Allgemein

Gebetsschwestern im Schaumweinmekka

Logbucheintrag No. 1:
Dienstag, 19. Juni 2024: Paris am Limit

Mein Weg in die Champagne führt über Paris. Das Schaumweinmekka liegt knapp zwei Autostunden von der City of Love entfernt.

Der TGV 9576, Abfahrt 9:10 Uhr am Stuttgarter Hauptbahnhof, ist so voll, dass mir dafür kein Vergleich einfällt. Mehr Menschen als es Ziele gibt. Ich schleppe meinen Kadaver die kleine Treppe hoch als würde ich den Kilimandscharo erklimmen, lasse mich in den letzten freien Sitz sacken und bete zu allen Göttern dieser Welt, dass er nicht reserviert ist. Ich krame meinen silbernen iPod Shuffle aus dem Rucksack, verbarrikadiere meine Ohren mit den In-Ears und drücke auf Play. Durchatmen. Der TGV rollt, der Sitz gehört mir.

Verwaschene Silhouetten hinter Sicherheitsglas, Landschaftsteppiche, die mir bei 330 km/h unter den Füßen weggezogen werden, Silberpfeil auf Schienen, alles fließt.

Ich war noch niemals in New York, ich war noch niemals auf Hawaii und auch die Champagne ist mir fleischlich fremd wie Seidentofu. Ich liebe die geografisch geschützten Schaumweine, doch die Inszenierung großer Marken nervt. Ob als hundewelpensüße Ice-Edition, saisonale Massenbrause mit sommerlichem Etikett oder kitschige Reminiszenz in Gatsby-Gold: Glattgebügelt im Geschmack, budgetär zugänglich und stylish in Szene gesetzt, hat es die durchkommerzialisierte Champagner-Experience dank börsennotierter Konzerne wie LVMH auch bis nach Hintertupfingen in das Wohnzimmer von Serafina-Jacqueline geschafft, die Admin der WhatsApp „Die wilden Hühner“ ist. Dass wir hier längst über kommerzielle Brühe sprechen, Luxus von der Stange, ein konfektioniertes Lebensgefühl, ist im Gegensatz zur Luft in Paris klar wie Consommé.

Lächeln, bitte: Selfie-Queens im Königreich Champagne. #saycheese

Um 12:43 Uhr spuckt mich der Hochgeschwindigkeitszug am Gare de l’Est aus. Noch knapp 6 Stunden, bis ich mich mit Hendrik treffe. Wir gehen zu Yannick Alleno ins Pavyllon, pennen auf einem Flussdampfer bei St. Denis und fahren morgen mit einem Mietwagen in die Champagne. So der Plan. Und ich darf mit. Weil ich das schreibe: Willkommen im Autorenleben, bonjour Paris.

Ich schlemme im Verre Volé, klappere Naturweinläden ab, trinke italienischen Kaffee und französisches Bier, höre Musik, lade mein iPhone mit der Primark-Powerbank meiner kleinen Schwester und denke leicht ehrfürchtig an die Champagne. Abends dann lockeres Dinner mit Hendrik im Pavyllon. Ich esse Tatar vom Thunfisch und Spargel mit Bärlauch, danach teilen wir uns brüderlich ein Cordon Bleu. Der Chardonnay von Bass Philipps aus Australien passt mit seinem cremigen Schmelz perfekt dazu. Eine Batterie an Desserts bildet einen passenden Abschluss wie die Schippe Schlaf, die ich jetzt dringend brauche, um die eigene aufzuladen. Bonne nuit, Paris, see you tomorrow, Épernay.

Logbucheintrag No. 2:
Mittwoch, 20. Juni 2024: Big Bergère Business

Nach dem Frühstück, das aus einer Tasse Kaffee und einem gekochten Ei besteht, geht es mit dem Taxi zum Charles de Gaulles. Am Hertz-Schalter Mietwagen-Hustle. Aus dem vollverchromten Lambo Gallardo mit Lachgaseinspritzung und Playboy-Bunny auf dem Rücksitz wird ein schwarzer Peugeot 308 GT, doch solange Blaumann-Hendrik und meine Lappenhaftigkeit smooth in die Champagne kommen, lässt sich das Downgrade verkraften.

Der Verkehr flowt wie Trollinger. Während sich die Deutschen hinter dem Steuer mit Mittelfingern massakrieren und Mutti Merkel verfluchen, ist das Gewusel auf den Straßen Frankreichs zwar wild, doch stets kooperativ. Boxenstopp im Au Bon Manger, einem kleinen Bistro mit großer Champagner-Auswahl: Die Lachsqualität ist exzellent und auch das Confit de Canard grandios. Ich kaufe eine Flasche Rosé-Champagner, dann fahren wir zu André Bergère, einem familiengeführten Betrieb, den Oberwappler Hendrik kürzlich ins Portfolio aufgenommen hat. Die Compagnie bewirtschaftet stabile 45 Hektar, alles family owned. Bei den Bonsai-Betrieben, die ich mir sonst so in die Rübe schütte, ein spannendes Kontrastprogramm. Die Quali bei derartiger Größe zu halten, ohne in die Gesichtslosigkeit zu driften, verdient maximalen Respekt. Chapeau.

Der Betrieb ist sehr aufgeräumt – clean, doch nie klinisch. In den Räumlichkeiten mit den Fudern der Fassbinderei Stockinger, einer österreichischen Tonnellerie von Weltrenommee, lässt sich die saubere Arbeit auch ohne Degustation schmecken. Dennoch lässt es sich der entspannte Verkaufsleiter, ein guter Freund von Sohn und Mittlerweile-Chef Adrian, nicht nehmen, die verschiedenen Schaumweine aufzuziehen. Die Champagner sind sehr straight, verfolgen einen trockenen Stil und kommen trinkanimierend um die Ecke gebrettert. Der Soléra gefällt mir besonders, doch auch Millèsime und Einstieg pfeifen wie Whistleblower.

Bergère, Baby: klare Linie auf ganzer Linie. Handschrift ist Muss.

Was mir am Soléra-Verfahren, das seinen Ursprung in der Sherry-Herstellung hat, so krass taugt, ist die Tatsache, dass es dem Champagner eine kaleidoskopische Komplexität verleiht. Irgendwie auch logisch, wenn man bedenkt, dass wir von einer ewigen Reserve sprechen, die immer wieder mit frischen Grundweinen verjüngt wird – wie eine MILF mit Botox. Start der Reserve: 2013. 100 % aus Chardonnay-Trauben gekeltert, Blanc de Blancs also. Der Tropfen vereint Reifetöne, kreidige Mineralität und gelbfruchtige Frische easy. Hinzukommen eine feine Oxidation, nussige Töne und etwas Brioche. Fazit: Flüssiges Panoramadach, weil erweitert den Horizont. Geil.

Abends hängen wir auf der Avenue de Champagne, wo sich die prunkvollen Paläste der großen Häuser dieser Welt monopolymäßig aneinanderreihen: Pol Roger, Perrier-Jouët, Moët und wie sie alle heißen. Auch kleinere Betriebe und mir unbekannte Namen spicken das Geschehen. Ich kann das Vermächtnis dieser Häuser durchaus respektieren, doch ins eigene kommen sie mir nicht. Es darf schon etwas individueller sein.

Apropos: Da es in Paris bereits Chardonnay aus Australien gab, brechen wir auch heute mit Konventionen und trinken zum krönenden Abschluss Bier statt Champagner. Dom Pérignon möge es uns verzeihen. Als Mönch sicher nichts leichter als das.

Logbucheintrag No. 3:
Donnerstag, 21. Juni 2024: Make some noise für Gatinois

Sobald ich das petit dejeuner inhaliert habe, geht es in Richtung Gatinois in Aÿ. Meine eigentliche Morgenroutine von 250 Liegestützen, einem Protein-Shake aus 12 Freilandeiern und gefriergetrockneter Hafermilch, vierzehnminütigem Eisbaden in Volvic und einem Call mit Jeff Bezos fällt flach: Schaumweinproduzent first.

Hendrik und sein Team vertreiben die Winzerchampagner seit knapp zehn Jahren. Der Betrieb ist cute, Mutti Gatinois begegnet uns auf dem Hof, während Sohn und Chef Louis mit uns quatscht und auch den beigefarbenen Haustiger schließe ich direkt ins Herz, da dieser im Gegensatz zu den meisten Katzen nicht teilnahmslos-arrogant in der Ecke lungert, sondern aktiv am Geschehen partizipiert und mit Korken spielt: #happycat.

Der Betrieb bewirtschaftet 7 Hektar und keltert daraus knapp 50.000 Bouteillen. Außerdem liefert die Familie Trauben an Big Player Bollinger. Insgesamt gibt es vier verschiedene Schäumer. Ein überschaubarer Katalog in Zeiten der großen Reizüberflutung des 21. Jahrhunderts: Wellness für die kognitiven Fähigkeiten. Es gibt den Einstiegssprudel Brut Tradition, den großen Brudi Brut Réserve, einen Rosé und einen Jahrgangsschampus von 2013 aka Brut Millèsime. Et voilà, that’s it. Die Handschrift lässt sich am Gaumen schnell röntgen: Pinot Noir dominiert die Cuveés, typisch für die Region, immer leicht roséfarben, außerdem setzt Louis auf eine trinkanimierende Dosage, die nie zu süß wird, doch stets für einen schlagartig einsetzenden Refill-Reflex sorgt. Yummy.

Irgendwo zwischen #happycat und Tetris mit feinem Stoff bei Gatinois.

Alle Flaschen werden von Hand degorgiert, Traubenlese dito, selbes gilt für die Selektion. Sehr unprätentiöser, seriöser Stoff, der sich nicht zu ernst nimmt, allerdings Bogen um dadaistische Experimente macht. Taugt mir. Wäre ich Jeff Bezos linker Zeh oder Schwippschwager achten Grades wäre das sicher mein Hauschampagner, da ich allerdings nur ein kleiner Texter bin, der Zeichen gegen Taler tauscht, bleiben die Schäumer die perfekten Hydranten für Feiertage, besondere Anlässe und alle sonstigen Events, die feinen Stimmungsprudel verlangen – ob Scheidung, Jahresversammlung des Kegelvereins Saale-Unstrut e. V. oder der Gewinn der Bronze-Medaille beim Matjes-Wettessen in Malmö.

Mein Favorit: der Brut Tradition. Achtzig-Zwanzig-Mische, Pinot Noir und Chardonnay, 24 Monate auf der Hefe, Spontan im Stahltank vergoren, ein weiteres Jahr Powernap auf Flasche. Die Cuvée basiert zu 70 % auf dem Jahrgang 2019. Die restlichen 30 % bilden Reserveweine aus 2017 und 2018. Value-for-money-mäßig bockstark, wunderbar frisch, nie beliebig und durch die Reserveweine mit durchaus komplexem Abgang.

Apropos. Nach dem Termin bei Gatinois gehen Hendrik und ich in Bahnhofsnähe essen, mein Zug kommt um 14:15 Uhr am Gare de Reims. So wie meine Reise begonnen hat, endet sie auch: via Paris, wo ich drei Stunden auf meinen TGV nach Stuttgart warte. Vom Schaumweinmekka ins Feinstaubeldorado, prickelnd ist anders, doch die Erinnerungen an die Champagne schäumen noch nach, während mich der Silberpfeil auf Schienen Richtung Heimat beamt. Verwaschene Silhouetten hinter Sicherheitsglas, Landschaftsteppiche, die mir bei 330 km/h unter den Füßen weggezogen werden, alles fließt. Wie hoffentlich auch bald wieder der Champagner. Vielleicht ja sogar von Gatinois und Bergère.

Ein Gastbeitrag von Milton Sidney Curtis, bekannt aus Instagram, wo er seine Follower regelmäßig mit feinem Content versorgt.

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Name des WeinesSoulfaktorPreis

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