andere Erzeuger dieses Prinzip aufgegeben und dem Kommerz untergeordnet haben. Sie produzieren starr nach den gesetzlichen Mindestvorschriften und setzen in erster Linie auf Menge, achten aber zu wenig auf die Traubenqualität. Aus mittelmäßigen Ausgangsweinen entstehen so entsprechend mittelmäßige Reservas und Gran Reservas. Das war zwar eine Zeit lang gut für die Absatzzahlen und das Wachstum der Rioja, deren Rebfläche seit 1990 um mehr als 24.000 Hektar zugenommen hat. Aber auf längere Sicht war es schlecht für den Ruf und die Identität der Region: Ein bedeutendes Weingebiet mit so viel Potenzial und einem so vielfältigen Terroir sollte nach Größe und Einzigartigkeit streben, anstatt beliebige Weine von bestenfalls akzeptabler Qualität für die Supermarktregale zu produzieren. Der Wettlauf um möglichst große Mengen zu möglichst niedrigen Preisen lässt sich gegen andere spanische Regionen wie La Mancha ohnehin nicht gewinnen.

Es gibt nicht mehr die eine, sondern viele Riojas

Alter Garnacha-Weinberg in der Rioja Oriental auf einer Hochebene in ca. 550 m Höhe. Bis in die 1990er Jahre war die wärmste und mediterranste Zone der Rioja ein echtes Garnacha-Land. Heute dominiert auch hier der Tempranillo.

Insofern besteht Grund zur Freude, denn seit einigen Jahren vollzieht sich in der Rioja ein echter Mentalitätswandel. Ein wachsender Teil der jüngeren und nachrückenden Winzergeneration stellt – endlich! – den Weinberg in den Mittelpunkt, keltert Lagen- und Ortsweine, setzt voll auf Qualität und agiert im Keller deutlich flexibler und freier. Statt neuer Barriques kommen häufig gebrauchte Holzfässer unterschiedlicher Größen zum Einsatz, manchmal auch Beton oder Tonamphoren. Zudem wird die Weinbereitung stärker dem Charakter des Jahrgangs angepasst: Je nachdem wie die Trauben ausfallen, werden bei der Gärung mal mehr, mal weniger oder keine Rappen an ihnen belassen. Viele Winzerinnen und Winzer setzen sich diesbezüglich keine festen Vorgaben und agieren je nach Bedarf. Dasselbe gilt für die Zeit des Ausbaus in Fässern oder für die Dauer des Hefelagers und des Schalenkontakts bei Weißweinen. Generell lautet im Keller die Devise „weniger ist mehr“: Weniger (über)reife Trauben und weniger Extraktion bedeuten am Ende mehr Feinheit, mehr Klarheit und mehr Trinkfluss.

So gesehen sind die Weine der Rioja heute deutlich facettenreicher und spannender als noch vor 15 Jahren. Überhaupt lässt sich sagen, dass es nicht die eine Rioja, sondern viele Riojas gibt. Das betrifft zum einen die bereits beschriebene Vielfalt an Terroirs, zum anderen aber auch die völlig unterschiedlichen Ansätze, Weinkulturen und Perspektiven in der Region. Besucht man etwa Erzeuger, die für die kellergeprägte Rioja stehen, wird man durch eindrucksvolle Fasskeller geführt, erfährt etwas über die verschiedenen Eichenarten und Röstgrade und deren Auswirkungen auf den Wein, und was die Malo im Barrique gegenüber der Malo im Stahltank ausmacht.

Die Winzerinnen und Winzer der (meist) jüngeren Generation hingegen fahren dich in ihre Weinberge und erzählen ausführlich von Böden, Mikroklima, Biodiversität und der genetischen Vielfalt in ihren alten Mischsätzen. Und sie betonen, wie wichtig der richtige Lesezeitpunkt für frische Weine ist. Die meisten von ihnen sind klassische Vignerons, in der Rioja Cosecheros genannt, die die Weinberge selbst bearbeiten und daraus ihren Wein gewinnen. Ihre Eltern und Großeltern, die noch während der Franco-Diktatur aufwuchsen, waren dagegen oftmals Weinbauern, die ihre Trauben an die großen Rioja-Häuser und Genossenschaften abgaben, selbst aber keinen Wein abfüllten und vermarkteten. Doch die neue Generation tickt anders. Sie sind mehr in der Welt herumgekommen und selbstbewusster als ihre Eltern. Ihr Ziel ist es, mit eigenen, terroirgeprägten und ungeschminkten Weinen in die Grand-Cru-Klasse aufzusteigen.

Die außergewöhnlichen Weine der Viña Tondonia, zählen zu den legendärsten Tropfen der Region.

Dieser Geist findet sich freilich nicht nur in der Rioja, sondern überall in Spanien, man denke nur etwa an Daniel Landi in der Sierra de Gredos, an Victoria Torres auf La Palma, an Fedellos do Couto in Galicien oder an Alvar de Dios in Toro und Arribes. Aber die Rioja hat sich in den letzten fünf bis sechs Jahren sicher zu einem Hotspot des neuen Spaniens entwickelt, so stark ist die Bewegung dort angewachsen. Das führt natürlich auch zu Reibungen mit den traditionelleren Häusern und den großen Playern. Doch Reibung erzeugt letztlich Energie, und davon ist heute in der Rioja viel zu spüren.

Alvaro Loza oder: Reisen erweitert den (Wein)Horizont

Einer, der den Spirit des neuen Spaniens und der neuen Rioja verkörpert, ist der Winzer Alvaro Loza. Er stammt ursprünglich aus gar keiner Winzerfamilie, auch wenn er von seinem Großvater ein paar kleinere Weinberge in Haro und Labastida mit bis zu 90 Jahre alten Reben geerbt hat und als Kind der Rioja natürlich von klein auf mit der dortigen Weinkultur aufgewachsen ist (PS: Irgendwie scheint jeder Großvater in der Rioja irgendwo ein Stück Weinland zu besitzen). Trotzdem lernte er zunächst Maschinenbau, hängte dieses Studium nach einem Jahr an den Nagel, um schließlich Weinbau und Önologie zu studieren. „Es gab eigentlich nie den Plan Winzer zu werden“, sagt Alvaro Loza. „Ich bin einfach meiner Intuition gefolgt und beim Wein gelandet.“

Alvaro Loza verkörpert wie kein anderer, den Spirit der neuen Rioja.

Bevor er 2019 sein Weinprojekt in der Rioja startete, reiste Alvaro Loza um die halbe Welt, mit zahlreichen Stationen in Frankreich und Übersee. Um seine Aufenthalte zu finanzieren, jobbte er zwischendurch in den Bars und Restaurants der Rioja. Bei jedem seiner Trips habe er viel gelernt, sagt er, aber besonders das Burgund und die Côte-Rôtie hätten ihm die Augen geöffnet. „Hier in der Rioja geht es bei den gängigen Stilen Crianza und Reserva darum, wie lange der Wein im Barrique reift“, erzählt er. „Dort erkannte ich plötzlich die Unterschiede zwischen Böden, sah kleine, nebeneinanderliegende Plots, die ganz verschiedene Weine hervorbringen und traf Winzer, die wenig Rebland besitzen und trotzdem absolute Weltklasseweine machen.“ Für Spitzenweine, kann man daraus schließen, braucht es keine teure Kellerausstattung, sondern gute Weinberge.

Mit dieser Inspiration kehrte er zurück in die Rioja. Derzeit keltert Alvaro Loza drei Weine in kleiner Auflage und steht mit seinem Projekt noch ganz am Anfang. Neben dem Einzellagenwein „Cien Reales“, dem Orangewine „Contacto“ und dem „Haro Labastida“ aus Weinlagen in eben diesen beiden Orten möchte er künftig weitere Ortsweine erzeugen. „Für mich ist das eine Möglichkeit, von meiner Region und von der Schönheit dieser Landschaft zu erzählen“, sagt Alvaro Loza. Dank Winzern wie ihm ist die heutige Rioja tatsächlich so etwas wie Explorerland. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist die dortige Terroir-Bewegung noch jung. Aus jahrhundertelanger Erfahrung kennen wir das Profil von Chablis, Puligny und Meursault, von Scharzhofberg und Forster Pechstein. Aber welchen Charakter haben Laguardia und Samaniego oder diese und jene Parzelle in Labastida? Die Winzerinnen und Winzer in der Rioja sind gerade dabei, es herauszufinden. Und das Schöne daran ist, dass wir alle daran teilhaben können. Mit Alvaro Loza & Co. ist eine neue Generation herangewachsen, deren Ansatz und Weine uns nicht nur viel Neues über die Region beibringen, sondern auch alte, tradierte Ansichten vergessen lassen.

Ein Gastbeitrag von Thomas Götz — er lebt nahe Granada, ist u.a. Spanien-Korrespondent von Wein+Markt und Betreiber des Blogs Spaniens Weinwelten.

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