Malbec, der große Verführer
Es ist erst acht Jahre her, dass ich dachte, ich würde nie etwas mit diesen stillen Champagnern anfangen können. Aber ich hatte mich getäuscht – und musste meine Meinung schon wenige Tage später revidieren, als ich Emmanuel Lassaigne in Montgeux besuchte und er mir einen seiner seltenen weißen Coteaux Champenois einschenkte, der hervorragend war. Und dann waren da ja auch noch die Rosé von Les Riceys, die ich in meiner Bestürzung fast vergessen hatte, aber dazu später.
Tatsächlich haben die letzten acht Jahre die Champagne stark verändert. Der Klimawandel hat noch deutlicher Einzug gehalten als in den Jahren zuvor, und noch ist er Segen und Fluch zugleich. Ein Segen, weil die Trauben im Gegensatz zu früher fast immer reif werden. Ein Fluch, weil Starkwetterereignisse wie Starkregen, Hagel und Spätfröste dramatisch zunehmen. Was der Klimawandel auf jeden Fall gebracht hat, sind stille Weine, die inzwischen richtig Spaß machen. Natürlich gab es in der Champagne schon immer stille Weine, denn in der Region wurde schon Wein erzeugt, als es noch keine Schaumweine, geschweige denn eine „Méthode Champenoise“ gab. Doch der Erfolg der Schaumweine, bei denen die zweite Gärung den Weinen etwas einzigartig Frisches, elegantes und Komplexes verliehen hat, drängte die Stillweine in den Hintergrund, die tendenziell als eher bäuerlich und einfach wahrgenommen wurden. Eine Ausnahme bildeten über die Zeit hinweg die meist recht dunklen, an Claret erinnernden „Rosé de Riceys AOP“ aus Les Riceys im Süden der Champagne, kurz vor Chablis und Auxerrois. Diese Rosés aus Pinot Noir hatten in Frankreich schon immer einen sehr guten Ruf – bis heute.
Die „Coteaux Champenois AOP“ wurde 1974 als Appellation für nichtschäumende Rot-, Rosé- und Weißweine in der Champagne eingeführt. Sie unterscheiden sich von den so genannten „Vins Clairs“, den grundweinen der Champagner auf Grund ihres Alkoholgehaltes und der Säurestruktur. Bei den Vins Clairs braucht man Elmex Gelée da sie meist 11 % Vol. alc. und 9 bis 11 Gramm Säure besitzen, die Trauben für die Coteaux Champenois werden später gelesen und bieten meist 12,5 % Vol. Alc. und 5 bis 7 Gramm Säure.
Die Jahre 2018 bis 2020 brachten schließlich den Durchbruch für die Stillweine. In diesen Jahren reiften nicht nur die Trauben, sondern auch die Stiele und Stängel voll aus und es entstanden Pinots (Pinot Noir und Pinot Meunier), die Struktur mit Frucht und Frische verbanden. Seit dieser Zeit haben sich die Coteaux Champenois immer mehr durchgesetzt. Das ist vor allem den jungen, experimentierfreudigen und unabhängigen Winzern zu verdanken, die mit ihren Weinen so etwas wie ein zweites Jura schaffen. Ihre Weine wirken meist naturbelassen, ungeschönt und mit möglichst wenig Eingriffen. Sie sollen vor allem Spaß machen, spielen oft mit Reduktion und leichter Oxidation und dürfen auch mal anecken.
Coteaux Champenois gibt es inzwischen aus so ziemlich allen in der Champagne zugelassenen Rebsorten, meist reinsortig, manchmal als Cuvée. Zudem stammen sie aus allen möglichen Ausbaumethoden, also aus kleinem und großem Holz, aus Edelstahl, Betonei, Keramikkugel oder Kvevri, als Jahrgangswein oder als Réserve Perpetuelle – einer Solera ohne Jahrgang, die immer wieder neu befüllt wird, wenn man ihr etwas entnimmt. Klassisch ausgebaut werden die Coteaux Champenois vor allem bei Erzeugern wie Roederer, Charles Heidsieck oder Bollinger, deren Stillweine extrem selten und sehr teuer sind. Auch die Stillweine der unabhängigen Produzenten sind rar und sicher nicht billig. Aber die Flaschen, die oft nur unter der Hand verkauft werden und meist eine Wachskapsel oder eine Kordel tragen, sind auf jeden Fall eine Entdeckung wert.
Und hier noch Euer Link in den WaL-Shop zum Coteaux Champenois von Perseval.
Ein Gastbeitrag von Christoph Raffelt