Willkommen im neuen Kalifornien
Der von Unterseevulkanen geprägte Archipel mitten im Atlantik, 100-500 km vor der Küste Nordafrikas gelegen, dümpelte lange vor sich in seinem eigenen Rebensaft und seinen Traditionen hin. Im wahrsten Sinne, denn über das Image des Urlaubsweine oder süßen Malavasia Dulce als Mitbringsel für die Daheimgebliebenen kam der Kanarenwein nicht hinaus. Die Docklands in London, oder Canary Wharf, eigens eingerichtet für Schiffe aus dieser Richtung kommend, lassen auf eine größere Vergangenheit und Bedeutung schließen, die sich im Orcus der Geschichte verliert, genau wie die Weine. Der Canary Sack war der Publikumsliebling in UK, Frankreich und Amerika, ein beliebter Pit Stop bei Seefahrern machte den süßen Malvasia populär. Als die Engländer und Spanier um 1700 aneinandergerieten, fiel die Gunst auf Madeira und Portwein. Der Sack wurde zugemacht.
Auch im iberischen Kontext spielten die Kanarenweine lange Zeit keine große Rolle. Vergessen, verschollen und abgetaucht, wie das Wrack der Titanic inmitten des Ozeans, untergegangen in einer Million Hektar spanischer Weinberge. An erster Stelle standen bei den Spaniern die Royals, die bekannten Namen wie Rioja und Ribera del Duero, dann kam lange nichts. Nicht nur bei den Konsumenten, sondern auch bei den Bepunktern der internationalen Rating Agenturen fielen sie durch. „Parker gave me 50“ war das Schicksal der Vulkanweine, wenn sie überhaupt auf den Radar kamen.
Doch der Weingigant Spanien wandelt sich dynamisch und einstmals vergessene, alte Regionen bekommen seit zwei Jahrzehnten einen gewaltigen qualitativen Auftrieb und die verdiente Aufmerksamkeit. Schuld daran sind in vielen Fällen die Heimkehrer; gut ausgebildete Visionäre, häufig jung und mit genügend Kraft, oder Geld sich dem Erbe stellen. Sie respektieren die Tradition, aber wichtiger als diese ist ihnen die Vision. Vor allem erkennen und schätzen sie den Wert des Terroirs, was den Einheimischen aufgrund der langjährigen Betriebsblindheit und Abgeschiedenheit verloren ging. Sie wollen nicht auf Urlaubswein reduziert werden, sondern vorne mitspielen.
Mittlerweile sind es ca. 20 Betriebe, über alle Inseln verteilt, die das Image des Kanarenweins neu prägen. Im Verhältnis zur Anbaufläche ist das nicht viel, aber genug, um für ausreichend Aufsehen in der Weinwelt zu sorgen. Es gibt insgesamt 240 Betriebe, aber 8000 Weinbergsbesitzern mit weniger als einem Hektar Land. Das eröffnet Chancen für die jungen Visionäre an spannendes Traubenmaterial zu kommen.
Technisch gesehen gehören die Kanaren zu Europa und damit zu Spanien. Die 6750 Hektar Weinberge bilden einen eigenen Mikrokosmos mit krassen natürlichen Bedingungen. Der heiße, staubige Calima Wind, aus der Sahara, oder der kühle Nordostpassat prägen das teilweise subtropische Klima. Einige Parzellen erstrecken sich auf bis über 1400 Meter aus dem Meer. Das ist verdammt hoch. Jede Insel hat eine eigene DNA und die Mikroklimata sind sehr unterschiedlich, genau wie der geologisch junge Vulkanboden, der stark variiert und teilweise von Meeressedimenten vermischt ist, dem Jable de Tao.
Das, was die jungen Winzer am meisten an ihrer Aufgabe reizt sind die vielen alten Reben, teilweise aus Sorten, die auf dem spanischen Festland an Bedeutung verloren haben. In diesem ampelographischem Museum haben sie sich und ihre ursprüngliche Genetik ungepropft (unveredelt) auf historischem Wurzelwerk viele Jahrzehnte erhalten. Wenn man so will, hier wächst und gedeiht die Ursuppe des Weines. Einige sagen diese Sorten sind im Laufe der Zeit zu etwas eigenem mutiert.
Das Not erfinderisch macht, ist bekannt und die Generationen von Weinbauern haben sich einiges einfallen lassen um der kargen, windgepeitschten Landschaft ein paar Früchte abzuringen. Die Erträge gehören zu den niedrigsten in Europa.
Entweder stehen die Reben in Senken, den Hoyos, oder hinter Socos, festen Mauern, und in Chabocos, tiefen Felsspalten in teilweise meterdicker Vulkanaschenamens Picon, Lapili oder Rofe. Auf jeder Insel haben die Bauern aufgrund der unterschiedlichen natürlichen Bedingungen im Laufe der Jahrhunderte eigene Anbauweisen etabliert. Ohne Frage, die Uhr schlägt hier anders, zwar tiefenentspannt aber nur in Handarbeit.
Ein großes Augenmerk legt die neue Winzergeneration darauf, den teilweise stark reduktiven (Streichholz, Asche oder Bölleraroma) und manchmal übertriebenen phenolisch-würzigen oder ledrigen Charakter aus den Weinen herauszubekommen. Im Focus steht die steinig, karge Version, die einen klar definierten Herkunftscharakter und vor allem eine eigene DNA hat. Sie setzen neue Maßstäbe mit Lagen- oder Gemarkungsweinen und behalten die Frucht im Focus. Kanarenweine stehen nicht für einen bombastischen Stil, dafür haben sie mehr Parfüm und Duft. Selten sind sie massiv alkoholisch oder körperreich, bis auf den Malvasia, in dessen DNA dieser Charakter steckt. Die Weine vom Etna auf Sizilien stehen ihnen charakterlich am nächsten, wenn es überhaupt eine vergleichende Referenz für diese einzigartigen Weine braucht.
Ob mit oder ohne Maischestandzeit, alten Baumkeltern, Reifung in Glasgebinden (Demijons), gebrauchten oder neuen Fässern, Fudern oder Tonneau. Es wird viel experimentiert, feingetuned und justiert, um an das flüssige Optimum zu kommen. Jedes Jahr ist das Ergebnis präziser und ansprechender. Diese Botschaft kommt an und die besten Weine vom Archipel sind gesuchte Perlen.
Wer heute über aufstrebende spanische Weinregionen spricht, der kommt an den Kanaren nicht vorbei. Wer es nicht glaubt, der hat einen Vogel.