Willkommen im neuen Kalifornien
Fast 13.000 Kilometer Luftlinie von Deutschland entfernt, wachsen in den Regionen Itata, Maule und Biobío über 250 Jahre alte Reben. Die Macher dieser eigenständigen Gewächse haben uns einen Besuch abgestattet und über ihre Passion erzählt. Roberto Henríquez ist Agrarwissenschaftler und Önologe der Universidad de Concepción. Zusammen mit Ximena Perone, einer ehemaligen Journalistin, produziert er Weine abseits der Stereotypen des Landes.
Herzlich willkommen in Hamburg, liebe Ximena, lieber Roberto. Seid ihr zum ersten Mal in Deutschland unterwegs?
Ja tatsächlich. Wir arbeiten und leben am Flussufer des Biobío, im mittleren Süden Chiles. Unser kleines Weingut braucht viel Aufmerksamkeit und unsere Weinberge verlangen täglich nach uns, da wir alles per Hand, Pferd und Ochse bewirtschaften. Da bleibt nicht viel Zeit für lange, weite Reisen.
Wie kamst du zum Weinbau in Biobío?
Geboren bin ich in der Stadt Concepción, wo ich später Agrarwissenschaften studierte. Meine Eltern stammen aus zwei kleinen Städten nahe der Großstadt der Region am Fluss Biobío.
Wie kam es, dass du dich eines Tages in den Wein verliebt hast?
Das war ein recht verrückter Moment. Nach der High-School geht man bei uns normalerweise auf die Uni, um mehr Chancen in der Arbeitswelt zu haben. Ich war der Jüngste in der Familie und wusste noch nicht, was ich studieren sollte. Ich las viele Bücher über Landwirtschaft in unserer Region und zeitgleich besuchte unsere Familie häufig Mamas Bruder. Er ist Winzer in Florida (Itata), nahe der Grenze zur Region Ñuble. Er hatte nur ein paar Weinberge und produzierte gerade einmal 1.000 Liter Weiß- und 1.000 Liter Rotwein, klassischen Vino Pipeño. Als Kinder haben wir viel Zeit an den Wochenenden und in den Ferien bei ihm verbracht, aber damals hatte ich mit dem Thema Weinbau noch nichts am Hut. Schließlich fasste ich den Entschluss, Agrarwissenschaften zu studieren, um irgendwann Winzer zu werden. Mit 17 Jahren ging ich an die Universität in Concepción und lernte viel über Landwirtschaft und im Speziellen über Böden, Wasser, Tiere etc. – eben alles, was dazugehört.
Was passierte danach?
Gegen Ende des Studiums wollte ich mehr über das Thema Weinbau erfahren und begann in großen Weinbaubetrieben in Chile zu arbeiten, um mehr Erfahrungen zu sammeln. Unter anderem bei Santa Ema, Santa Rita und bei Viña Undurraga. Dort unternahm ich meine ersten Versuche. Während dieser Zeit habe ich sehr viel gelernt, wollte dann aber unbedingt raus in die Welt und in die bekannten Weinbaugebiete, die ein ähnliches Klima haben wie Chile. 2014 bin ich nach Südafrika für eine Lese, dann nach Kanada an den Ontario Lake, in der Hoffnung, hier mehr über das sogenannte cool climate zu erfahren. Doch auch hier war es zur Lese im September wärmer als bei uns zu Hause. Nach einem kurzen Zwischenstopp in der Heimat ging es für mich an die Loire nach Frankreich. Hier lernte ich die Winzerfamilie Mosse kennen. Die Brüder Sylvestre und Jo Mosse hatten zu diesem Zeitpunkt gerade die elterliche Domaine übernommen und sind die wohl herzlichsten Menschen die ich kenne und bis heute enge Freunde geblieben. Dort lernte ich auch Louis-Antoine Luyt kenne, der sich, genau wie wir, den alten Reben verschrieben hat und die Herausforderung angenommen hat. Alle wollten makellose Weine internationaler Rebsorten, doch zum Glück gibt es mittlerweile eine kleine Gruppe an Winzer*innen, die zeigen, wie lohnend es ist, das alte Erbe zu erhalten und zu fördern. Die Mosse-Jungs führten ein einfaches, aber wunderbares Leben in Frankreich, mit Blick auf ihre Weinberge – das wollte ich auch. Was gibt es Schöneres, als morgens das Fenster zu öffnen und auf die eigenen, uralten Weinberge blicken zu können? Ohne jegliches Equipment, ohne Maschinen oder sonstige Hilfsmittel begannen wir die Weinberge zu pflegen und die ersten Weine auszubauen.
Du wolltest weg von den glattgebügelten Mainstream-Weinen internationaler Rebsorten. Hast du die Idee der low intervention im Weinausbau nach Chile gebracht?
Eine Küche muss blitzblank sauber sein, wenn man kochen möchte. So ist es auch im Weinkeller, wenn man seine Weine spontan vergären lassen und so wenig wie möglich in die Vinifikation eingreifen möchte. Die Mikrobiologie der Gärung verzeiht einem keine Schludrigkeit. Aber in Chile ticken die Uhren manchmal noch etwas anders: die Weingüter sind alt, es gibt oft keinen verlegten Boden im Keller und auch ein rostiger Tank ist immer noch ein Tank. Aber wenn wir nicht sauber arbeiten würden, würden wir Essig produzieren und das ist definitiv nicht unser Ziel (Roberto lacht). Hygiene und stetige Kontrolle sind das A und O bei uns in der Weinbereitung, um fehlerfreie Weine zu produzieren. Das wäre auch mit Reinzuchthefen, Schwefel usw. möglich, aber das entspricht eben nicht unserer Vorstellung der Weinproduktion.
Die Regionen Biobío, Itata und Maule sind bei uns noch recht unbekannt. Was macht sie so besonders?
Teils 250 Jahre alte, wurzelechte Reben, die ohne Bewässerungssysteme auskommen, sind unser ganzer Stolz. Sie kämpfen sich allein durchs Leben, wir helfen ihnen hier und da. Alle Pflanzen entwickeln sich individuell und hier können wir mit unserer Handarbeit am besten eingreifen, wenn es nötig ist. Wir haben das Glück, diese uralten Rebstöcke kultivieren zu dürfen, denn sie hatten nie Kontakt mit der Reblaus. Dafür sind die Weine auch ganz anders als die, die man sonst aus Chile kennt. Es sind eben keine weltbekannten, internationalen Rebsorten.
Du sprichst von den Rebsorten, die wohl allen geläufig sind: Sauvignon Blanc, Chardonnay, Carmenère, Merlot, Syrah, Cabernet Sauvignon, etc. Auf welche Rebsorten fokussiert ihr euch?
Portugiesische Eroberer haben im 16. Jahrhundert Listán Prieto, die Rebsorte der Kanaren mitgebracht. Bei uns heißt sie País. Diese Rebsorte ist die meist gepflanzte in den Gebieten Itata, Biobío und Maule. Das weißen Pendants dazu sind die Rebsorten Moscatel de Alejandría und Torontél in Maule und ein bisschen Chasselas und Sémillon in Itata.
Aber diese alten Rebsorten hat man im chilenischen Weinbau bereits fast vergessen…
Wie kam es, dass man die alten Rebsorten fast vergessen hat?
Man brachte internationale Rebsorten nach Südamerika, die dort gut geweihten und meist unkomplizierte Weine hervorbrachten. Biobío hat ein ähnlich kühles Klima wie die Loire. Die Weine kamen gut an und so wurden die alten traditionellen Weinberge Stück für Stück gerodet und neu angelegt. Wir arbeiten in den Bergen in Küstennähe und sind dort zu 100% auf Handarbeit angewiesen. Ich möchte den Wert der alten Rebstöcke bewahren und kann gut auf die glattgebügelten Weine verzichten, auch wenn der Arbeitsaufwand unserer Weine immens hoch ist.
Also entweder bist du ein Romantiker durch und durch oder einfach ein bisschen verrückt…?
Ich bin definitiv ein Romantiker, aber als verrückt würde ich mich nicht bezeichnen – vielleicht ein bisschen anders… (Roberto lacht). Wir haben alte Apfel- und Quittenbäume, aus denen wir Cider produzieren. Ich liebe das Handwerk und den Wert, der dahintersteckt. Andere Landwirte und Winzer schüttelten den Kopf über uns. Sie haben uns sogar empfohlen, die Region zu wechseln, da unser Gebiet nicht für Weinbau bekannt ist und ihrer Meinung nach die Trauben nicht reif werden. Für mich geht es aber genau um dieses Fleckchen Erde mit diesem wertvollen Schatz, der darauf wächst. Es ist der Platz, an dem ich arbeiten und mich entfalten möchte.
Du sprichst von deinen Weinen immer von Vino Pipeño. Kannst du uns das etwas genauer erklären?
Pipeño stammt von dem Wort Pipa ab, was übersetzt so viel wie Fass bedeutet. Diese machen wir aus einem heimischen Laubbaum namens Rauli. Das ist einzigartig und sorgt für einen sehr individuellen Charakter. Diese Bäume wachsen fast ausschließlich bei uns zwischen Chile und Argentinien. Wir stellen daraus offene Gärständer her und 400-700 Liter Fässer für die Reifung. Pipeño ist der Hauswein.
Manche beschreiben ihn als den „bäuerlichen Stil“, der hauptsächlich im Süden des Landes hergestellt wird, wo traditionelle Methoden des Weinbaus und der Herstellung erhalten blieben. Es ist ein chilenischer Wein, der meiner Meinung nach in Rauli ausgebaut und gereift werden muss. Es ist ganz einfach: etwas Schalenkontakt und Spontangärung ergeben puren Wein.
Muchas gracias por su visita y por sus excelentes vinos!