It’s the freshness, stupid: Trip durchs atlantische Portugal
Durch diese Perspektive betrachetet ist eines der besten Restaurants des Landes das O Gaveto in Matosinhos, dem Fischereihafen von Porto. Ich lernte es vor Jahren durch Weinlegende Dirk Niepoort kennen. Dieser Stadtteil wurde in den letzten Jahrzehnten gentrifiziert. Doch es gibt noch genug schmuddelige Straßen und Ruinen, die Kulisse für einen Alfred Hitchcock Streifen sein könnten.
Die elegante Fassade des O Gaveto an einem vielbefahrenen Kreisverkehr übersieht man schnell. Das schlichte Interieur lässt auf den ersten Blick nicht erahnen, was einen Großartiges erwartet. Beim Betreten durch die coole Seafoodbar steht man einer funktionalen und nüchternen Atmosphäre, ohne den obligatorischen Fernseher und Neonbeleuchtung, aber auch ohne Kerzen und Moskitogrill. Es ist hell. Die Idee ist, dass man sieht, was auf dem Teller ist.
In einigen Salzwasseraquarien warten Hummer und Langusten im XXL-Format auf den Moment der Wahrheit, in Eisvitrinen liegt der Tagesfang. Die gibt es auch in den nahegelegenen Touristenfallen. Nur wer genau hinschaut, begreift die Unterschiede. Ein voller Gastraum ist ein Indikator, auch, dass die Tische nicht zu eng stehen. Das könnte ein Hinweis sein.
Im Restaurant mischen sich internationale Gäste und Einheimische, sitzen große neben kleinen Familien. Ein weiterer Indikator? Es geht nicht steif, sondern lässig und konzentriert zu. Einen reinen Männerservice sieht man selten (ob es das braucht?) heutzutage, aber vor allem das Durchschnittsalter der Brigade jenseits der 40 ist erstaunlich. Denn in Deutschland sind Serviceleute in dieser Altersklasse praktisch nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt verfügbar. Schade, denn diese erfahrene Souveränität und Abgeklärtheit können, sofern nicht durch die Jahre abgestumpft, einen Superservice ausmachen. Hier im O Gaveto ist das so. Die Jungs arbeiten ruhig, zurückhaltend, sachlich, freundlich bestimmt und ohne Allüren. Es geht es um traditionelles Essen und Trinken, nicht um Show.
Ohne Amuse-Bouche, dafür mit einem köstlichen Schaumwein, dem Silica Blanc de Noir (Baga) von Paula Riba d’Ave, und gegrilltem gebutterten Toastbrot beginnt der Abend. Das Menü startet mit Venusmuscheln in einem sämigen Fond aus Olivenöl und Butter, Knoblauch, Koriander und Limone. Göttliche Qualität, auf den Punkt gegart und begleitet von einer feinen nussigen Süße des saftigen Muschelfleisches. Diese Qualität habe ich hierzulande noch nicht bekommen. Das Einfachste ist oft das Schwerste, denn die Ausgewogenheit des Gerichtes muss absolut geschmackssicher zubereitet sein. „So einfach wie möglich, aber bitte nicht einfacher!“, ist der Claim, aus dem dieses Gericht besteht.
Die lokalen „Camaro de Costa“ sind noch am Anfang der Saison, deswegen klein, und müssen selbst gepullt werden. Sie sind taufrisch. Ich mag es, für das Essen seine Hände zu benutzen. Begreifen, was man isst, schätzen, was man ist. Das Leben bekommt Erdschwere. Dazu ordern wir sechs perfekt geöffnete fleischige Austern von der Algarve mit exzellenter Qualität. Eine warme Caldo Verde, eines von Portugals Nationalgerichten aus Chorizo, Kohl (Couve galega) und weichkochenden Kartoffeln gehört dazu. Mild, cremig und ohne Sahne gekocht. Perfekt für das kühle, feuchte Herbstwetter.
Leider gab es bei unserem letzten Besuch nicht die köstlichen Percebes oder die feinen Stabmuscheln. Man sollte immer fragen, was der tagesaktuelle Fang hergibt.
Sommelier und Chef de Salle Joao Silva empfiehlt uns einen Wein aus dem Bairrada. Gemeinsam mit seinem Bruder José teilt er sich die Aufgaben des 1984 von ihrem Vater Manuel Pinheiro gegründeten Restaurants. Der Patron wird später -wie jeden Abend- kurz durch das O Gaveto schreiten. Einerseits um die Honneurs zu erweisen und anderseits den Umsatz zu zählen, wie Joao mit trockenem portugiesischem Humor bemerkt.
Der 2016 Cercial von der Quinta de Bageiras, von den kalkreichen Böden des maritimen Bairrada, entpuppt sich mit etwas Luft und in der Karaffe als ein großer Wein mit einer kernigen Mineralität, herb würzigem Duft und komplexer Nase. Er kostet 75 € und ist nirgendwo im Netz auffindbar. Ein Blick auf die Karte lohnt immer und es ist mir bis heute nicht klar, wie Joao kalkuliert. Es ist auch egal, denn fairer geht es nicht. Auf seine Empfehlungen kann man sich zu 100% verlassen.
Wer noch nie einen Bacalhau, den gesalzenen und getrockneten Kabeljau aus Norwegen, in Portugal gegessen hat, der war nie dort. Es wird in zig Varianten zubereitet und es gibt sehr unterschiedliche Qualitäten. Den Besten habe ich als „Especial“ für 2 Personen im O Gaveto gegessen. Ein Gericht in aller Schlichtheit und perfekt komponiert. Ein schönes Mittelstück wird kross im Ofen in Olivenöl ausgebacken mit Tomate und großen Zwiebelringen, die traumhaft karamellisiert sind. Dazu werden mehlige gekochte Kartoffeln, wie ich sie von der Bouillabaisse kenne und schätze, gereicht. Den angenehm frischen und bitteren Kontrapunkt setzt in Butter geschwenkter grüner Couve Galega Kohl, dessen Geschmack an Brokkoli, sogar Brunnenkresse erinnert.
Der Fisch wird geschickt am Tisch filetiert. Bei den großen Lamellen, die auf dem Teller liegen, geht einem das Herz auf. Natürlich ist Bacalhau salzig, aber dieser hier ist mild und im Zusammenspiel mit den anderen Komponenten perfekt. Ein Gericht, das man nicht besser kochen könnte. Es hätte 3 Sterne verdient. Aber die leuchten hier nicht.
Die ansonsten reichhaltigen portugiesischen Old-School-Desserts findet man nicht im O Gaveto. Platz ist sowieso keiner mehr da. Aber ein Teller Früchte, die immer exzellente Qualität haben, und ein Stück leichter Mandelkuchen, gehen immer. Vor allem mit einer halben Flasche halbsüßen Madeira 2000er Boal Frasqueira von Barbeito mit einer Laserstrahlsäure und einem Duft von Bananen und Mango. Ein Manifest an die große und lange Vergangenheit des lusitanischen Weinbaus.
Wir sind glücklich, genießen den Moment und denken doch schon ans nächste Mal. Dann vielleicht einen dekadenten Hummerreis oder einen taufrischen Wolfsbarsch unter der Salzkruste?
Es überfällt uns eine Melancholie, Sehnsucht und eine Prise Sodade. Jetzt müssen wir mindestens ein Jahr warten, um wieder hier zu sein. Bis dahin halten wir uns mit den wunderbaren Erinnerungen über Wasser. So wie ein Korallentaucher nach seinem Urlaub am Great Barrier Reef.
Restaurante O Gaveto, Matosinhos, Porto