Willkommen im neuen Kalifornien
Was für Aktien gilt, kann auch beim Wein eintreten. Jede Woche bekommen wir bei WaL Nachrichten aus dem Weinorbit, in denen uns Weine aus Kellerfunden oder Erbschaften (der legendäre Witwenkeller) angeboten werden. Auf die Goldgräberstimmung folgt meistens Ernüchterung. Wir sind keine „Altweinhändler“ und erst recht keine Spekulanten. Deswegen verweisen wir an Auktionshäuser, den Verkauf bei Ebay oder eben an Spezialisten, die dieses Metier genauer kennen. Viele der angebotenen Sachen sind nach erster Betrachtung sowieso entweder wertlos, manchmal teurer Essig und nicht selten beides.
Welche Weine werden wirklich teurer?
Ganz klar, nur wenige Weine haben im Verhältnis zur Weltweinproduktion über die letzten Jahrzehnte Wertsteigerungen erfahren, die selbst einen Kostolany überraschen würden. Diese Wahnsinnsperformance gilt, was viele Amateure nicht wissen, für weniger als 0,01% des gesamten Weinmarktes. Die besten und teuersten 1000 Gewächse listet die Plattform „Liv-Ex – The fine Wine Market“, die ein ähnlich nüchternes Auftreten mit Spreadsheets und Tabellen hat, wie eine Börsenplattform im TV.
Dort findet man Clusterungen nach Herkunft der berühmtesten Regionen wie Rhône, Bordeaux, Burgund, Champagne, Italien usw.. Aus dem Rest der Welt finden sich dann noch 60 Namen. Die meisten der teuersten Weine stammen aus Frankreich, dem Big Player in Sachen Edelstoff. Das erscheint auf den ersten Blick unfair, ist aber historisch gewachsen. Zudem ist Frankreich in Sachen Vielfalt und erzeugter Menge mit Italien immer ganz vorn dabei.
So spannend und glamourös das Highend-Geschäft ist, so empfinde ich das Treiben in dieser Blase seit einigen Jahren immer uncooler oder befremdlicher. Zu vielen Beteiligten geht es nur noch um reines Zahlenwerk, künstliche, oder natürliche Verklappung (ein paar Flaschen werden natürlich auch getrunken) und die beste Marketingstory. Den Preis taxieren graue Männer in Anzug und Krawatte im Auftrag von Anlagefonds (sorry, wer dabei an Momo denkt), die diese Weine weder kennen, schätzen und ein Großteil unter ihnen noch nicht mal trinkt.
Die großen Weine, vor allem die mit potenzieller Wertsteigerung und hohen Bewertungen, werden meistens, ähnlich wie Anlagepakete, in so genannte Wraps gepackt. Das heißt, man muss bereit sein weniger interessante Weine im Bundle mit den Blue Chips zu erwerben. Manche Händler koppeln die Zuteilung sogar an den Jahresumsatz des Kunden.
Um den Flascheninhalt geht es leider immer seltener. Die Bluechips sind global gehandelte Spekulationsobjekte geworden und haben einen Teil ihrer Seele an den schnöden Gott Mammon verkauft. Sie liegen in Vitrinen berühmter Kaufhäuser oder Edelweinhändler und warten auf kaufkräftige Kundschaft aus aller Welt. In den letzten Jahrzehnten vor allem aus Asien und Russland, jetzt weniger, aber irgendjemand kauft immer. Jedem Tierchen sein Pläsierchen, aber irgendwas -ich nenne es mal magisches- ist bei diesem Rat-Race abhandengekommen. Viel Bling Bling, wenig Spaß, zuviel Prestige.
Ein Wort zu Proben…
Häufig geht es in Raritäten Proben um ermüdende Rechthaberei. Der Genuss bleibt auf der Strecke. Parolen und leere Phrasen dominieren den Diskurs des Abends. Da wird nach dem dritten Glas in alkoholgeschwängerter Luft diskutiert, ob der 89er besser als der 90er ist, oder der Sitznachbar betreibt anstelle von Konversation Namedropping. „Also den Tenuta 1999 müssen sie mal getrunken haben, der kostet nur die Hälfte wie sein berühmter Nachbar.“ Noch bitterer sind dann Statements wie „Es gibt auch guten Primitivo“. Stille…
Ab dem 4. Glas Wein werden obskure Thesen aufgestellt wie: „Überseestoffe kannst Du im Vergleich zu Europa vergessen“ oder „von italienischen Weinen bekomme ich immer Kopfschmerzen!“ Irgendwie erheiternd, aber doch lästig. Genussferne Debatten die nicht unbedingt der Wahrheit, außer der eigenen Weltanschauung, entsprechen. Natürlich gibt es wunderbare Erlebnisse und perfekt organisierte Weinproben. Denn eine geteilte Flasche mit wertschätzenden Menschen getrunken, ist nicht nur ein soziales Ereignis, sondern eine bereichernde Lernkurve die für Erkenntnis, Lebensfreude und Höchstgenuss sorgt.
Fälschungen
Ein weiteres, nicht ganz neues Problem sind die vielen Fälschungen, die weltweit kursieren. Teilweise sind sie kaum oder nur schwer vom Original zu unterscheiden. Die Fälscher sind mit der Zeit immer dreister und raffinierter geworden. Der legendäre Fälscher Rudi Kurniawan lässt grüßen, aber auch hierzulande gab es Skandale, über die sich mit den Jahren der Mantel der Vergessenheit oder der Bann der Omerta gelegt hat. Wer möchte schon gerne düpiert werden?
Auf Online-Plattformen wie Ebay wäre ich vorsichtig mit dem Kauf von Raritäten. Häufig werden dort mehr „Off Vintages“ in Form von teurem Balsamico angeboten. Viele suchen dort nach der Jubiläumsflasche, aber z.B. 1973 war einfach ein grausames Jahr. Es gibt mehr Château Lafite-Rothschild in China als auf dem Weingut insgesamt gekeltert werden.
Dann gibt es noch die Flaschen, die dreimal die Welt umrundet haben. Die sogenannten Wanderpokale mit mehrfacher Äquatortaufe. Vor einigen Jahren habe ich in Bordeaux! einen US-Reimport eines 1989er Château Lynch-Bages serviert bekommen.
Nur wenige Bouteillen oder Originalholzkisten (OHK) haben eine glaubhaft, historisch belegte und dokumentierte Herkunft. Manche Flaschen verlieren auf ihren Reisen einen Teil ihres Inhaltes. Dieses Delta nennt sich „Ullage“ und deutet auf mehr Sauerstoff in der Flasche hin. Der entfaltet seine oxydierende Wirkung, die den Wein nicht unbedingt schlechter macht, aber ein Hinweis auf seinen Leidensweg ist. Bei fehlerhafter, zu warmer Lagerung oder erhitzten Weinen läuft häufig der Inhalt sichtbar am Flaschenhals hinab. All das sind Wertminderungen, genauso wie eine intakte Holzkiste eine Steigerung bedeuten kann.
Wein verkaufen
Es gibt so viele Unwägbarkeiten, wie und ob der gewünschte Preis für den Verkäufer realisiert werden kann. Es verhält sich wie mit Aktien. Selten erwischt man den besten Zeitpunkt. Im Falle eines Verkaufes sollten mindestens 20-30% für die Zwischenhändler oder Auktionshäuser vom ermittelten Preis als weiche Kosten abgezogen werden. Die Bieterschlacht bei Auktionen ist meistens eher selten und nur auf einige wenige Weine fixiert. Dementsprechend muss der geneigte Verkäufer seine Erwartungen entsprechend herunterschrauben. Um einen realistischen Mittelwert zu finden, empfehle ich die Seite „Wine Searcher“. Man muss aber die Suchfunktionen und Ergebnisse mit entsprechendem Wissen einstellen können. Denn die Preise können weltweit stark variieren und Verfügbarkeiten sind bei den angegebenen Quellen nicht immer gegeben.
Wie kommt der Spaß ins Glas und der Preis zustande?
Natürlich und „Gott sei Dank“ gibt es echte Kenner oder Connaisseure, Liebhaber und seriöse, meist gut situierte Sammler. Teilweise sind sie spleenige angenehme Spinner, häufig mit ausgeprägter hedonistischer Veranlagung. Exzentrik und Elite sind nichts negatives, denken wir mal an den Fußballspieler Günter Netzer. Eine gewisse Borniertheit kann auch reiner Selbstschutz vor Beliebigkeit sein. Echte Leidenschaft ist etwas schönes und Liebe für eine Sache kennt keine Grenzen. Das gilt genauso für den Rebensaft, wie für viele andere schöne Dinge.
Der Preis eines Weines bildet nicht im gleichen Maße seine wahre Qualität ab. Er entsteht aus einem komplexen Gerüst aus hergestellter Menge (z.B. Burgund mit seinen Micro-Cru), seiner Historie (z.B. Premier Grand Cru Bordeaux), Verfügbarkeit (z.B. Pingus) oder Zeitgeist (Screaming Eagle) oder allem zusammen u.v.m.. Genauso entscheidend ist das Marketing. Veröffentlichungen wie Parker, Vinous und Suckling sind die flankierenden Rating Agenturen, die den Hype und das Marketing mitbegründen. Den Rest macht der Handel und natürlich der Erzeuger selbst. Entscheidend für den Genuss ist primär der Genuss und die Wertschätzung, nicht der Preis, der allenfalls ein Indikator für Seltenheit und besondere Qualität ist. Aber manche Menschen kennen nur diese Maxime: „The price of everything and the value of nothing!”
Das Ableben eines Winzers kann einen deutlchen Preissprung nach oben verursachen, wie bei Laurent Vaillé (RIP) von der Domaine de la Grange des Pères von 70 € auf 500 € die Flasche, oder bei Taras Ochoto (RIP) von Ochota Barrels dessen Nachruf in der New York Times die Weine innerhalb kürzester ausverkaufte.
Eines macht mich stutzig. Es gibt heutzutage eine so unfassbar große Vielfalt und Qualität aus unbekannten, oder wiederentdeckten Weinregionen. Der Geschmack ändert sich auch bei der Kundschaft hin zu eleganteren, naturbelassenen Weinen, ein Fakt, dem auch die großen Namen (z.B. Château Latour) nachkommen und der auch die Rating Agenturen wie Parker, Suckling oder Vinous befeuert. Heute gibt es für einen Kanaren Wein, früher eher als Urlaubsweine verschrien, schon mal 96-99 Punkte.
Transparenz ist ein Thema. Schuld daran ist das „böse“ Internet und seine Social Media Foren, in denen häufig Hatespeech und Abgründe herrschen. Trotzdem versteht eine junge, wissbegierige Käuferschaft sich durch Blogs, Foren, Postings und vor allem durch Vernetzung weiterzubilden. Auf einmal gibt es einen Run zu längst totgesagten „old school“ Gewächsen wie Viña Tondonia aus dem Rioja, Clos Rougeard von der Loire oder Valentini aus den Abruzzen. In den 90igern waren diese schwer, oder nur an Connaisseurs verkäuflich, heute sind es gesuchte Trouvaillen für die astronomische Preise gezahlt werden.
Das Monopol der Blue Chips bröckelt, vor allem in komplizierten Zeiten wie diesen. Natürlich wird dieser Sinkflug irgendwann aufhören, vor allem wenn die Weltkonjunktur brummt. Der Wert dieser Raritäten mag kurzfristig sinken, aber sie sind wie ein Goldbarren im Tresor, den Schwankungen der Zeit unterlegen, aber immer teuer.
Drinking down oder Rolltreppe abwärts?
Es ist nicht das erste Mal, das die Branche mit dem Phänomen des „Drinking Down“ zu kämpfen hat. Jetzt bekommt die zweite oder dritte Reihe ihre Chance, auch weil sie günstiger ist und top Qualität liefert. Eine Region, die mir sofort einfällt, ist das Swartland in Südafrika. Bereits vor 10 Jahren begann der unaufhaltsame Aufstieg als bezahlbare Alternative zu großen Franzosen. Heute sind diese Stoffe teurer als je zuvor, aber im Verhältnis zu den gesetzten Namen erscheinen sie günstig und sind es sogar gemessen an ihrer Qualität.
Für einen Beitritt in die „Hall of Fame“ des Liv-Ex reicht es dennoch für die ambitionierten Swartland Erzeuger (noch) nicht. Die Klassik ist die Klassik. Sie bleibt wie die Hochfinanz hinter hohen Mauern verborgen mit rutschigem Parkett und eigenen Gesetzen. Die ersten 100 Jahre waren die schwersten sagte der alte Weingutsbesitzer, danach wurde alles ganz einfach.
Ein letzter Trost für diejenigen, bei deren Kellerportfolio sich die gewünschte Performance nicht einstellen sollte. Sie könnte der klugen, entspannten Lebensweisheit von Kostolany entsprechen.
„Wenn Du mit Wein spekulieren willst, dann kaufe immer mindestens drei Flaschen oder besser drei Kisten. Die erste trinkst Du, um den Wein kennenzulernen, die zweite, um ihn wertzuschätzen und die dritte verkaufst Du. Von dem Gewinn kaufst Du Dir drei neue Flaschen oder Kisten.“