Willkommen im neuen Kalifornien
Seit dem Jahr 2012 steht auf dem Rückenetikett der Weine ein seltsamer Hinweis: Vegan! Wie kann Wein nicht vegan sein? Grundlegend ist Wein vergorener Saft der Weinbeeren. Am Ende dieses Artikels erkennt ihr dort Zusammenhänge, wo andere Neuland erblicken. Es ist nämlich etwas komplexer.
Wieso ist Wein nicht vegan?
Immer mehr Menschen ernähren sich vegan, essen und nutzen nichts, was vom Tier stammt – kein Fleisch, aber auch keine tierischen Produkte wie Eier, Honig, Milchprodukte oder Leder. Die Gründe reichen von Nachhaltigkeit über das Tierwohl bis hin zum Klimaschutz.
Die entscheidende Frage ist, wann ein Wein den Titel „vegan“ verlieren kann. Die gelesenen Trauben kommen nach einer Maischestandzeit oder direkt auf die Presse. Nach dem Keltern oder auch noch nach der Gärung ist der Most bzw. Jungwein meist noch recht trüb und hat nichts mit dem zu tun, was wir gerne im Glas schwenken. Hier schwimmen noch viele Trubstoffe, wie Teile von Beerenschalen, Fruchtfleisch, abgestorbene Hefezellen, aber auch Tatrate (Weinstein), Proteine oder Tannine herum. Der Schlüssel zum Erfolg (klarer Wein) heißt Zeit! Doch hiervon haben manche Winzer nicht genug und nutzen deshalb Hilfsmittel. Der Wein wird geschönt. Und hier liegt das Tier, nämlich der Hund, begraben.
Tierisch guter Wein
Um trübem Wein oder unerwünschtem Bodensatz in der Flasche vorzubeugen, kommen gerne Schönungsmittel zum Einsatz. Die binden Trubstoffe, die dann ausflocken und absinken.
Eine von vielen möglichen Methoden der Schönung, also das Klären des Weins, ist der Einsatz von Gelatine. Die Wirkung beruht auf dem elektrischen Ladungsausgleich zwischen der positiv geladenen Gelatine und den negativ geladenen Trub- und Gerbstoffteilchen. Nach kurzer Zeit kann der klare Wein darüber abgezogen werden. Es verbleibt somit kein zugesetztes Schönungsmittel im Wein.
Früher kamen auch gerne noch Eiklar und Hausen- oder Störblase zum Einsatz. Insbesondere das verbliebene Eigelb war wenig ökonomisch. Man musste es recht schnell weiterverarbeiten und dafür haben die wenigsten Winzer*innen Zeit und das nötige Know-how. Ein paar findige Produzent*innen stellten Eierlikör her oder gaben die Eidotter an Bäcker weiter. Ein findiger Bordelaiser Bäcker erfand so „Les Canelés“. Ein köstlicher kleiner Kuchen, der seit Jahrhunderten traditionell in Bordeaux gebacken wird.
Diese Mittel gehören zu den erlaubten Behandlungsmethoden tierischen Ursprungs und hinterlassen ebenso wenig Geschmacksspuren wie Bentonit, Kieselsol, Kohle oder andere Schönungsmittel, die keinen tierischen Ursprung haben.
Gelatine besteht aus kollagenhaltigem Material. Kollagene sind Hauptbestandteile tierischer Haut, Sehnen und Knorpel. Zu diesem Zeitpunkt ist der Wein definitiv kein veganes Produkt mehr.
Gibt es pflanzliche Alternativen?
Aber es geht auch anders. Entweder mit pflanzlichen Proteinen auf Erbsen- oder Kartoffelbasis oder man gibt dem Wein einfach die Zeit, die er braucht. Dass sich auch Insekten nach der Lese in die Presse verirren, ist ein gerne gebrachtes Argument während einer Vegan-Wein-Diskussion. Das ist zwar richtig, aber in Bezug auf eine vegane Zertifizierung nicht relevant. Denn auch Produkte mit tierischen Spuren können das V-Label bekommen. Allerdings nur, wenn sie, wie Ohrenkneifer (Nützlinge im Weinberg) oder Marienkäfer, unbeabsichtigt in das Produkt gelangen und nicht zur „Rezeptur“ gehören. Aber wie so oft in der Landwirtschaft bzw. im Weinbau, muss man nicht zertifiziert sein, um vegan arbeiten zu können.
Nun wisst ihr, was vegane Weine sind. Aber sind sie auch besser als nicht-vegane Weine? Nein. Genauso wenig wie Bioweine besser sind als nicht-Bioweine oder Naturweine besser sind als nicht-Naturweine. Sie wurden einfach anders bzw. langsamer produziert und ermöglichen so Veganer*innen, bedenkenlos ihren Wein zu genießen.
Die Entdeckung der Langsamkeit
Es ist die Kunst des Verzichts, die eine Menge Geduld erfordert. Lässt man all die Schönungsmittel weg, ist es die Zeit, die das Ruder übernimmt. Viele große Betriebe können oder wollen sich die Zeit und das damit verbundene Risiko allerdings nicht nehmen, da der Kunde ein klares, makelloses Produkt erwartet. Die Zeit fehlt auch in der Kommunikation, denn man kann überzeugend erklären, warum ein Wein nicht geschönt oder filtriert wurde. Der Qualität und der Sensorik des Weines tut es keinen Abbruch, wenn man auf all die Hilfsmittel und Methoden verzichtet – ganz im Gegenteil.
Egal ob man nun einen veganen Lebensstil pflegt oder nicht, auf unnötige Zusätze und Eingriffe sollte jeder von uns verzichten. Gut Ding will Weile haben – das gilt für so vieles im Leben, oder?
Mehr vegane Wein bei uns…
Philipp Hawranek