Willkommen im neuen Kalifornien
Cabernet versus País
In Südamerika beispielsweise gibt es kaum noch andere Rebsorten als die genannten. Das war nicht immer so. Als die Spanier im 16. Jahrhundert kamen und den Kontinent eroberten, brachten sie als Katholiken natürlich auch Weinreben mit, und zwar vor allem die Sorte Listán Prieto, in Chile País, in Argentinien Criolla Grande genannt. Lange war diese Rebsorte entscheidend für den Weinbau, bis sie von den sogenannten Edelrebsorten verdrängt wurde. Nachvollziehbar ist das allemal; denn Wein ist zu einem Exportartikel geworden, und Cabernet, Malbec und Chardonnay eignen sich deutlich besser für den Export als País. Doch auch in Chile gibt es mittlerweile auch gallische Dörfer bzw. Winzer wie Roberto Henriquez, der die gesamte chilenische Weinindustrie, in der fünf Konzerne rund 90 % der Weine erzeugen, kennengelernt hat, um schließlich in seiner Heimat im Süden des Landes den Wein zu erzeugen, den man früher getrunken hat. Es ist ein leichter Landwein, ein sogenannter „Viño Pipeño“. Der Schlüssel dazu sind uralte Weinberge, die bepflanzt sind mit Criolla, Listán Prieto oder der Mission Grape.
Einheitsbrei nach der Reblauskatastrophe
In Deutschland und Frankreich kam der große Bruch in der Rebsorten-Vielfalt mit der Reblaus-Katastrophe im 19. Jahrhundert. Vorher standen hunderte unterschiedlichster Rebsorten meist gemischt in den Weinbergen. Als diese neu bepflanzt wurden, beschränkte man sich auf wenige Rebsorten, die dann auch noch reinsortig gepflanzt wurden. Man schätzt, dass je nach Gebiet 50 bis 90 % der Rebsorten, die vorher vorhanden waren, ausgestorben sind oder so gut wie kaum mehr vorkommen. Mit der Verknappung der Rebsorten und dem reinsortigen Anbau haben sich im Laufe der Zeit Rebschulen gegründet, die nur diese wenigen Rebsorten im Programm haben und vervielfältigen. Das kann man sich in etwa so vorstellen wie die Klonarmeen bei Star Wars. Die Rebstöcke, die man dort kauft, stammen von einem Elternpaar ab. Was dabei im Laufe der Jahrzehnte abhandengekommen ist, ist die genetische Vielfalt. Zudem werden immer mehr Rebstöcke von Viruskrankheiten befallen, was wahrscheinlich daher rührt, dass Klonreben deutlich weniger Widerstandkraft besitzen als Reben, die noch klassisch gezüchtet wurden und in einem Umfeld aufwuchsen, das eine hohe Biodiversität besaß. Das muss übrigens nicht sein. Es geht auch anders. Auch wenn wir jetzt kurz abschweifen heißt da das Stichwort: Selection massale. Dabei werden aus alten Weinbergen die besten Stöcke über Jahre hinweg beobachtet und von denen Reiser genommen, die dann auf Unterlagsreben gesetzt werden. Peter Vinding beispielsweise, bekommt seine Stöcke von einem auf Massenselektionen spezialisierten Züchter von der Rhône und setzt sie in seine Weingärten auf Sizilien. Dort gibt es die Sorte zwar schon seit 200 Jahren, allerdings haben die Klone dort keine sonderlich gute Qualität und leiden oft an Virus-Krankheiten.
Rebsorten im Vergleich
Cabernet Sauvignon: 310.671 ha in 2016 (127.678 ha in 2010)
Merlot: 266.440 ha in 2016 (154.752 ha in 2010)
Chardonnay: 201.649 ha in 2016 (69.282 ha in 2010)
Sauvignon Blanc: 124.700 ha in 2016 (44.677 ha in 2010)
Listán Prieto: 10.276 ha in 2016 (15.532 ha in 2010)
Arinto: 5.409 ha in 2016 (3.966 ha in 2010)
Assyrtiko: 1.770 ha in 2016 (1.106 ha in 2000)
Bical: 1.076 ha in 2016 (1.336 ha in 2000)
Quelle: Wein Plus
Alte Sorten trotzen den Klimaveränderungen
Dass es nicht unbedingt Sinn macht, immer die gleichen Sorten zu pflanzen, sondern sich zu überlegen, ob Rebsorten, die früher optimal an die Region angepasst waren, vielleicht besser geeignet wären, wird immer mehr Winzern klar. Manchmal spielt auch der Zufall eine Rolle, wie etwa bei den Breuers in Rüdesheim, wo Heinrich und Bernhard Breuer in den 1990ern einige Flaschen der fast ausgestorbenen Rebsorte Gelber Orléans aus den 1920ern erwarben und so begeistert waren, dass sie im Rüdesheimer Schlossberg einige Reben von dieser Sorte anpflanzten. Immer häufiger aber ist es inzwischen auch ein Forschungsgebiet, welche Rebsorten mit dem Klimawandel besser mithalten als die üblichen Global Players. So hat beispielsweise die Familie Torres, die das größte private Weingut Spaniens besitzt mit Kellereien in vielen Landesteilen, ein großes Forschungsprogramm entwickelt, um uralte Rebsorten neu anzupflanzen und zu untersuchen, wie diese mit den heutigen Bedingungen zurechtkommen. Aber man muss nicht immer so tief forschen. Manchmal reicht es auch, althergebrachte Sorten wie den Silvaner wieder dort anzupflanzen, wo sie früher standen, und den Ausbau der Sorten an die heutigen Trinkgewohnheiten anzupassen. Tatsächlich scheint es so zu sein, dass sich viele alte Rebsorten gut an die sich verändernden Bedingungen anpassen, weil sie das teils schon in den letzten Jahrhunderten gemacht haben. Schließlich hat sich das Klima immer verändert, nur nicht so schnell wie heute.
Renaissance der Autochthonen
Und so ist es sicher kein Zufall, dass Assyrtiko (Terassea) und Xinomavro (Ktima Mikra Titos) aus Griechenland eine Renaissance erleben, obwohl man zwischenzeitlich vor allem griechische Weine aus internationalen Rebsorten kaufen konnte. Auch aus Sizilien, das in den 1990ern erst mit Syrah und Chardonnay auf den internationalen Weinkarten auftauchte, sind es heute vor allem autochthone, also heimische Reben wie Nerello Mascalese (Eduardo Torres Acosta), Nero d’Avola, Frappato oder Moscato di Noto (Il Mortellito), die Erfolge erzielen. Oftmals braucht es dazu Menschen wie Rodrigo „Rodri“ Méndez Laredo vom Weingut Forjas del Salnés in Galicien, der nicht mehr immer nur den gleichen stromlinienförmigen Albariño erzeugen wollte, sondern mehr Vielfalt suchte. Er befasste sich mit alten Weinbüchern und machte sich auf die Suche nach alten Weinbergen. Dabei stieß er auf solche, die teils mehr als 150 Jahre alt waren und Rebsorten wie Caíño, Sousón, roten Treixadura und Brancellao enthielten. Diese Rebsorten waren nicht nur perfekt an das dortige atlantische Klima angepasst, sie erzeugten auch Charakterweine, wie man sie lange nicht mehr trinken konnte.
Neue Geschmacksvielfalt
Die Renaissance alter Rebsorten, wie beispielsweise Listan und Negramoll auf den Kanaren – siehe Victoria Torres –, Bical (Pato/Wouters) im portugiesischen Bairrada, Loureiro, Arinto und weitere Sorten im Minho oder die alten Sorten Trousseau und Savagnin (Chateau Arlay) im Jura, sorgt jedoch nicht nur für mehr Diversität in den Weinbergen, die dringend notwendig ist, sondern auch für deutlich mehr Vielfalt am Gaumen. Mit ihnen ist es ähnlich wie mit den Tomaten. Man kann in den Supermarkt gehen und immer gleich schmeckende Treibhaustomaten kaufen. Oder man hat das Glück, einen Bauern auf dem Wochenmarkt anzutreffen, der sich die Mühe gemacht hat, rund 20 verschiedene alte Tomatensorten anzubauen, und der erst fragt, wofür man die Tomate denn nutzen möchte, bevor er einem die geschmacklich passende verkauft.
Für zunehmend mehr Winzer ist die Rückbesinnung auf alte Rebsorten ein wichtiger Schritt in Hinblick auf mehr Diversität, eine höhere Geschmacksvielfalt, mehr Authentizität in Hinblick auf die eigenen Wurzeln und eine bessere Möglichkeit, sich an den Klimawandel anzupassen. Diese Renaissance findet aber, wenn man auf die Rebsorten-Statistik schaut, nur im Kleinen und im hochpreisigen Segment statt. Ein Beispiel? Obwohl man, wenn man sich die deutschen Trends der letzten Jahre anschaut, meinen könnte, dass der Silvaner – früher Deutschlands wichtigste weiße Rebsorte – wieder deutlich mehr in den Fokus rückt, hat sich der Bestand zwischen 2010 und 2016 von 11.000 auf 6.000 Hektar verringert. Die Weine, um die es bei Wein am Limit, in der Vinum oder auf Facebook geht, spielen letztlich im weltweiten Weinbau kaum eine Rolle. Dort geht es weiterhin nur um die Masse und den einheitlichen Geschmack. In Frankreich gab es einmal rund 5.700 unterschiedliche Sorten, in Deutschland immerhin 1.100. Wie viele von denen kennt ihr?
Ein Gastbeitrag von Christoph Raffelt