Kommentar

Vertraue Deinem Geschmack! Über Parker- und Soul-Punkte, Sterne und Sternchen

"Trust your palate" – vertraue Deinem Geschmack. Das war vor rund 15 Jahren einer der häufigsten Sprüche von Gary Vaynerchuck, der mit seinem Wine Library TV damals die Weinwelt veränderte – vielleicht nicht so stark wie Robert Parker, aber doch ganz offensichtlich. Gary und Robert, das sind zwei extreme Seiten einer Medaille, bei der es um einen ganz besonderen Wert geht, und zwar darum, bestimmten Weinen ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit zuteilwerden zu lassen. Wir selber machen das bei Wein am Limit mit unseren Soul-Punkten. Doch wir hinterfragen zunehmend den Sinn solcher Punkte und wahrscheinlich werden wir im nächsten Jahr mit einem neuen Bewertungskonzept anfangen.

Wer diese Punkte bekannt gemacht, ja erstmals in den Ring geworfen hat, ist klar. Es war Robert Parker Jr., der in diesem Mai endgültig in Rente gegangen ist und dessen Unternehmen, Robert Parker’s The Wine Advocate, vor kurzem an den Guide Michelin verkauft worden ist. Obwohl Robert Parker gar nicht mehr mit dabei ist, sieht der Guide Michelin eine Zukunft für das Bewertungsportal, das sich inzwischen weitgehend von seinem Erfinder gelöst und sich verselbstständigt hat. Die Übernahme überrascht nicht; denn The Wine Advocate ist vor allem im asiatischen Markt sehr erfolgreich, nicht zuletzt deshalb, weil er neben den Bewertungen auch den Lifestyle bedient, indem er diverse Events wie beispielsweise „Matter of Taste“ anbietet.

 

Hendrik Thoma und Gary Vaynerchuck im WineLibraryTV-Studio
Hendrik zu Besuch bei Gay Vaynerchuck 2009. Gary veränderte die Weinwelt mit seinem WineLibraryTV.

 

Zu dieser Verselbstständigung, zu dieser Loslösung vom Übervater gehört auch, dass all die Bewerter, die Robert Parker noch persönlich als seine Nachfolger bei seinen Lieblingsthemen angeworben hatte, schon wieder weg sind. Antonio Galloni, zuständig für Kalifornien, Neal Martin für Bordeaux und Jeb Dunnuck für die Rhône punkten längst woanders, und sie tragen zu einer Inflation von Bewertungen bei. Gab es früher ein Medium, nämlich Robert Parker’s The Wine Advocate, so sind es heute viele Formate, die Punkte verteilen: James Suckling, Vinous, der Wine Spectator oder The Wine Enthusiast wären ohne Parker nicht denkbar. Dazu kommen noch Tim Atkin sowie Jeb Dunnuck und natürlich länderspezifische Führer wie hierzulande der Eichelmann, Gault&Millau, Vinum, Falstaff, Weinwisser oder Der Feinschmecker.

 

Robert Parker war der erste, der Weinbewertungen en vogue machte. Seinen Ruhm erwarb er durch die Verkostung und besonders gute Einschätzung der Primeur aus Bordeaux

 

Mittlerweile gibt es so viele Medien, die bewerten, Medaillen verteilen oder auszeichnen, dass fast für jeden Wein, der sich auch nur ein klein wenig aus der Masse hervorhebt, eine hohe Punktzahl oder zumindest eine lobende Erwähnung, ein Wein des Jahres oder sonst etwas mit dabei ist, was man zitieren kann. Und wer dann immer noch nichts über sich findet, kann seine Weine zu Wettbewerben wie der Berliner Wine Trophy, Mundus Vini, der International Wine Competition oder den Decanter World Wine Awards senden, um seine Chancen zu erhöhen. Irgendwie hat man den Eindruck, dass ein größerer Teil des Weinhandels davon lebt, Weine nur noch nach Bepunktungen einzukaufen und zu vertreiben.

 

Weinbücher
Die Vielfalt der Bewerter und Verkoster ist unglaublich groß – gefühlt released jede mehr oder weniger erfolgreiche Persönlichkeit aus dem Weinbusiness eine eigene Publikation (auch stellvertretend für das eigene Geschmacksbild)

Der Ruhm des Robert Parker und der Chor der Weinkritiker

Das fällt beispielsweise auch dort auf, wo früher der Fokus von Robert Parker lag: bei Bordeauxweinen. Die Bordeaux-Jahrgänge der Grand-Cru-Classé-Weingüter werden nur selten vom Erzeuger an die Kunden verkauft, sondern über Zwischenhändler an die Händler und dann an die Kunden. Daher gibt es jährlich im April die sogenannten En-Primeur-Tastings, bei denen sich Händler und Kritiker ein Bild vom Jahrgang und den spezifischen Weinen machen können. Dort hat Parker seinen Ruhm erworben, weil er die noch blutjung zur Schau gestellten Jahrgänge meist sehr genau einschätzen konnte. Heute tauchen dort so viele Kritiker auf, dass man als Händler immer jemanden parat hat, der einem den Jahrgang – sei er auch noch so mittelmäßig – schönredet. Man findet immer ein passendes Zitat, immer eine Bewertung, die zum eigenen Angebot passt. Das Rosinenpicken wird mit diesem Punktesystem sehr leicht gemacht und Punkte, so kann man es wohl sagen, sind vor allem zu einem Marketing- und Verkaufstool geworden.

 

Verkostungsszenario VDP Kurhaus Wiesbaden
VDP Verkostung im Kurhaus Wiesbaden | Quelle: VDP.Die Prädikatsweingüter

 

Dass die Lücke, die Robert Parker hinterlassen hat, heute von vielen anderen gefüllt wird, ist ein Problem. Und das, wovon man doch eigentlich ausgehen müsste, dass Konkurrenz gut ist, wird mehr und mehr ausgehebelt. Hier wirkt es eher so, also würden sich namhafte wie auch namenlose Bewerter gegenseitig überflügeln wollen. Daher sind in den letzten Jahren immer höhere Bewertungen zustande gekommen, sodass manch kritischer Beobachter schon mit einem Augenzwinkern vorschlägt, man solle bei dem einen oder anderen Wein die 100-Punkte-Grenze sprengen.

Das ist schade, weil auf diese Weise Parkers ursprüngliches Anliegen, Weintrinkern Punkte und Erklärungen an die Hand zu geben, um aus ihnen mündigere Weintrinker zu machen, ad absurdum geführt wird. Was Parker getan hat, war ja, das Subjektive des Geschmacksurteils in einem gewissen Maß zu objektivieren und Orientierung damit leichter zu machen. Sein Punktesystem bot die Möglichkeit, eine Antwort auf die Frage zu geben: Ist dieser Wein gut?

 

Foto eines Chors
Der Chor der Weinkritiker wird immer größer uns undurchsichtiger

 

Mit dem Internet haben sich Foren und Plattformen wie Cellartracker entwickelt, in denen zusätzlich zu den professionellen Stimmen dann auch noch die Stimmen von semi-professionellen Kritikern wie auch von engagierten Amateuren abgebildet werden. Der Chor jener, die sich über Weine äußern, ist damit also noch größer geworden. Kann man nun Punkte und Bewertungen trotzdem noch ernst nehmen, oder hat sich das inzwischen erledigt? Macht es weiterhin Sinn, Parker’s The Wine Advocate, Vinous oder andere zu abonnieren?

Der Mehrwert der Bewerter

Es kommt ganz drauf an, was Ihr sucht und wie Ihr Euch informiert. Wir lesen manche dieser Veröffentlichungen gerne; denn was häufig zu wenig beachtet wird: Neben dem Punkte-Hype arbeiten bei Parker und bei Vinous viele versierte Köpfe, die oftmals einen sehr guten Einblick in die Regionen haben, über die sie schreiben. Und sie machen ja viel mehr, als einfach nur Weine zu bewerten. Sie geben einen guten Überblick über ganze Regionen und vor allem auch über Jahrgänge und deren Unterschiede, da sie sehr beständig mit Winzern und Weinen dieser Regionen in Kontakt stehen. Solche Artikel mag man auch in Weinfachzeitschriften oder Publikationen für Weinliebhaber finden, doch bei Parker & Co. gibt es da durchweg eine höhere Regelmäßigkeit. Außerdem haben sich neben den Generalisten, die sich mit vielen Weinregionen beschäftigen, immer mehr Spezialisten hervorgetan, die sich auf eine Region konzentrieren. Wenn Ihr nun eine besondere Affinität zu gewissen Weinregionen habt, dann gibt es womöglich für diese Region schon einen Fachmann oder eine Fachfrau, die sich genau mit diesem Thema beschäftigt. Für uns ist das bis heute wertvoll, zumal man auch sein eigenes Empfinden mit dem von versierten Verkostern abgleichen kann und es durchaus spannend ist, Bewertungsmuster zu erkennen und Vorlieben der Verkoster nachzuspüren.

 

Die unterschiedlichen Bewertungssystem laufen auf das Gleiche hinaus. Möglichst viele Punkte, die sich aus Farbe, Duft, Geschmack und Alterungspotential eines Weines ergeben. Je mehr Punkte zu vergeben sind, desto differenzierter die Bewertung. Folgend eine Liste der üblichen Weinbewertungssysteme:

Bewertung

Erklärung

5er

20er

100er

Soulp.

Ungenießbar Fehlerhafte Weine, die man nicht oder nur schwer trinken kann. Bis 1,9 Bis 9,9 <59 0
Unter dem Durchschnitt Einfacher Wein ohne Komplexität aber ohne erkennbare Weinfehler. Kann man trinken, muss man aber nicht. 2 – 2,9 10 – 11,9 60 – 79 1
Durchschnittlich Ein Wein den man ohne Bedenken trinken kann. Meist die Basisqualität. Weniger komplex aber mit einem gewissen Trinkvergnügen ausgestattet. 3 – 3,4 12 – 13,9 80 – 84 2
Über dem Durchschnitt bis Gut Ein profunder, ausdrucksstarker Wein mit einer gewissen Komplexität und einer guten Balance. Trinkbar und zuverlässig. 3,5 – 3,9 14 – 15,9 85 – 89 3
Sehr gut Ein richtig guter Wein. Sehr ausbalanciert, sehr rein, mit Tiefe und Charakter. Sehr gute Qualität und mit Spannung ausgestattet. 4 – 4,4 16 – 17,9 90 – 94 4
Außergewöhnlich Ein außergewöhnlicher und großartiger Wein. Ein Wein den man getrunken haben muss und der zu den Besten seiner Art gehört. Eindeutige Spitzenqualität! 4,5 – 5 18 – 19,9 95 – 99 5
Einzigartig und über allem Erhaben So schmeckt die Weltklasse! Einzigartig, atemberaubend und berührend. Ein Jahrhundertwein der ohne Zweifel zu den Highlights im Leben eines Weintrinkers zählt. Best of the Best! 5 20 100 6

Wie auch immer, Geschmack ist etwas sehr Subjektives und genau diesen gilt es wie einen Muskel zu trainieren und zu fordern. Für eine Weinbewertung liefert der eigene Horizont die Grenzen. Wichtig ist es seine eigenen Vorlieben zu kennen und trotzdem immer offen für neues zu bleiben und die Tradition anzuerkennen. Weinverkosten ist wie eine Reise auf der sich Eindrücke, Erkenntnisse und Erlebnisse ständig die Hand geben. Sie hört niemals auf und ein paar authentische, gute Ratgeber an seiner Seite zu wissen lässt einen so manche Abkürzung nehmen.

Umsonst ist der Tod, deswegen sind viele dieser Seiten Bezahlportale. Hier eine Auswahl internationaler Protagonisten die wir schätzen und lesen:

Unsere Empfehlungen

Robert M. Parker’s The Wine Advocate Auch wenn Robert Parker im Ruhestand ist und das Medium vom Gault&Millau übernommen wurde ist es weiterhin das einflussreichste Portal mit zehn Fachleuten wie Stephan Reinhardt, Monica Larner und dem umtriebigen Luis Gutiérrez
Vinous Fast alles ehemalige Parker-Leute wie Antonio Galloni, Stephen Tanzer, Neal Martin und weitere. Auf mindestens gleichem Niveau und sehr gut zu lesen.
Jamie Goode aka The Wine Anorak Eine Mischung aus Chronik und Bewertungsportal mit globalem Ansatz und immer wieder spannenden Entdeckungen
Sarah Ahmed, The Wine Detective6 State of the Art für Portugal
Chris Kissack aka The Winedoctor Penibel ausgearbeitete Portraits von Loire-Domainen und Bordeaux-Weingütern. Seitenweite Jahrgangsberichte. Der Mann muss als Sternzeichen Jungfrau sein
Wein-Plus Eine Fundgrube genauso wie ein Gemischtwarenladen zum Thema deutscher und österreichischer Wein, aber auch über die Grenzen hinaus
Wine Folly Die etwas andere Weinseite mit Grundlagenwissen und viel Grafik. Sticht ästhetisch so gut wie alle anderen Seiten aus
Mosel Fine Wines Für Mosel-Nerds von Jean Fisch und David Rayer
Richard Juhlin, Champagne Club Jede Menge Champagner-Reviews
Tim Atkin, MW Der beste und profundeste Verkoster, wenn es Südafrika und Südamerika geht. Dazu kommen interessante Artikel von einem kompetenten Autorenteam.
Allan Meadows aka The Burghound Eines der komplettesten Portale für Burgund, ein „Must read“ für Liebhaber dieser Region. Der Amerikaner Allan Meadows ist gesetzt.
Achim Becker aka The Wineterminator Sehr unterhaltsam und lebensecht von einem Weinverrückten geschrieben, auch sehr interessante Social Media Feeds
Purple Pages von Jancis Robinson Sehr profundes Portal mit vielen exzellenten Autoren. Der Klassiker unter den Pages.
James Suckling Der Königswappler unter den Weinverkostern. Man muß seine Art einfach lieben, oder auch nicht.
Liv ex Für Leute mit prall gefüllten Weinkellern, Zocker und mit detaillierten Ernteberichten zu den teuersten Weinregionen der Welt
Wine Searcher Neben einer umfassenden Suchfunktionen für Weine, gibt es viele gute Informationen zu Weingütern, Beliebtheit, Herkunft, Sorten und Jahrgängen. Entwickelt sich immer mehr zu einem Wein-Wiki-Forum.

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