Willkommen im neuen Kalifornien
Entstehungskosten – von Beginn an
Die Produktion eines Weines kann man in unterschiedliche Phasen einteilen. Die erste Phase ist die, dass man zunächst einmal ein Weingut und Trauben haben muss. Klar, sagt Ihr, das ist ja selbstverständlich. Trotzdem sollte man da kurz drüber nachdenken. Denn schon hier kann es gewaltige Kostenunterschiede geben. Baue ich meinen Wein in der eigenen Garage aus oder in einem hypermodernen Weingut? Miete ich mir Räumlichkeiten oder nehme ich als Weinmacher einen Kredit auf für den Erwerb oder die Renovierung eines Weinguts? Besitze ich drei namenlose Hektar in der Tiefebene Rheinhessens oder einige Parzellen im Scharzhofberg, im Napa Valley oder in Gevrey-Chambertin? Die Kosten für einen Hektar Weinberg können sich mal ganz schnell zwischen einigen Tausend und einigen Millionen Euro pro Hektar unterscheiden. Genauso ist es natürlich beim Kauf von Trauben, denn viele Winzer besitzen gar keine eigenen oder zu wenig eigene Hektar Land und müssen zukaufen. In Regionen wie der Champagne oder dem schon genannten Napa Valley ist das gang und gäbe. Dort werden heutzutage horrende Traubenpreise von gerne mal sieben oder mehr Euro pro Kilo genommen während im besagten Rheinhessen nur einige Dutzend Cents anfallen. Kalkuliert man die Kosten, so kann man ganz grob unterscheiden in die Kosten der Traubenerzeugung, der Kelterung und dem Ausbau, in die Flaschenfüllung und -ausstattung sowie in den Vertrieb und das Marketing.
Wein für € 2,99
Wenn ein Wein für € 2,99 im Laden steht, dann kann man davon erst einmal Folgendes abziehen: Die Mehrwertsteuer von 19 %, so dass noch € 2,51 übrigbleiben. Dann ist da natürlich die Marge, die wir im LEH mit 35 % ansetzen. Somit stehen wir aktuell bei € 1,63. Die Kosten für das Füllen des Weines, des Transports, des Glases, der Etiketten und des Korkens sowie des Drehverschlusses liegen im Basissegment bei ca. € 1.30. Nehmen wir einmal einen Dumpingpreis von € 0,90, dann landen wir bei € 0,73. Da hat der Produzent allerdings noch keinen Gewinn gemacht. Es sind auch noch keine chemischen Zusätze, Hefen und Enzyme mit eingereicht, keine Arbeitslöhne für Kellereifachkräfte, keine Kosten für Vollerntemaschinen, keine Schmiermittel und kein Benzin. Der durchschnittliche Preis für eine Flasche Wein, die in Deutschland über die Ladentheke geht, liegt aber aktuell bei € 2,92 – pro Liter. Erfasst werden alle Weine, die über einen EAN-Code verfügen und gescannt werden.
Da mittlerweile rund 80 % des Weines in Deutschland über Diskounter und Supermärkte verkauft werden und auch viele Wein-Einzelhändler ihre Weine scannen, ist dies jedoch ein verlässliches Bild. Wenn der Inhalt einer Flasche inklusive Produktionskosten bei rund 70 Cents liegt, kann man sich denken, dass in die Erzeugung des Weines nicht viel menschliche Energie investiert wurde. Solche Weine können nur auf großen, weitgehend ebenen Flächen in trockenen Gebieten wie der La Mancha in Spanien, in Apulien oder auch – wir werden es bald merken – auf großen Flächen in China entstehen. Die Arbeit im Weinberg wird dort nur noch von Maschinen erledigt, ebenso die Ernte, die in große Weingüter gebracht wird, die in etwa so aussehen, wie man sich die Produktionsstandorte von Limonadenerzeugern vorstellt. Mögliche Probleme, die durch die technisierte Arbeit und die chemischen Gaben im Weinberg entstanden sind, sollen im Keller durch Technik und durch über hundert erlaubte Zusatzstoffe ausgeglichen werden. Das Ergebnis sind heutzutage technische saubere aber unserer Meinung nach völlig seelenlose Erzeugnisse, die den Titel Genussmittel keinesfalls verdienen.
Wein für € 29,99 – im Weinberg
Um Charakter zu erzeugen, bedarf es mehr. Dieses Mehr kostet Geld. Aber wieviel? Das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat 2014 eine ganz gute Übersicht erstellt. Sie teilt die Entstehungskosten in Basis (ca. 5 bis 7 Euro), Premium ( 7 bis 15 Euro) und Superpremium (15 bis 25 Euro) auf und geht bei ihren Berechnungen von einem Arbeitslohn von € 12,40 pro Stunde aus. Beim Basiswein entstehen auf einem Hektar 7.500 Liter Wein, bei Premium 5.000 und bei Superpremium 2.500. Im Weinberg unterscheiden sich die Kosten vor allem im Aufwand der Handarbeit.
Während es beim Basiswein neben Standardarbeiten und Lese keine weiteren Kosten gibt, fallen bei den hochklassigen Lagen zusätzliche Laubarbeiten an, das Entblättern, die grüne Vorlese bzw. das Ausdünnen und die Handlese. Demnach kostet die Arbeit mit dem Vollernter pro Hektar rund € 725,-, bei der Handlese können € 2.500 anfallen. Insgesamt kommt die Rechnung beim Basiswein auf € 1,28 pro Liter und beim Superpremiumwein auf € 6,46. Diese Kosten können sich natürlich noch erhöhen. Dazu muss man nur in Steillagen an der Mosel, am Douro oder an der Nordrhône schauen, wo man pro Hektar auch schon mal auf 1.500 oder mehr Stunden pro Hektar kommen kann. Außerdem können in machen extremen Weingärten – und wir verkaufen ja Weine, die oftmals auch am Limit entstehen – die Ernten sehr gering ausfallen, so dass eben nicht etwa 2.500 Liter pro Hektar entstehen, sondern nur 1.000.
Wein für € 29,99 – im Keller
Im Keller geht das Ganze natürlich weiter. Ein Basiswein wird stark gepresst, ein Spitzenwein nur ganz sanft, manchmal auch so gut wie gar nicht und es läuft nur der freilaufende Saft ab. Der Spitzenwein wird nach der Gärung viel länger im Weinkeller reifen als der Basiswein, der den Keller rund fünf Monate nach der Ernte schon wieder verlässt. Der Spitzenwein bleibt dort etwa ein Jahr, ein Rotwein eher zwei Jahre oder länger.
Dieser Wein wird oft in Barriques ausgebaut, dessen Anschaffung bei rund 800 Euro liegen kann. Die meisten davon werden einige Jahre genutzt und dann manchmal auch noch verkauft. Trotzdem liegen die Kosten beim 225-Liter-Fass höher als beim temperaturkontrollierten 5.000-Liter-Edelstahltank – und, pro Jahr Lagerung im Holz verdunsten rund 5 % des Weines. Auch das muss mit einberechnet werden. Bei einem Basiswein kommt man im Keller auf Kosten von rund € 1,-. Beim Spitzenwein können es schnell € 4,- oder mehr pro Liter werden.
Wein für € 29,99 – vom Keller in die Flasche und zum Kunden
Ein Wein, der ein bestimmtes Preisniveau überschreitet, muss auch dem Preis entsprechend präsentiert werden. Je teurer der Wein wird, desto mehr Überlegungen stellt der Weinmacher bezüglich der Flaschenqualität, des Verschlusses und der Etiketten an. Ein billiger Industriekorken kostet nur wenige Cents. Ein Korken, der dagegen fehlerfrei sein soll, sprich, der nachher garantiert kein Korkgeschmack im Wein hinterlässt, kann auch schon mal € 2,50 kosten. Auch gutes Papier, Sonderfarben oder schwerere Flaschen schlagen zu Buche – besonders, weil die Weine meist in kleineren Auflagen auf den Markt kommen. Das oben erwähnte Ministerium berechnet all diese Kosten für einen Basiswein bei € 1,28, beim Superpremiumwein liegt man bei € 4,40. Wenn der Wein in der Flasche ist stellt sich die dann die entscheidende Frage: Wie verkaufe ich diesen Wein, der im Preis so weit über dem Durchschnitt liegt?
Bei der Beantwortung dieser Frage kann es noch mal richtig teuer werden. Ein bisschen Vertrieb und Werbung fällt natürlich für alle Weine des Weinguts an, doch die teuren Weine – und da geht es auch um die Weine, die weit über € 29,99 kosten – brauchen besondere Unterstützung. Was investiert ein Weingut also in den Vertrieb? In den meisten kleineren Weingütern ist es der Chef, der Inhaber, der diese Aufgabe im Wesentlichen meistert. Er ist das Gesicht des Weinguts, er ist der, den die Kunden sehen wollen. Er hat vielleicht manchmal das Gefühl, genauso viel Zeit auf der Autobahn zu verbringen wie im Weingarten und im Keller. Man trifft ihn auf Hausmessen der Weinhändler, auf den großen Weinmessen, auf Veranstaltungen von Interessensgemeinschaften wie zum Beispiel dem VDP (Verband Deutscher Prädikatsweingüter) oder Konsortien der einzelnen Anbaugebiete wie zum Beispiel dem Bordeaux-Verband CIVB oder den Gemeinschaften biodynamisch arbeitender Winzer wie demeter oder biodyvin. Dazu gibt es immer wieder Weinabende in ausgewählten Restaurants, wo die eigenen Weine präsentiert werden. All das kostet Zeit und Geld. Und die teuren Weine benötigen etwas, was die Basisweine viel weniger brauchen: Storytelling.
€ 299 oder, was einen Wein aus der Masse abhebt
Gehen wir beim Basiswein von Vertriebskosten von € 2,- und beim Superpremiumwein von € 5,- aus, dann liegen wir momentan bei Entstehungskosten von € 5,56 pro Liter Basiswein und bei € 18,96 beim Spitzenprodukt. Umgerechnet auf eine 0,75-Liter-Flasche sind dies beim Gutswein € 4,17 und beim teuren Wein € 14,22. Das wäre der Preis ab Hof ohne Mehrwertsteuer. Aber, wir haben da noch etwas vergessen. Denn dieser teure Wein ist ja eigentlich deshalb so teuer, weil er aus einer Spitzenlage kommt. Nur deshalb lohnt sich der Aufwand. Diese Spitzenlage aber hat den Winzer sehr viel Geld gekostet. € 300.000 hat er für den Hektar gezahlt und irgendwie muss er das Geld auch wieder reinbekommen. Also rechnen wir noch mal rund € 5.000 pro Jahr an Abschreibung mit ein und kommen somit noch einmal auf Mehrkosten von € 1,50 pro Flasche. Nun möchte der Winzer allerdings etwas daran verdienen. Gönnen wir ihm 40 % und uns auch noch mal 40 %, denn auch wir haben einen hohen Aufwand, bis der Wein den Kunden erreicht hat . Dann sind wir bei € 30,81 oder, weil es sich besser liest: € 29,99. Für diesen Preis bekommt der Genießer eine Flasche handgemachten Wein aus einem guten bis sehr guten Weinberg und alle haben das Notwendige verdient.
Wenn es exklusiver sein soll, wird auch der Aufwand schnell höher. Denn man kann an allen Stellschrauben drehen. Das fängt natürlich wiederum im Weinberg an, wo es bestimmte besonders gute und entsprechend teure Parzellen gibt. In manchen Regionen kommt man – wir sprachen es an – nur mit Millionen-Summen an besondere Lagen. Zudem werden Spitzenweine auch über Ertragsreduzierung erzeugt. Im Keller kann das Fass aus einer besonders guten Werkstatt kommen und die Flasche auf Grund ihrer Qualität besonders gut in der Hand liegen. Wer sich eine Spitzenposition und besonders viel Aufmerksamkeit erarbeiten will, schaltet PR-Agenturen ein und sorgt dafür, dass die Geschichte des Weines und seiner Entstehung besonders emotional erzählt wird. All das kostet, dürfte den Preis für eine Flasche Wein aber höchstens verdoppeln. Kosten Weine jedoch € 100,- und mehr, schafft man das nur in Verbindung von Storytelling, Qualität und Knappheit. In Deutschland hat das vor allem Klaus-Peter Keller geschafft, dessen Ikone G-Max der teuerste trockene Riesling aller Zeiten ist. Preise? Tendenz steigend und das vor allem auch auf dem Sekundärmarkt. Bei Grand Cru Bordeaux sind die Preisentwicklungen, die jeder Realität entbehren, bekannt. Hier hat das Spiel von Angebot und Nachfrage lange hervorragend funktioniert. Konnte man einen namhaften Grand Cru Classé in den 1990ern noch für deutlich unter hundert Mark erwerben, zahlt man heute schnell mal mehrere hundert Euro. Ähnliches gilt für das Napa Valley. Bei diesen Weinen setzen auch Investoren auf steigende Preise und heizen den Markt an. Solche Weine werden dadurch für viele Weinliebhaber unerschwinglich. Das gefällt uns nicht.
Unsere teuersten Wein sind jene, die teils Jahrzehnte unter optimalen in den Kellern der Weingüter lagen. Da erklärt sich jeder Preisanstieg von selbst. Ansonsten liegt es uns sehr am Herzen, dass alle, die an der Entstehung und dem Verkauf von Weinen beteiligt sind, gut leben können. Goldene Türklinken leisten weder wir uns, noch die Winzer. Dass ein Weinhandel wie ein Weingut aber gut kapitalisiert sein muss, um auch eine Krise zu überstehen, liegt auf der Hand – zumal der Klimawandel es den Winzern nicht leichter machen wird.