
Freilauf für Gewohnheitstiere
Vor drei Jahren mussten wir wegen Krankheit unsere Reservierung im Noma stornieren. Skidedårlig... das war bitter! Denn einen Tisch im derzeit bekanntesten Restaurant der Welt zu ergattern, hat Parallelen zu einem 6er im Lotto. Ob wir es jemals wieder schaffen werden? Gerüchten zufolge soll das Noma demnächst schließen – mal wieder – ein weiterer Beitrag zur Legendenbildung.
Jetzt flog vor kurzem, O Wunder, eine Nachricht vom Noma rein. Zwei Plätze! Yeah! Am „shared table“. Tja, okay. Sich auf das Gebotene konzentrieren und gleichzeitig Konversation machen, wird das dem Event gerecht? Aber dazu später mehr. Hauptsache wir sind drin.
Kommen wir zur Sache. René Redzepi ist es gelungen, eine ganze Generation von Köchen zu inspirieren, nicht nur in Skandinavien, sondern auf der ganzen Welt. Ohne Frage, er ist ein Big Player im kulinarischen Kosmos, mit Fokus auf regionale Zutaten, Fermentieren, Dörren, Beizen und Einlegen usw. Eine Küche, deren Fundament und Zutaten vorausschauend Jahreszeiten-übergreifend kuratiert werden und sich Inspiration in anderen Ländern holt. Für unser Menü „Ocean Season“ war das Team zuvor in Japan.
Allein das Setting des Noma, am Rande der Freistadt Christiania, ist spektakulär. Es gibt einem nicht das Gefühl, in einer europäischen Großstadt zu sein, sondern irgendwo an einem Bodden, nah am Meer. Der Wind streichelt sanft das Seegras, als wir ankommen.
Das Restaurant mit seinem giebelartigen Dach könnte auch eine evangelische Kirche sein. Die gediegene Ausstattung aus hellem Holz, Holz und nochmal Holz könnte auch von Ikea Royale stammen, oder edles Strandgut aus der Sammlung eines Stardesigners. Sich dem Noma von außen zu nähern, weckt Gedanken an ein Gewächshaus, oder besser: eine Orangerie.
Die Dänen sind Stylomaten. Hygge wird hier groß geschrieben. Die offene Küche ist transparent lässig und der 50+ Mitarbeiterstab für die mehr als 100 Gäste imposant. Das im Minutentakt vorgetragene „Yes, Chef!“ ist eine ständige Erinnerung an alle Anwesenden und treibt die Aufmerksamkeit nach oben: Im Noma ist Höchstleistungs- und Mannschaftssport angesagt. Das dürfen Gäste und Mannschaft gleichermaßen verinnerlichen. Zart besaitete Gemüter, denen das Gebrüll auf den Magen schlägt, sollten besser zuhause bleiben. Ich interpretiere die staccatoartigen Kommandos als positiv. Mich erinnert das an den neuseeländischen Haka und nicht an die einschüchternden Befehle eines Drillsergeants.
Um es vorwegzunehmen. Das Menü ist spektakulär und wird der Bewertung mit *** Michelin gerecht. Ohne Frage, das Noma ist eine Reise wert. Auf seinem lesenswerten Foodblog www.troisetoiles.de hat Julien Walther seine Erlebnisse detailgetreu und mit viel Sachkenntnis beschrieben. Kurioserweise war er kurz vor unserem Besuch da. Wir haben das Menü ähnlich wie er erlebt. Einige Gerichte, wie „King Crab Leg“, die Blue Mussel oder Spaghettieis aus Haselnuss und Pfifferlingen sind episch, unvergessen und spektakulär.
Als Weinhändler und Sommeliers haben wir natürlich einen besonderen Fokus auf die Weine und Getränke. Diese sollten nicht kopflastig sein, schon gar nicht dogmatisch, aber die heutige Weinbegleitung hatte was davon.
Der Reihe nach.
Der würzige Tee im Gewächshaus – unser Apero – war wunderbar. Er schmeckte nach Meer, etwas Baumrinde, getrockneten Kräutern und fermentierten Algen. Eine wärmende Einstimmung auf das Menü und seinen japanisch inspirierten Kontext.
Als wir am shared table ankamen, wurde uns die Weinkarte erst gar nicht angeboten. Wir haben auch nicht danach gefragt. Die Situation war nicht klar ersichtlich und wir hatten bereits vorher mit der Weinbegleitung geliebäugelt. Rund € 300 werden dafür fällig!
Unsere aus Schweden stammende Conférencière sprach wie fast alle Skandinavier perfekt englisch und wirkte mit ihrem selbstsicheren Auftreten professionell und bestimmend. Keine leichte Aufgabe die Ehepaare aus Ungarn, Frankreich und Deutschland unter einen Hut zu bekommen. Doch alle nahmen brav entweder die alkoholfreie Saft- oder Weinbegleitung. Mission accomplished.
Den Auftakt war ein in einer großen Venusmuschel warm servierter Saké, der so unendlich fein und unaufdringlich schmeckte. Ich habe gelernt, dass die Familie Masaru Tereda seit 24 Generationen mit denselben Utensilien, Hefen und Menschen arbeitet. So eine Art: „Natural Viña Tondonia reloaded!“
Einziges Manko, eher ein persönliches, Saké ist eine Welt für sich. Faszinierend und mystisch. Ich kann es genießen, verstehe aber fast nichts. Freude habe ich trotzdem.
Vorab wird uns eine lebende, riesige Königskrabbe gezeigt. Das Prozedere könnte auch in einem Touristenlokal, in denen der Hummer aus dem Aquarium vorab präsentiert wird, passieren. Ein imposantes Tier. Die zur Perfektion gegarten Beine kamen ein paar Minuten später. Irgendwie waren wir froh darüber, dass sie nicht von dem uns gezeigten Tier stammen. Eine großartige Kombi aus dem nussig schmeckenden Fleisch und dem umamireichen warm servierten Saké. Rein und pur.
Der 1. Wein, ein 22er Saint Aubin 1er Cru En Remilly der Domaine Derain hat die klassisch-verdächtige Burgundernase, aber „au naturel“ mit einem fordernden Aroma. Da wandern Streichholzreduktion, feuchter Heuboden und (über)reife Früchte durch das Glas. Am Gaumen ist der Stoff bretthart und flach wie eine Flunder. Das jodige, süßlich salzige Krabbenfleisch und der cremige eiweißreiche Kabeljaurogen aka Milcher, die Pinienkerne, der Kürbis, die ätherische frische japanische Yuzu, all das gibt dem Wein Tiefe und Mundgefühl. Begeisterung kommt nicht richtig auf. Es fehlt die Verdichtung, die Zuspitzung, es bleibt brav, auf sehr hohem Niveau, aber brav.
Der 2. Flight ist ein Hardcore Orange-Wine von Jean-Yves Péron aus dem kleinen alpenländischen Savoie-Städtchen Albertville, bekannt durch die olympischen Winterspiele. Dieser Winzer genießt Kultstatus. Ich bin ok mit klar definiertem Orange jenseits vom Klebstoff oder saurem Essigklistier, vor allem, weil sie spannende Essensbegleiter sind. Ein bis zwei Gläser reichen mir, dann bin ich satt. In diesem Exemplar schwingt am Anfang ein merkwürdiger, dumpfer Ton mit, der uns beide stört. Zu dem Taschenkrebs, mit der köstlich dekadenten Füllung, wird das besser und der Ton verschwindet. Auch zu der legendär schmeckenden Miesmuschel auf der Ricottacreme passt er. Das Essen ist so fantastisch, dass der Wein anfängt mich zu stören. Einfach zu viel Kopfkino. Dann das Glas. Dickwandig, wahrscheinlich dänischer Herkunft, hochwertig verarbeitet, passt es zu dem Tischensemble der wunderschönen handgetöpferten Teller. Doch das Gefühl an den Lippen ist, wie die gedrungene Form und das schwere Gewicht, not my cup. Irgendwas ist immer, ich bleibe Fan von Zalto, Riedel und Co.
Handgefertigte Lambic Biere oder Geuze sind rar, die von 3 Fonteinen sind ganz vorne dabei. In den 1990er war die Familienbrauerei fast bankrott, heute ist jede der jährlich 60.000 Flaschen ein Sammlerstück. Eine Geuze ist kein Bier im herkömmlichen Sinn, es durchläuft eine traditionelle Flaschengärung und reift weitere Jahre auf der Feinhefe. Ein Essenbegleiter mit seinem fruchtigen-mandeligen Duft und säuerlichen Geschmack. Ein willkommenes Intermezzo, zu dem saftig-ätherischen Wasabi Blatt mit Crunch. Zu der Jakobsmuschel, die so kraftvoll intensiv schmeckt, nicht zuletzt auch wegen der reichhaltigen Sauce aus Algen und Seegras mit dem pikanten Meerrettich ist das Geuze ein passender Begleiter, der dem standhält.
Der Höhepunkt der gesamten Weinbegleitung stammt from Down Under aus dem hippen Heathcote, Victoria. Der „Fistful of Flowers“ von Momento Mori ist ein aromatischer Blend aus Moscato Giallo und Vermentino mit bezaubernden floralen, fruchtigen Aromen und einer mittelkräftigen Textur. Ob dieser Stoff nun die beste Wahl zu jedem Gang ist, nicht unbedingt, aber zu einzelnen Elementen grandios, wie die köstliche goldene Beete oder dem Citrus-Yuzu Geschmack beim Tintenfisch. Angenehm ist, dass jedes Winepairing zu jeweils zwei Gängen gestellt wird. Auch die gegebenen Basic Infos vom Service reichen vollkommen aus und der Wein, sowie der Kunde, werden nicht in Grund und Boden gequatscht.
Die getrockneten Beeren auf Algen sind fruchtig und spicy. Ein freches Intermezzo, das alle Sinne befeuert. Dann folgt ein weiterer unglaublich geschmackvoller Gang, einfach ein Feuerwerk, was das Team des Noma bietet. Aalquappe, eisgefischt aus einem See im Polarkreis. Dazu gibt es Muschelfond, Brühe durch ein Bett aus Algen getrunken, gegrillter Bärlauch und eine luftige Kräuter-Hollandaise in der Jakobsmuschel. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus, so komplex wie das aussieht, so perfekt sind die Zutaten aufeinander abgestimmt. Im Noma gibt es keine Zufälle und diese Durchdachtheit gefällt sehr. Der 2023er Novetat Total von Sistema Vinari, ein Blend aus den lokalen mallorquinischen Sorten Callet und Manto Negro weiß nicht zu begeistern. Ein fruchtig erdiger Beerenmix in der Nase, dem die Kohlensäure der Macération Carbonique die Möglichkeit nimmt, sich zu entfalten. Da hilft nur schwenken, schwenken, schwenken, fantasieren. Wie schon bei den Stoffen des Vorgängerweingutes Château Paquita, an denen ich mich bis zur Selbstzerfleischung fast zu Tode geschwenkt habe. Am Gaumen herb, spröde und metallisch (schmeckt wie das Label), was sich als Kräuter und erdige Rote Beete interpretieren ließe. Vom Sommelier-Standpunkt richtig gedacht, aber bei aller Liebe für Naturwein … das hier ist schwer zugänglich, auch für Heavy User. Zu dreckig, zu verkopft und exzentrisch. Es fehlt an Leichtigkeit und Klarheit. Sicher wird der Wein seine Fans haben, wir gehören nicht dazu.
Der ganze Lunch ist ein Feuerwerk und auch bei den letzten zwei Gängen lässt die Equipe nicht locker. Im Gegenteil. Was wurde ich schon von Patissiers gequält, mit fünf süßen Gängen nach dem Hauptgang. Hier kommen zwei leichte, eher säuerliche und nicht zu süße Gänge, die einen wunderbaren Schlussakkord unter ein Menü setzen, das auch in der Menge ausgewogen ist. Man ist satt, nicht abgefüllt, sondern beschwingt von den Endorphinen und positiven Vibes des Menüs. Der wunderbar gereifte 2016 Weißburgunder vom Weinviertler Michael Gindl ist vom Aroma perfekt. Leicht nussig sowie würzig und am Gaumen eher schlank und säurebetont, entsprechend dem Naturell dieser Rebsorte. Sicher ein spannender Wein zu eleganten Vorspeisen. Diese Kombi ist anders als der übliche Süßwein, eine fordernde Erfahrung mit Spannungsbogen. Man stellt bei dem gesamten Noma-Weinpairing immer wieder fest, dass der Wein das Essen gut gebrauchen kann.
Fazit
Kopenhagen, vor allem das Noma sind die Epizentren der Vin Naturel-Bewegung. Die Entwicklung nach krassen, teilweise geschmacklich verstörenden Aufbruchjahren scheint sich wieder zu normalisieren. Das geht in eine erfreuliche Richtung. Weniger Dogmatik, mehr Genuss und Spaß. Nur diese Weinbegleitung hinkte gefühlt 5 Jahre den Entwicklungen hinterher.
Denn die besten Naturweine sind bereits auf Augenhöhe mit den großen Klassikern und werden erst gar nicht hinterfragt. Daran hat das Noma einen großen Anteil, da die Sommeliers von Anfang an auf die Karte gesetzt haben.
Nur stellen wir uns die Frage, ob bei dem ein oder anderen Pairing nur unsere Toleranzgrenzen auf die Probe gestellt werden sollte. Uns war die Weinbegleitung zu verkopft und teilweise zu dogmatisch, nicht in derselben Liga wie das Menü. Es fehlte an Leichtigkeit und an bacchantischer Lust. Die Gläser sind Geschmackssache, wie alles im Leben, aber dem Genuss doch etwas abträglich.
Handwerklich gesehen war das eine in sich stimmige, perfekte, jedoch verhältnismäßig teure Weinbegleitung. Unterschwellig kam der Gedanke auf, an einem großen „Bankett de luxe“ mit 120 Gästen teilzunehmen, da es nur ein Menü gibt und im Takt serviert wird. Das lag sicher an dem Setting des shared table-Konzepts.
Sollten wir in drei Jahren wieder einen Slot erwischen, dann möchten wir an einem separaten Tisch sitzen und lassen uns die Weinkarte geben. Alles wird gut.