Kommentar

Riesling-Düfte in der U-Bahn

Unser Kolumnist beklagt die abgehobene Wortwahl, mit der gemeinhin Weine beschrieben werden. Er vermisst Leidenschaft und Fantasie, zieht er doch dir Freuden des sinnlichen Assoziierens allemal der, nun ja, nüchternen Aromenanalyse vor.

Meine Aufforderung an alle, die sich mit dem Thema Wein beschäftigen: Wir müssen die Weinsprache humorvoller und entspannter gestalten. Warum gibt sich die Branche so prüde, so wenig lustvoll und spricht nicht in schönen Bildern zu ihren Kunden? Wenn ich über Wein lese, will ich Inspiration, Passion und Durst bekommen, kein hochtrabendes Geschwafel.

Einfach mal den Rüssel in die Gewürzküche halten

Fachsimpeln ist etwas für Eingeweihte, deren Beschreibungen für Unbeteiligte der Geheimsprache einer Freimaurerloge gleichkommen. Es hört sich eher nach einer trockenen Angelegenheit an, wenn es um Primär- oder Sekundärnoten geht oder vom vollen Körper mit geschliffener Säure die Rede ist. Es muss wohl irgendwann in den Neunzigern passiert sein, da haben ein paar geschickte Marketingexperten die Önologensprache übernommen und sie dem Verbraucher aufgetischt. Auf einmal fielen Begriffe, die man sonst eher mit einem Obstkorb, Gewürzen oder Gemüse assoziiert: Bergamotte-Duft, Rosmarin-Noten, Aroma von grünem Spargel.

Bergamotte / Rosmarin / grüner Spargel

Was fehlte, war, das große Ganze verständlich zu machen. Ich meine, einen Wein in seinen gefühlten Dimensionen zu begreifen, zu schätzen und letztendlich zu lieben. Die Sinnlichkeit bleibt beim Profitalk auf der Strecke und damit der Spaß für den, um den es eigentlich geht: den Kunden. Warum soll man den eigentlich mit Fachsimpeleien sensorisch bevormunden? Der Amateur konzentriert sich auf das, was ihm der Fachmann in die Synapsen souffliert. Sollte Wein nicht auch ohne Alkohol unsere Fantasie anregen? Wer sagt nochmal: „Schade, dass man Wein nicht streicheln kann!“? Es muss ein geistreicher Genießer gewesen sein.

Dagmars Apfelkuchen
Der Champagner duftet wie Dagmars Apfelkuchen

Zugegeben, ich rede auch oft so hochgestochen und wünsche mir dann die Unbefangenheit der Novizen zurück, die häufig in Bildern und Metaphern zu mir sprechen. So wie neulich, als Sebastian zu mir sagte: „Der Champagner duftet wie Dagmars Apfelkuchen, der beste, den es in Norddeutschland gibt. Sie nimmt dafür Boskop-Äpfel.“ Das versteht jeder, sogar ein Experte. Oxidativ ausgebauter Champagner riecht in der Tat nach Bratapfel und warmem Teig, da gibt es keine zwei Meinungen. Die Gründe – die lange Lagerung auf der Hefe und die Mostoxidation – brauchen den Verbraucher nicht zu interessieren. Wenn Äpfel bräunen und karamellisieren, dann riecht es eben nach Apfelkuchen oder nach Champagner.

Das kann nach Flughafen duften: gereifter Sémillon

Ich höre es gern, wenn jemand im Weinglas den Geruch des Flughafens San Francisco mit seiner weitläufigen Melange aus Bohnerwachs, Reinigungsmitteln und Gummi wahrnimmt (ich war schon dort und habe das auch gerochen). Dann steht wahrscheinlich ein gereifter Sémillon aus dem australischen Hunter Valley auf dem Tisch oder ein köstlich dekadenter Chenin Blanc aus Südafrika oder von der Loire mit zehn Jahren auf dem Buckel. Welcher Wein es nun genau ist, spielt dabei gar nicht so eine große Rolle — ich verstehe sofort was mein Gegenüber mir sagen will.

Solche Beschreibungen finde ich sinnlich, denn wer sie benutzt, zeigt mir damit, dass er bewusst oder unbewusst eine Antenne für seine Umwelt hat. In der Londoner U-Bahn rieche ich reifen Riesling vom Schieferboden. Noch nie gerochen? Dann achten Sie bei Ihrer nächsten Underground-Fahrt mal darauf. Auf jeden Fall hört sich das besser an als „Petrolton“, denn wer trinkt schon gerne Kerosin?

Rieslingdüfte in der U-Bahn
Rieslingdüfte in der U-Bahn

Diese Düfte sind an Erinnerungen gekoppelt, die einen an ferne Orte beamen. Warum sollte es Profis anders gehen? Auch sie reden über Feuersteinaromen (pierre à fusil) im Pouilly-Fumé oder schwadronieren über den sanft-süßen erdigen Teerton (goût de goudron) im Barolo. Wein ist Gefühl und Erfahrung, je komplexer und tiefer das geht, umso mehr Freude empfindet man. Es gibt beim Verkosten kein Richtig oder Falsch, der ganze Prozess der Wahrnehmung ist ja subjektiv. Keine Angst also, Sie können sich nicht blamieren. Wer sollte Ihnen Ihren persönlichen Erfahrungsschatz schon streitig machen?

Es gibt rund 500 Aromen, die wir Menschen im Wein wahrnehmen können. 50 davon können gleichzeitig in einem Glas herumschwirren, ein Privileg der ganz großen Weine. Sie alles zu identifizieren ist nicht Aufgabe des Genießers. Für ihn gilt: Es schmeckt oder es schmeckt nicht. Auch wenn er dabei an kalte Aschenbecher, an quietschende Reifen auf dem Asphalt oder ans Katzenklo denkt. Soll er doch!

Dieser Artikel erschien zuerst im „Der Feinschmecker“ 12/2017

The road to taste is a long one

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