It’s the freshness, stupid: Trip durchs atlantische Portugal
Der schmale Grat zwischen Wahnsinn und Genialität
Kürzlich hatte ich in einer großen Runde Freunde zu Gast. Es ist eine gute Tradition geworden, dass ich, seitdem ich nach Hamburg gezogen bin, Freunde aus der ganzen Republik zu mir an den Tisch einlade. Ich bekoche sie vorweihnachtlich und natürlich spielt Wein als Begleitung eine große Rolle. Ich beschäftige mich damit, seitdem ich mit ca. 18 angefangen habe, selbst zu kochen. Damals bin ich losgezogen, und habe völlig unbedarft ein paar Flaschen dazu gekauft und irgendwie hat gar nichts gepasst. Das war Anfang der 1990er. Die Zeit der Mettigel war zwar schon vorbei, aber irgendwie war immer noch jeder der Meinung, dass Rotwein total gut zu Käse passen würde und überhaupt hatte aus meinem Umfeld eigentlich niemand Ahnung von Wein. Rotwein, das sei schon mal klar gesagt, passt in 99 % aller Fälle überhaupt nicht zu Käse. Weshalb? Weil die Milcheiweiße und der hohe Salzgehalt nur äußerst selten mit den Gerbstoffen des Rotweins harmonieren. Es gibt nur wenige Ausnahmen: Leichte, einfache Rotweine passen schon mal ganz gut zu einem einfachen Weichkäse. Und gereifte Käse (alter Gouda, Parmigiano etc.), die diese kleinen weißen Kristalle aus Aminosäuren oder Calciumactaten gebildet haben, funktionieren mit gereiften, eher würzigen vollen Rotweinen, Blauschimmelkäse wie Stilton zum Port oder anderen Süßweinen. Ansonsten: zu Käse am besten immer Weißwein.
Ich habe eine Zeit gebraucht, bis ich einigermaßen herausgefunden hatte, was wirklich zusammenpasst. Zumal ich damals so gut wie keine Literatur gefunden habe. In Deutschland gibt es – obwohl schon so lange Wein erzeugt wird – eigentlich gar keine Tradition darin, Wein als Essensbegleiter zu nutzen. In Frankreich, Spanien oder Italien ist das völlig anders. Dabei liegt zumindest für mich der eigentliche Sinn des Weintrinkens in der passenden Begleitung von Speisen. Die richtige Kombination von Wein und Speisen ist durchaus eine Herausforderung und hat im Laufe der Zeit den Beruf des Sommeliers geschaffen. Den fand man früher nur in gehobenen Restaurants, die auch über einen entsprechenden Weinkeller verfügen. Heute gibt es auch Restaurants und Weinbars, die von Sommeliers gegründet wurden. Für alle anderen Weinliebhaber gilt, dass das Wissen über ein kleines Einmaleins des Geschmacks durchaus helfen kann.
Es gibt Grundregeln in der Kombination von Wein und Speisen
Wenn Weine und Speisen aufeinandertreffen, entsteht eine komplexe Mischung von Aromen und Komponenten, die sowohl den Geschmack des Weines als auch den der Speisen grundlegend verändern. Der Experimentierfreude sind grundsätzlich wenig Grenzen gesetzt, aber ein paar dieser Regeln machen es leichter, wenn auch nicht immer perfekt. An dem zu Beginn erwähnten Abend haben ein paar Gänge extrem gut mit den Weinen harmoniert, andere etwas weniger. Es gilt letztlich immer, eine Harmonie in die sechs Geschmackssinne süß – sauer – salzig – bitter – umami – fett zu bringen. Die ersten vier Begriffe müssen sicher nicht erklärt werden. Der fünfte Begriff stammt aus dem Japanischen, weil er im Jahr 1908 von einem japanischen Wissenschaftler erläutert wurde. Umami ist das schmeckbare Salz der Glutaminsäure. Diese Aminosäure wirkt wie ein Geschmacksverstärker. Deshalb wird sie auch künstlich in rauen Mengen hergestellt, heißt dann Glutamat und peppt Lebensmittel auf, die, für sich genommen, zu fad schmecken würden. In natürlicher Form entsteht dieses Salz vor allem dann, wenn man bestimmte Produkte reduziert, also wenn man zum Beispiel aus Tomaten Tomatenmark herstellt, Sojasaucen erzeugt oder wenn man Käse zu Parmesan reifen lässt. Auch Brühen beinhalten sehr viel Umami. Umami wirkt wie Alkohol und Fett aromaverstärkend dank der Aminosäuren. Bei Fett liegt es daran, das Fett Aromen löst. Das tut Alkohol auch. Außerdem wirkt er als Geschmacksträger für süße, saure und bittere Noten. Weine mit viel Glycerin sorgen – wie Fett – für mehr Fülle, Cremigkeit und Weichheit. Doch neben den Geschmackssinnen, die wir über die Zunge und den hinter Nasenbereich zu uns nehmen, spielen außerdem folgende Geschmacksgefühle eine Rolle:
• Strukturen und Texturen: etwa weich, hart, klebrig, wässrig, kross
• Adstringierendes, wenn also Gerbstoffe die Mundhöhle austrocknen
• Reize wie Schärfe, Kälte oder Hitze
• Metallische Eindrücke
• Alkalische Eindrücke
• Wässrige Eindrücke
Die Geschmackssinne und die Geschmacksgefühle verbinden sich mit den Eindrücken, die das limbische System liefert; denn damit riechen wir nicht nur, damit schmecken wir auch feine Nuancen heraus.
Grundregel 1: Der Geschmack eines Weines ist wichtiger als seine Komplexität
Das heißt, dass man nicht immer den teuersten und komplexesten Wein aus dem Keller holen muss, sondern den, der mit der Komplexität des Essens harmoniert. Einen Wein kann man bestimmten Geschmackstypen zuordnen. Und beim Essen ist das ebenso. Vor allem Saucen spielen eine entscheidende Rolle bei der Harmonie mit Wein.
Was funktioniert so gut wie nie?
Bitterstoffe im Essen und Bitterstoffe in Weinen verstärken sich gegenseitig.
Säure und Bitterkeit verstärken sich ebenfalls gegenseitig und wirken metallisch.
Gerbstoff und Eiweiß, der Gerbstoff wird gepusht.
Was funktioniert gut?
Süß und süß: Eine Tarte tatin und ein süßer Chenin blanc (beide kommen von der Loire) oder eine dunkle Schokolade mit einem Glas Portwein. Wichtig ist, dass nicht eine der beiden Komponenten in ihrer Süße zu stark dominiert, aber der Wein sollte immer ein wenig süßer sein als das Dessert.
Süß und sauer: Man kennt das von sauren Drops, wo sich zwei Gegensätze anziehen. So kann das auch bei Speisen und Wein sein, wo die Säure eines Rieslings schon im Wein selbst die Süße balanciert.
Sauer und sauer: Erstaunlicherweise verstärken sich die Säure nicht zwangsläufig. sondern pendeln sich gegenseitig aus.
Süß und salzig: Auch diese Kombination wirkt schon in einem Produkt wie „salzige Heringe“ oder auch in einer Schokolade mit Salzflocken. Besonders gut harmoniert das in salzigen Käse mit restsüßen Weißweinen.
Süß und bitter: Die oben schon erwähnte bittere Schokolade funktioniert hervorragend mit einem süßen Wein, der ähnlich viel Kraft hat, also einem Portwein oder einem dunklen süßen Banyuls.
Salzig & sauer: Diese Geschmackskombination funktioniert sehr gut, wenn man beispielsweise Schaumweine, die ja eine hohe Säure besitzen – vor allem Blanc de Blancs aus der Champagne – mit salzigem Käse kombiniert.
Fett und Alkohol: Alkohol verarbeitet fett und macht es besser verdaulich.
Grundregel 2: Die Kraft von Wein und Speisen sollte ähnlich sein
Hat man sich für ein Gericht entschieden, das man zubereiten will, sollte man darauf achten, dass die Aromenkonzentration des Essens mit der des Weines in Einklang steht. Nehme ich zum Beispiel als Hauptgericht ein Wiener Schnitzel, dann ist das Wiener Schnitzel aromatisch nicht allzu üppig. Also nehme ich auch einen Wein, der nicht allzu üppig ist. Ein fünf Jahre gereifter Chardonnay aus dem Burgund, der viel Holz gesehen hat, würde das Fleisch komplett dominieren. Ein junger Grüner Veltliner, der aus der gleichen Gegend stammt wie das Wiener Schnitzel, passen hier viel besser. Brate ich aber einen Fisch mit festem Fleisch, umwickelt mit Speck und gereicht mit einer Weißwein-Sahne-Sauce, sieht es direkt anders aus. Der junge Grüne Veltliner mit der frischen Säure würde komplett untergehen und die Säure würde stechend wirken. Da passt der Burgunder mit seinen Röstnoten, den buttrigen Noten, dem ausladenden Körper und der moderaten Säure viel besser.
Grundregel 3: Der Fettgehalt von Fleisch und Fisch bestimmt die Auswahl des Weines
Die meisten Fette wirken wie Umami und Alkohol, also aromaverstärkend. Ungesättigte Fettsäuren wie pflanzliches Fett, Öl oder Fischfette wirken cremig und anregend. Gesättigte Fettsäuren wie tierische Fette, Sahne oder Butter wirken dicht und auskleidend. Scharfe Komponenten ebenso wie Tannine werden durch Fett harmonisiert. Dabei können tierische Fette auf unterschiedliche Weise verarbeitet werden:
Bei gekochtem Kalb- oder Rindfleisch wie Tafelspitz ist das Fleisch mürbe. Dazu passen for allem Weißweine mit moderater Säure. Wird Meerrettich als scharfe Komponente dazu gereicht, harmonisiert zum Beispiel die Süße eines halbtrockenen Rieslings.
Zum Entrecôte oder Steak passen kräftige, expressive und tanninbetonte Rotweine wie Bordeaux, Malbec oder auch südfranzösische Rotweine. Zum feineren Filet mit weniger Fett benötigt man subtilere Weine wie einen guten Pinot Noir. Werden provençalische Kräuter eingesetzt und die Aromatik des Fleisches ist kräftig, wie zum Beispiel bei Lamm, sind füllige Weine von der Rhône und aus dem Languedoc eine sichere Bank.
Bei kurzgebratenem Rindfleisch aus dem Wok, scharfgewürzt mit Chili, Soja- oder Teriyakisauce ist nicht das Fleisch entscheidend, sondern der Schärfegrad der Marinade. Schärfe zerstört fast jeden Rotwein, besonders Weine mit viel Gerbstoffen. Zu diesem scharfen dunklen Fleisch harmoniert fruchtiger Weißwein mit Restsüße wie Riesling oder auch Gewürztraminer, wobei durch die Schärfe des Essens die Süße des Weins praktisch aufgehoben wird. Dabei gilt: Je schärfer das Curry, desto ausladender und süßer kann der Wein sein.
Grundregel 4: Die Auswahl von Saucen spielt eine entscheidende Rolle bei der Harmonie
Saucen beeinflussen eine Speise, manchmal können sie diese auch dominieren. Auf jeden Fall haben sie im Wechselspiel mit Weinen einen entscheidenden Anteil. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen:
Vinaigrette, eine kalte Grundsauce mit Säure, Salz, Fett und meist auch nicht mit Schalotten. Wenn überhaupt Wein, dann ein cremiger, kräftiger Weißwein, der die Säuren beruhigt. Aber Wein ist nicht die erste Wahl.
Beurre blanc, eine warme Grundsauce mit Säure, Salz und viel Fett. Auch hier harmoniert vor allem ein im Holz ausgebauter kräftiger Weißwein wie ein Chardonnay aus dem Burgund. Der cremige Wein verbindet sich mit der cremigen Textur der Sauce. Die Frucht des Weines wird gepusht, die moderate Säure wird eingebunden, ja verstärkt, und beides wird vielschichtiger. Ein junger, frischer Weißwein würde aggressiv sauer und metallisch sein, das Tannin eines Rotweins pelzig auf der Zunge wirken, die Frucht ginge verloren und ebenso die Eleganz.
Jus, ist eine warme Grundsauce auf Fleisch- und Knochenbasis mit Säure, Salz und Röstaromen. Die Kunst der Jus ist die Reduktion von Knochen, Tomatenmark, Wein, Wurzelgemüse und Gewürzen zu einer intensiven, nach Röstaromen schmeckenden dunklen Sauce. Sie verstärkt in hohem Maße (Umami) die Aromen eines Rotweines, dessen Gerbstoffe mit denen der Sauce harmonieren. Bei einem jungen Weißwein zerstören die Röstaromen so gut wie alle Frische und Frucht. Außerdem ist die Jus zu fettig für einen solchen Wein.
Chutney, ist eine pikante Saucenvariante, meist kalt serviert in marmeladiger Konsistenz mit scharfen, süßen und würzigen Komponenten. Hier trumpft ein junger Weißwein auf. Er harmoniert sowohl mit der Würze als auch mit der Frucht des Chutneys, er bindet die Salzigkeit und die leichte Schärfe und wirkt sogar cremiger. Der Weiße Burgunder dagegen mag die Schärfe nicht, er wird zudem breit und weich, während die Fruchtaromen bitter werden. Ein Rotwein mit seinen Tanninen wird erdig, bitter und harmoniert weder mit der Schärfe noch der Süße der Sauce.
Chilisaucen, sind scharfe, fruchtige und leicht süßliche Saucen mit Anteilen von Honig, Essig, Ölen, Säften und Chilis. Hier benötigt man je nach Schärfe einen süßen Weißwein, der sowohl positiv auf die Schärfe als auch auf die Frucht reagiert. Ein Chardonnay aus dem Holz würde hier ebenso bitter wirken wie ein Rotwein.
Grundregel 5: Die Reife des Weines hat viel mit der Frische der Speisen zu tun
Einer der großen Klassiker unter den Wein-Speise-Kombinationen ist Sancerre und der Ziegenkäse Chavignol. Beide stammen aus derselben Region, denn Chavignol ist ein Nachbarort von Sancerre. Es kommt häufiger vor, dass Weine und Gerichte aus einer Region zusammen eine Einheit bilden. Hier kann man sehr schön nachvollziehen, dass ein frischer Ziegenkäse am besten zu einem jungen, frischen Sancerre (oder einem anderen klassischen Sauvignon Blanc) passt. Je länger der Käse reift und damit neue, tertiäre Aromen bildet, desto besser passen länger gereifte und im Holz ausgebaute Sancerre.
Wenn man das beachtet, dann kommt man schon recht weit. 100 % Harmonie erreicht man nur selten und manchmal kann das auch total überraschend sein. So wie bei der Lapsang Suchon-Brühe, die ich kürzlich zubereitet habe und deren tragende Komponente ein auf Holz geräucherter Tee war. Diese Brühe passte extrem gut zu einem restsüßen, leichten Muscat aus dem Roussillon. Den zu finden war eine Mischung aus Erfahrung, Experimentierfreude und Zufallstreffer. Und gerade die Experimentierfreude ist einfach wichtig, wenn man sich mit dem Thema wirklich intensiver auseinandersetzen möchte.
Ein Gastbeitrag von Christoph Raffelt (originalverkorkt.de)
P.S.: Was besonders gut zusammen passt
Um ein Gefühl dafür zu bekommen, welche Weine und Speisen zusammen harmonieren, schaut man am besten in die Weinregionen; denn dort haben sich oft Partner gefunden, die hervorragend zusammen funktionieren. Es gibt aber auch darüber hinaus einige echte Klassiker.
P.P.S.: Zehn ungewöhnliche Kombinationen
• Austern & gereifter Sauternes
• Steak & gereifte Riesling Auslese
• Hot Dogs, Pommes und Champagner
• Hühnerfrikassee & Gereifter Jahrgangs-Champagner
• Geräucherter Lachs & Pinot Noir
• Sushirolls & Bordeaux
• Schnecken mit Knoblauchbutter & Zinfandel
• Matjes & Orange-Wein ohne Holzausbau
• Salt & Vinegar-Chips & Manzanilla Sherry
• Feta & Mosel-Kabinett