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Was ist der Stettener Stein?

In diesem Gastbeitrag berichtet Patrick Hemminger über sein Jahr beim Weingut am Stein. Am Ende steht das Ziel, gemeinsam mit Ludwig einen Wein zu machen und ein Buch darüber zu schreiben.

Es ist eine schöne Sache, in einem wohltemperierten Verkostungsraum zu sitzen, Weine zu probieren, darüber Urteile zu fällen oder schöne Geschichten über den Wein und die Menschen zu schreiben, die ihn machen. Aber heute stehe ich kurz nach Sonnenaufgang bei Minusgraden und leichtem Schneefall im Steilhang, halte mich mit einer Hand am Draht fest, um nicht abzurutschen, und schneide mit der anderen die Reben. Es ist ein Tag im Februar und ich bin mit der Mannschaft vom Weingut am Stein im Stettener Stein unterwegs. Die Weinberge thronen auf mächtigen Muschelkalkbänken über dem Main. Von dort kommen ein paar der schönsten Weine Frankens.

Ich bin hier, weil ich lernen will, wie Wein gemacht wird. In der Theorie weiß ich darüber eine Menge, habe unzählige Bücher gelesen und verkoste Jahr für Jahr mehrere Tausend Flaschen. Aber von der Praxis habe ich bis auf ein paar flüchtige Eindrücke keine Ahnung. Das will ich ändern.

Der Stettener Stein ist eine der beeindruckendsten Lagen Frankens

Dass dieser Weg ein langer sein wird und ein beschwerlicher obendrein, wird mir an diesem Tag sehr klar. Als ich durch die Wirtschaftswege im Stettener Stein fahre und die mit Silvaner bestockten Rebzeilen hinunterschaue, wirkt das alles schon sehr steil. Wie steil es wirklich ist, merke ich aber erst, als ich den ersten Schritt hinunter mache. Mit einer Hand halte ich mich am Draht, die schweren Stiefeln tasten unter der Schneedecke nach Halt. Ist der gefunden, schneide ich den Rebstock, bereite ihn für die kommende Lese vor. So arbeiten wir uns die Zeile nach unten. Und dann wieder hinauf. Wieder hinunter. Als Erstes spüre ich meine Hände nicht mehr. Im Shop von Wein am Limit klingt das bei den Weinen vom Weingut am Stein dann so: „Durch die enge Bestockung und die enorme Hangneigung können die Parzellen nur in Handarbeit bewirtschaftet werden. Damit wird eine zwar zeitaufwändige, aber dafür sehr individuelle und sorgsame Stockpflege gewährleistet.“ Was das wirklich bedeutet, weiß ich erst jetzt.

Weingut am Stein arbeiten mit der Mannschaft im Weinberg
Die Arbeit im Weinberg ist immer Teamarbeit – Hier bei der Lese 2020

Eine Stunde später werden die Füße taub. Nicht ungefährlich, weil der gefrorene Boden kurz vor der Mittagspause beginnt, anzutauen. Der Steilhang wird so rutschig, als wäre er mit Schmierseife überzogen. Beim Hinaus und Hinunter halte ich mich nun an den Drähten fest. Bringt aber auch nicht viel, da meine Handschuhe vom einen oder anderen Sturz dreckverschmiert sind und mir nicht mehr viel Halt geben. Wo ich meine Füße hinsetze, spüre ich nicht mehr. Beim letzten Aufstieg rutscht hinter mir ein anderer Praktikant aus, stürzt und kugelt sich die Schulter aus. Bald sind Notarzt und Rettungswagen im Weinberg.

In der Mittagspause wird wenig gesprochen. Alle sind erschöpft und versuchen, wieder warm zu werden. Als wir Hände und Füße wieder spüren, geht es zurück in den Stein. Dort beginnt es wieder zu schneien, auch wird der Wind stärker. Als ich richtig zu frieren beginne, höre ich auf, gegen die Kälte zu kämpfen. Ich ergebe mich ihr, lasse mich fallen. Schweigend arbeite ich mich von Rebe zu Rebe, fange an, innerlich mit ihr zu sprechen, frage sie, was sie braucht und setze sorgsam die Schere an. Und tatsächlich vergesse ich die Kälte und bin fast traurig, als es Zeit wird, zurück aufs Weingut zu fahren. Trotzdem: selten habe ich eine heiße Dusche so sehr genossen. Die Weine, die aus diesen Lagen kommen, kosten alle deutlich mehr als 20 Euro. Seit heute, verstehe ich jeden Cent davon.

Wie ist die Arbeit im Keller? – Kältekammer und Dampfbad zugleich

Ein paar Wochen später arbeite ich im Keller mit. Wir filtrieren Gutsweine, also die Basis des Sortiments. Kellermeister Dominik erklärt mir in alle Ruhe jeden Handgriff. Dabei ist das mit den Handgriffen nicht so einfach. Draußen hat es Minusgrade und die Tür steht die ganze Zeit offen. Außerdem muss andauernd alles Mögliche mit Wasser abgespritzt werden – Tanks, Ventile, Klappen. Zwei Schläuche gibt es im Keller und nur aus einem kommt warmes Wasser. Oft sind meine Hände komplett gefühllos.

Ist ein Tank leer, muss er von innen gereinigt werden. Der Weinstein, der an den Wänden pappt, muss raus und auch die Hefe, die sich am Boden abgesetzt hat. Ich schnappe mir also den Schlauch mit dem warmen Wasser und spritze so lange im Tank herum, bis draußen ist, was raus geht. „Fertig“, sage ich irgendwann zu Dominik. „Warst du drinnen?“, fragt er. „Drinnen?!?“, frage ich. Er nickt.

Edelstahltanks Wein
Edelstahltanks stehen für Präzision. Temperatur-gesteuert entstehen hier Weine mit glasklarem Aromaprofil.

Die meisten Tanks sind in etwa so groß wie ein kleines Badezimmer. Komplett dunkel. In der Mitte hängt für die Kühlung eine Stahlplatte mit spitzen Ecken. Und statt einer Tür gibt es eine ovale, scharfkantige Öffnung auf Höhe meiner Oberschenkel, durch die meine Schultern gerade so durchpassen. Da quetsche ich mich rein. Dominik reicht mir den Schlauch und eine Stablampe. Es ist eng und es ist dunkel. Ich zwinge mich, ein paar Mal ganz ruhig zu atmen. Dann knipse ich das Licht an, in der anderen Hand halte ich den Schlauch mit dem warmen Wasser und spritze die Wände ab. In großen Stücken fliegt der Weinstein auf den Boden des Tanks. Bald ist es nicht mehr kalt. Das warme Wasser verwandelt den Tank in wenigen Minuten in ein Dampfbad. Mir läuft der Schweiß in die Augen, sehen kann ich ohnehin fast nichts mehr, da die Brille beschlagen ist.

Sandra und Ludwig Knoll beim probieren im Keller
Sandra und Ludwig Knoll beim gemeinsamen Probieren im Keller

In den nächsten Wochen bin ich immer wieder in Würzburg. Ich helfe beim Ausbringen der biodynamischen Präparate – sprich wir rühren Kuhmist in Wasser und versprühen das in den Weinbergen – beim Ausgeizen und beim Drähte spannen in einem neuen Weinberg. Jeden Abend tut mir irgendetwas anderes weh, meist habe ich mir irgendwo irgendeinen Finger eingeklemmt oder aufgeschürft. Und jedes Mal stelle ich mir aufs Neue die Frage, wie es Weine geben kann, die nur ein paar Euro kosten und wie sich das für den Produzenten rechnen kann. Natürlich weiß ich um all die Maschinen, die in der Flachlage vieles von dem erledigen, was wir im Weingut am Stein in der Steillage mühsam von Hand tun. Aber trotzdem: Auch für den billigsten Supermarktwein muss am Ende jemand in den Tank steigen, und ihn sauber machen.

Weingut am Stein Biodyn Hornmist Präparat 500 Dynamisieren
Ludwig Knoll beim Dynamisieren eines Spritzpräparat, sowie das Präparat 500 – Hornmist noch in der Grube in der es über den Winter verbleibt.

Ein Nachmittag an einem heißen Frühsommertag zeigt mir den Wahnsinn Weinbau besonders schön. Ludwig hat einen kleinen Weinberg mit Chardonnay neu anlegen lassen. 1500 Rebstöcke, aus denen mal Grundwein für einen Schaumwein werden soll – auf den ich mich schon heute freue. Dafür mussten in dem kleinen Weinberg erst einmal Terrassen angelegt und Reben gepflanzt werden. Ich bin eines heißen Tages dort, zusammen mit Tibi. Tibi ist einer der Rumänen, die fest angestellt für Ludwig arbeiten und dies härter tun als sonst irgendeiner. Dabei ist er stets brummelig-freundlich und beantwortet mir alle meine Fragen mit Engelsgeduld, wie jeder hier. Wir sollen uns um die Bewässerung kümmern, die für Junganlagen mittlerweile fast unumgänglich geworden ist.

Dafür müssen wir am untersten Draht der Anlage einen Plastikclip einhängen, durch den dann später der Schlauch geführt wird. Der Draht ist hart und das Plastik spitz mit scharfen Ecken. Zwischen alle Rebstöcke hängen wir einen Clip – zwischen alle 1500. Bei Tibi geht das klack-klack-klack und schon ist er mir zehn Meter voraus. Ich drücke, quetsche, zerre und bis ich die ersten 50 Plastikclips eingehängt habe, bluten meine Finger. Am Ende tut mir außer den Fingern auch mein Rücken weh, denn der Draht ist etwa auf Höhe meines Knies. „Trinkpause“, sagt Tibi. Dann kommt der Schlauch in die Clips. Und auch dies ist wieder ein schmerzhaftes Gefummel, bei dem ich mir dauernd die Finger quetsche und am Ende jeden einzelnen Rückenwirbel spüre.

Der Blick auf die Vinothek und Restaurant Reiser
Blick auf die Vinothek und das Restaurant Reiser – hoch oben über der Weinstadt Würzburg

Seit ich alle paar Wochen im Weinberg stehe, denke ich anders über Wein. Seit ich weiß, wie anstrengend und schmerzhaft der Weg vom kahlen Rebstock im Winter hin zur vollen Flasche sein kann, schätze ich jeden Schluck mehr. Deshalb ein Angebot von mir für Euch: wenn hier genug Interessierte zusammenkommen, nehme ich Euch mit in den Stettener Stein. Ich zeige Euch, was es heißt, in der Steillage zu arbeiten. Wir trinken die Weine dort, inmitten der Reben, an denen ihre Trauben gewachsen sind. Ich zeige Euch den Keller im Weingut und wie eng die Öffnungen der Stahltanks sind. Und am Ende des Tages essen wir im Sternerestaurant Reisers, das direkt im Weingut liegt.

Ein Gastbeitrag von Patrick Hemminger – lebt in Bernried am Starnberger See und betreibt den Blog „Der Genuss-Insider“

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