It’s the freshness, stupid: Trip durchs atlantische Portugal
Besuch beim Edelmetzger: In der Auslage liegt Qualitätsfleisch in diversen Alterungsstufen und Cuts. Das kundige Personal kann zu jedem Stück von frei laufenden Tieren Tipps und Tricks zur Zubereitung geben. Ich lerne, dass Herkunft, Rasse und Futter, aber auch Lagerung und Reifung eine große Rolle spielen. Und das natürlich kein Tier Antibiotika oder sonstige artfremde Substanzen bekommen hat.
Hier wird hervorragende Ware angeboten, das merkt man auch am Preis. Und ich bin der Letzte, der das nicht akzeptieren würde. Ich kaufe zwei Steaks für zwei Personen, und mein Blick fällt dabei aufs Weinregal. Die angebotenen Flaschen tragen zwar lustige Etiketten, spielen aber nicht annähernd in der selben Liga wie das Fleisch. Das ist serienmäßig hergestellte Konfektionsware: Ich frage mich, warum hier seelenloser Stoff zu hochwertigen Lebensmitteln verklappt wird.
„Gemüse vom Biobauern und bestes Fleisch vom Metzger meines Vertrauens, aber dazu Industriewein? Bitte nicht!“
Wein verkaufen darf hierzulande jeder, und viele Einzelhändler nutzen die Möglichkeit, um zusätzlich Umsatz zu generieren. Allerdings hat mich mein Besuch beim Edelmetzger einigermaßen frustriert. Nicht, dass ich dort explizit hingehe, um Wein zu kaufen. Doch mit Verlaub, das zusätzliche Angebot passt einfach nicht zum Erscheinungsbild des übrigen Sortiments. Wenn schon Wein, dann möchte ich etwas finden, was genauso charaktervoll und individuell ist wie der Rest. Aber das sehe ich selten.
Der Metzger ist leider nicht er einzige Pseudo-Weinhändler, das Problem tritt deutschlandweit oft auf. Beim Fischhändler finde ich zum geangelten Loup de Mer oder Seeteufel oft eine vergleichbare Tristesse im Weinregal. Ob ich handwerklich affinierten Käse oder biodynamisch angebautes Gemüse auf dem Hof kaufe, Wein hat fast jeder zusätzlich im Angebot.
Mir fehlt eine eindeutige Aussage und das Bekenntnis zur Qualität!
Der Wein sollte zur Philosophie und dem Angebot des Händlers passen. Er würde sich damit auch selbst einen Gefallen tun. Es muss kein teure Edelstoff sein, aber doch bitte etwas, was mit Liebe und Sachkenntnis ausgesucht wurde. Gerade zu Seafood und Käse gibt es unzählige hervorragende Begleiter.
Dass es besser geht, zeigen Beispiele im Ausland. Waren Sie schonmal im Käseladen „Paxton and Whitfield“ in London? Dort gibt es handgemachte Käse und darauf abgestimmte handverlesene Weine, Portwein und Craft Bier. Auch die Warenhäuser „Harrods“ und „Selfridges“ ergänzen ihre Fischtheke mit sehr guten Weinen – das „KaDeWe“ in Berlin hingegen speist seine Kunden mit belanglosem Grauburgunder oder anderen Langweilern ab. In der Lissabonner Markthalle „Time Out Market“ finden sich gleich mehrere Läden, die verstanden haben, dass der Wein zu ihrem Sortiment passen sollte. Mein Tipp: „Sea Me“, eine Kombination aus Brasserie und Fischladen.
Wir tun in unserer Gesellschaft heute so aufgeklärt und legen angeblich Wert auf gute Lebensmittel und Nachhaltigkeit. Dazu passt aber nicht, Gemüse beim Biobauern und Fleisch vom Metzger des Vertrauens mit Industriewein runterzuspülen. Bei so viel Ignoranz fehlen mir die Worte. Ich wünsche mir mehr Engagement. Denn leider richten sich die meisten Angebote nach wie vor auf der ersten Stufe des Genusses ein: dem Wirkungstrinken.
Erschienen im „Der Feinschmecker“ – Ausgabe 08/20