It’s the freshness, stupid: Trip durchs atlantische Portugal
Es wurde wärmer, und die Jahrgänge wurden ausgeglichener
Dabei haben sich die Klimaveränderungen zunächst einmal sehr positiv ausgewirkt, vor allem auf Teile des europäischen Weinbaus; denn bis in die frühen 2000er Jahre hinein waren die Klimaschwankungen viel größer als danach. Fragt man portugiesische Winzer, etwa jene, die ihre Weinberge direkt an der Küste haben, dann war über Jahrzehnte hinweg unter sieben Jahrgängen meist nur ein einziger wirklich guter dabei. In Deutschland war das Verhältnis etwa 5 zu 1. Der große Erfolg der rheinhessischen Rieslinge wie jener von Klaus Peter Keller, Philipp Wittmann oder Hans-Oliver Spanier hat sehr viel mit diesen Veränderungen zu tun. Früher war der Wonnegau oft ein wenig zu kühl, um die Trauben so ausreifen zu lassen, dass man hinterher ein Spitzenprodukt vinifizieren konnte. Heute ist das anders. Es ist wärmer, und der Treibhaus-Effekt beschleunigt zudem die Fotosynthese. Die Folge davon sind große trockene Weine, wie es sie früher nur sehr selten gab, die heute aber im Wonnegau eher zur Regel werden; denn seit fast zwei Jahrzehnten hat sich das Verhältnis von 5 zu 1 eher umgekehrt. Ähnlich sieht es in anderen Teilen Europas aus, im Piemont etwa, wo Ihr zum Beispiel das Weingut Molino findet. Dort haben die Winzer noch in den 1980er Jahren enormen Druck auf die italienische Politik ausgeübt, um das Anreichern des Mostes mit Zucker zuzulassen. Weshalb? Weil es viel zu viele nasse und vor allem kühle Jahre gab und weil auch eine Verzerrung des Wettbewerbs stattfand; denn schließlich durften französische und deutsche Winzer damals schon anreichern, weil es auch dort oft zu kühl war – und die Nebbiolo-Winzer eben nicht. Seit 1996 allerdings ist das Klima im Piemont so warm und gleichmäßig wie selten zuvor, und über Mostanreicherung hat man sich höchstens noch einmal im kühlen Jahrgang 2002 Gedanken gemacht.
Weine auf Sylt, Föhr und in Norwegen
Dass wir den Text mit Riesling aus Norwegen eingeleitet haben, ist natürlich kein Zufall. Denn der erwähnte Klaus Peter Keller unterstützt seine ehemalige Praktikantin Anne Enggrav seit 2009 dabei, Riesling in Norwegen, genauer gesagt, in Kristiansand entstehen zu lassen. Und Keller ist davon überzeugt, dass man dort in 20 oder 30 Jahren große Rieslinge vinifizieren wird. Auch hier in Deutschland geht es weiter in den Norden. Auf Sylt zum Beispiel gibt es den Versuchsweinberg des Rheingauer Weinguts Balthasar Ress, ebenso findet man Reben auf Föhr, in Schleswig und in Mecklenburg-Vorpommern, wo mit dem Stargarder Land das nördlichste Weinbaugebiet Deutschlands liegt. All das sind noch Flecken in der Landschaft, doch diese Flecken werden sich vergrößern und verändern. Man geht davon aus, dass sich allein in Skandinavien die Nutzfläche der Landwirtschaft in den kommenden Jahrzehnten um 40 bis 50 Prozent ausweiten wird. Wer ebenfalls von Klimaveränderungen profitiert hat sind die englischen Weingüter.
Weinbau gab es auf der britischen Insel bis ins Mittelalter und dann erst wieder sehr vereinzelt ab den 1950er Jahren. Seit den Klimaveränderungen ab den 1980er Jahren ist es interessant geworden, Schaumwein zu erzeugen, wie er in der Champagne entsteht. Während es dort spürbar wärmer wird und sich die Stilistik des Champagners verändern wird, wächst der Anbau in England stetig. Weil es in Sussex ähnliche Böden wie in der Champagne gibt, die aus der gleichen geologischen Epoche stammen, haben sich längst Champagner-Häuser in England eingekauft. Taittinger hat 2016 70 Hektar in Kent erworben und eigene Klone angepflanzt, Vranken-Pommery 2017 40 Hektar in Hampshire. Der Fizz, der English Sparkling, hat Zukunft während auf die Champagne, das Cava-Gebiet und Franciacorta viele Herausforderungen zukommen.
Des einen Freud, des anderen Leid
Fest steht, dass bei Weitem nicht alle Winzer vom Klimawandel profitieren. Gerade an der Rhône und in südlich gelegenen Regionen wird es zunehmend schwieriger, mit den alkoholreichen Sorten unter 15 oder 15,5 % Alkohol zu bleiben. Manche Winzer können diese Werte zwar wegen ihres Know-Hows immer noch gut verpacken, doch oft schmecken die Weine nach zu viel Alkohol. Wer sich noch an die eher schlanken Gewächse der 1980er und teilweise auch der 1990er Jahre aus Bordeaux erinnert, wird den Unterschied zu den heutigen Weinen spüren, die gerade in St. Émilion und Pomerol ebenfalls gerne gegen 14,5 % oder darüber hinaus tendieren. Diese Weine schmecken einfach anders, sie sind nur noch bedingt mit einem 12-prozentigen Wein von vor 20 Jahren zu vergleichen. Das liegt zwar auch an veränderten Geschmacksgewohnheiten, die mit der so genannten Parkerisierung einhergingen, aber es hat ebenso auch mit veränderten klimatischen Bedingungen zu tun. Die bisherige Regel, dass der Weinbau zwischen dem 40. und 50. Breitengrad stattfindet, verliert jedenfalls zunehmend ihre Gültigkeit. Große Teile Südeuropas trocknen langsam, aber sicher aus. Und dort, wo Trockenheit herrscht, wird Weinbau vor allem in Zukunft nicht mehr möglich sein. Denn eine Flasche Wein benötigt insgesamt rund 600 Liter Wasser im gesamten Entstehungsprozess. Das ist in Deutschland, wo es immer noch genügend Wasser gibt und wo meist genügend Regen fällt, kein Problem. Doch wird beispielsweise in Australien oder in Kalifornien die Art des Weinbaus, bei der die Rebe mittels Tröpfchenbewässerung versorgt wird, nicht mehr lange aufrechterhalten werden können. Die Flüsse in Südaustralien laufen leer, und trotzdem hat man dort Wein für einen Euro die Flasche produzieren können, was der reine Irrsinn ist. In Kalifornien sieht es nicht besser aus. Die Dürren in Kalifornien haben ebenfalls erhebliche Auswirkungen auf die dortige Landwirtschaft. Kalifornien, mit Abstand der wichtigste Erzeuger von Obst (inkl. 320.000 Hektar Wein- und Tafeltrauben) und Gemüse in den USA, wird auf Dauer zu wenig Wasser für die Produktion haben. Und wer das Drama der Wasserknappheit in Kapstadt mitbekommen hat, wird sich ausmalen können, dass auch dort die Landwirtschaft – und zu der gehört der Weinbau – umdenken muss.
Voraussetzungen für funktionierenden Weinbau
Unter welchen Bedingungen aber liefern Rebsorten gute Ergebnisse? Das hängt natürlich auch von der Rebsorte selbst ab; denn da gibt es erhebliche Unterschiede. Grundsätzlich aber kann man die Voraussetzungen für erfolgreichen Weinbau so umreißen:
– Es sollte mindestens 1.300 Sonnenstunden pro Jahr geben, besser wären rund 1.900 Sonnenstunden
– Die mittlere Temperatur sollte zwischen 10 und 20 °C liegen, im Winter am besten bei nicht weniger als 0 °C, im Frühjahr bei rund 15 °C, während der Blüte und im Sommer bei rund 18 °C während der Vegetationsphase, wobei rote Sorten es gerne etwas wärmer haben.
– Die Dauer der Vegetationsphase sollte mindestens 180 Tage umfassen.
– Der Niederschlag sollte bei 450 bis 700 Millimetern pro Jahr liegen, viel feuchter sollte es nicht sein.
Bei der Wahl der Reben entscheiden sich die Winzer natürlich bis heute vor allem für Sorten, die in den jeweiligen Gebieten Tradition haben, oder sie entscheiden sich für Sorten, die sich gut verkaufen, weshalb zum Beispiel in China zu 70 % Cabernet Sauvignon angebaut wird. Tradition ist ein wichtiger Aspekt im Weinbau und nicht zuletzt für das Marketing. Doch werden sich viele Regionen in Zukunft von althergebrachten Sorten verabschieden müssen. Zu stark ändern sich die Temperaturen.
Wie sich das Klima ändert, so werden sich auch die Sorten ändern (müssen)
Nach dem Huglin-Index, der Rebsorten einem Wärmesummenindex zuordnet, bestehend aus Tagesmittel und Tagesmaximum, werden die meisten Rebsorten immer weiter in den Norden wandern. Ja, sie tun es schon jetzt. Nur mit den klimatischen Veränderungen wurde etwa der Anbau von Syrah in Deutschland überhaupt möglich. Und der Syrah fühlt sich mittlerweile in der Südpfalz und in Baden recht wohl. Ebenso wird man dort in Zukunft auch Grenache und weitere weitgehend hitzeresistente Sorten finden. Möglicherweise werden wir irgendwann Cinsault aus dem Markgräfler Land kaufen können. Dann wird der Pinot noir von dort allerdings längst abgewandert sein. Noch im 19. Jahrhundert fand man in den Weingärten von Bordeaux häufig Carmenère und Malbec. Damals waren das allerdings die Sorten, die am meisten Probleme mit dem Reifwerden bereiteten. Sie verschwanden weitgehend mit der Reblauskatastrophe. Heute findet zumindest der Malbec seinen Weg zurück, und für die Winzer der Grand-Cru-Classé-Châteaux ist klar, dass der heute übliche Rebsortenspiegel von Cabernet und Merlot nicht in Stein gemeißelt ist. Wie man in Südafrika mit dieser Problematik umgehen kann, zeigen die Mullineux. Die haben Clairette in ihre Weinberge gepflanzt. Die ursprünglich an die südfranzösische Hitze angepasste, uralte Sorte kann recht früh geerntet werden, bleibt dann moderat im Alkohol und versorgt Cuvées mit natürlicher Säure, ohne aromatisch zu stark einzugreifen.
In die Höhe, in die Biodynamie und zurück zur Biodiversität
Im Gegensatz zu manch anderen Anbaugebieten, wo ein Weingutsbesitzer noch die Möglichkeit hat, in die Höhe auszuweichen, ist dies in Bordeaux nicht möglich. Man ist dort an seine klassifizierten Lagen gebunden und wird sich mit den Klimaveränderungen auseinandersetzen müssen. Dabei ist es natürlich kein Zufall, dass die Châteaux-Besitzer auch über veränderte Anbaumethoden nachdenken. Die Biodynamie ist gerade in Bezug auf die Herausforderungen durch Hitze ein gefragter Ansatz; denn mit dem Einzug der Biodynamie in den Weinberg werden die Trauben kleiner, kräftiger, dickschaliger und physiologisch schneller reif – sie sind also per se resistenter und können früher geerntet werden, was den Alkoholgehalt reguliert. Ein weiteres, wichtiges Thema ist die Biodiversität. Unsere Vorfahren wussten das. Die ersten Bauern, die Reben kultiviert haben, haben die Reben mit ziemlicher Sicherheit mit vielen anderen Nutzpflanzen zusammen gepflanzt. In manchen Teilen rund um das Schwarzmeer und in der Türkei ist dies immer noch üblich. Und auch im Norden Portugals, im Minho, wo Soalheiro beheimatet ist, hat man Reben bis vor wenigen Jahrzehnten noch abwechselnd mit anderen Nutzpflanzen gesetzt oder sie so hoch auf Pergola gepflanzt, dass man den Platz darunter weiter nutzen konnte. Jahrhunderte lang hat man außerdem gemischte Sätze gepflanzt, also viele unterschiedliche Rebsorten in einem Weinberg. Da die Bauern keine Pflanzenschutzmittel zur Verfügung hatten, mussten sie auf andere Art und Weise ihre Weinberge gesund halten und je mehr Diversität vorhanden ist, desto robuster sind die Weinberge. All das ist heute wieder ein wichtiges Thema, bei dem auch die Qualität der Klone eine Rolle spielt. Denn allzu lange hat man Rebsorten-Klone einfach nur vervielfältigt, ohne sich um die genetische Vielfalt zu kümmern. Doch eine Armee von Klonsoldaten muss man nur einem einzigen wirksamen Virus oder Schädling aussetzen und sie wird komplett dahingerafft. Bei einem Weinberg mit unterschiedlichsten Abstammungen und biologischer wie genetischer Vielfalt wird dies nicht passieren.
Doch so sehr sich die Winzer auch bemühen werden – die Herausforderungen sind sehr komplex. Neben Trockenheit und Hitze wird es immer mehr Extremwetter wie Starkregen oder sogar Tornados geben, Hagel und – nicht zu vergessen – mehr Schädlinge wie Traubenwickler, Glasflügelzikaden, asiatische Marienkäfer und weitere Insekten, die sich immer mehr ausbreiten. Mit dem höheren CO2-Gehalt in der Luft werden die Pflanzen zudem durstiger – ein Phänomen, das Forscher der Universität Geisenheim verwundert hat.
Radikal umdenken
Doch nicht nur die Forscher an der wichtigsten deutschen Weinbau-Hochschule reiben sich zunehmend verwundert die Augen. Es sind vor allem jene Forscher wie die des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung, welche die Schnelligkeit, mit der sich das Klima aktuell verändert und sogar die Polkappen schmelzen lässt, kaum fassen können. Natürlich hat sich das Klima im Laufe der Jahrmillionen ständig verändert, doch der Einfluss der Menschen hat die Klimaveränderung beschleunigt. So ist die Temperatur nach der letzten Zwischeneiszeit vor 18.000 Jahren bis heute um 6 bis 8 °C angestiegen. Seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1860 waren es dagegen 0,7 bis 1 Grad. Bis ins Jahr 2100 rechnete man bisher mit einer weiteren Zunahme von 1,5 bis 3 °C. Doch diese Voraussagen werden schon in Frage gestellt und müssen möglicherweise deutlich angehoben werden – weil sich die Effekte der Veränderungen gegenseitig verstärken. Das Einzige, was helfen wird ist, radikal umzudenken und sich entsprechend anders zu verhalten. In Bezug auf den Wein muss die Schlussfolgerung lauten, dass nachhaltiges Wirtschaften wieder dringend mit Inhalt, ja mit Leben erfüllt werden muss – auch wenn der Begriff Nachhaltigkeit in den letzten Jahrzehnten zu oft substanzlos verwendet wurde. Erzeuger, Händler und Konsumenten, ja wir alle, die wir bis heute in hohem Maße auf Kosten der ärmeren Länder leben, haben die Pflicht, so klimaneutral wie möglich zu handeln. Sonst wird sich recht schnell bewahrheiten, was die New York Times in ihrem Magazin vor einigen Tagen unter dem Titel Losing Earth – The Decade we almost stopped the Climate Change beschrieben hat: »Vor 30 Jahren hatten wir eine gute Chance, unseren Planeten zu retten. Die Wissenschaft zur Klimaveränderung wurde installiert, die Welt war eigentlich bereit, zu handeln. Nichts stand uns im Weg – nur wir selbst.«
Der Klimawandel ist eine riesige Herausforderung und derzeit unumkehrbar. Dass wir es nicht so weit kommen lassen, wie es im verlinkten Artikel apodiktisch beschrieben wird, liegt nicht nur an den Mächtigen, sondern auch an jedem von uns, und das täglich. Nur wenn wir selber Handeln werden unsere Kinder und Kindeskinder weiter mit Genuss Wein trinken können – von welcher Rebsorte auch immer.