It’s the freshness, stupid: Trip durchs atlantische Portugal
Die Zeit der Abrechnung mit den bräsigen, mit Kammerpreismünzen usw. verhangenen Pullen aus fragwürdigen Lagen mit ordentlich Restzucker war gekommen. Der dünne, selbstgefällige Stoff der vollgefressenen Wirtschaftswunder Zeiten wurde laut angezählt.
Der Wandel nahm Fahrt auf, ein Paradigmenwechsel klopfte an die Türen der Weingüter. Vom deutschen Weinwunder kann man etwa Ende der 80iger, Anfang der 90iger sprechen. Zumindest empfinde ich das in meiner persönlichen Weinwerdung so. Es war die Zeit des Aufbruchs, der Experimente (z.B. Hades mit Barriqueausbau). Schon immer gab es außergewöhnliche Produzenten in Deutschland, wie z.B. Egon Müller von der Saar oder J.J. Prüm aus Wehlen an der Mosel. Dazu gab es eine Reihe an Traditionsbetrieben mit langer Vergangenheit wie Bürklin-Wolf, Bassermann-Jordan aus der Pfalz oder das Rheingauer Schloss Vollrads.
Jetzt war die Stunde der neuen Helden die den Aufbruch verkörperten. Sie hießen -neben vielen anderen- Gunter Künstler, Bernd Phillipi, Bernhard Breuer (R.I.P.), Armin Diel, Helmuth Dönnhoff, Fritz Haag (R.I.P), Bernhard Huber (R.I.P.), Joachim Heger, Werner Meyer-Näkel oder Hans-Günter Schwarz. Am Ende waren es ein paar Dutzend Betriebe und die Übergänge der Generationen waren damals wie heute fließend.
Was sie alle in den Anfangsjahren einte: es waren kantige und charismatische Typen mit Vision, die keinen Konflikt scheuten und die Dinge beim Namen benannten. Dabei kommt mir Armin Diel in den Sinn, der schon immer polarisierte und mit dem Gault Millau Weinguide viel, auch für seine Kollegen, erreicht hat. Sie änderten Etiketten, Flaschenform und die Kommunikation um ihre Weine. Aber auch, oder vor allem, am Inhalt wurde intensiv gearbeitet. Edelstahl kam in die Keller, Barriques, neuartige Schlauchpressen und vieles mehr. In den Weingärten wurden Versuchsanalgen mit Chardonnay, Sauvignion Blanc und Syrah u.v.m. gepflanzt. Manches schmeckte krampfhaft französisch oder international. Selten waren diese Bemühungen von Erfolg gekrönt, später sollte dieser Trend wieder abflachen, aber er war wichtig für die Dynamik und das Selbstbewusstsein. Manches davon ist geblieben, wie der Sauvignon Blanc.
Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen. Eine im Barrique ausgebaute 1990er Spätburgunder Auslese trocken (!) Dernauer Pfarrwingert vom Weingut Meyer-Näkel von der Ahr stand im Jahr 1993 für 114 Deutsche Mark bei mir auf der Weinkarte. Dafür hagelte es massig Kritik von meinen Gästen. Wie kann ein deutscher Rotwein genauso teuer sein wie ein Pommard 1er Cru? Überhaupt stand hellfarbener Spätburgunder unter Generalverdacht, sauer zu sein. Es gab viel Misstrauen der deutschen Kundschaft, viele von ihnen gebrannte Kinder. Denn soviele Chancen bekommt man nicht, schon gar nicht auf diesem Niveau. Es war nicht einfach, deutsche Weine im höheren Segment an den Gast bringen (und ist es auch heute nicht). Da waren die üppigen, klischeebehafteten Italiener oder eleganten Franzosen klar im Vorteil.
Die Emanzipation der damals jungen Wilden von den Altvorderen wirkte häufig krampfig.
Auf der anderen Seite mussten die Kunden behutsam umerzogen werden und von alten Trinkgewohnheiten entwöhnt werden. Der bis dato auf Langweile und Besserwisserei geeichte Kunde wollte abgeholt werden. Da wurden Barrique Icons auf das Etikett gedruckt, um den Kunden auf den toastwürzigen und (für ihn) untypischen Holzgeschmack hinzuweisen.
Bei den Weißweinen ging es etwas schneller und einfacher, vor allem beim Riesling. Der war etabliert und Deutschlands bekanntester Botschafter in der Welt. Trotzdem musste der Rheingauer Bernhard Breuer für seine knochentrockenen Lagenweine, wie den Schlossberg oder den Nonnenberg lange kämpfen. Wein mit Lagencharakter, ohne Prädikatsstufe und Künstler Etiketten, das passte nicht jedem.
Wie zerfahren es weinrechtlich zuging, verdeutlicht die Bezeichnung 1993 Riesling Hochheimer Hölle, Auslese, trocken, Weingut Künstler, Rheingau und einer der besten deutschen Weißweine dieser Dekade. Eine trockene Auslese (deren Geschmack sonst für süß steht) ist wie heiß baden mit Eiswürfeln. Es folgten endlose Debatten über den Begriff Terroir, angestoßen von Reinhard Heymann Löwenstein in einem FAZ Artikel von 2003.
Endlich gab es eine Diskussion, die über der Botschaft des 1971er Weingesetzes stand. Zucker, ob natürlich oder zugesetzt, sollte nicht mehr über die Qualität bestimmen, sondern der Platz und Herkunft, von dem der Wein stammte. Es war die Geburtsstunde von großen und ersten Gewächsen, denen eine jahrzehntelange Diskussion über ihre Sinnhaftigkeit folgte, aber ein Stil, der seine Fans gefunden hat.
Der Journalist, der Engländer Stuart Pigott, löste mit vielen Büchern und Publikationen rund um den deutschen Wein Ende der 90iger eine wahre Euphorie aus. Nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch international. Deutscher Wein fand sich wieder vermehrt auf Weinkarten berühmter ausländischer Restaurants, vor allem den USA, und avancierte aufgrund seiner „Cool Climate Qualität“ zum Liebling der Sommeliers. Einer der großen Pioniere des Exports ist und war damals schon Ernst aka Ernie Loosen. Seine Mosel Gewächse waren auf vielen bedeutenden Weinkarten der Welt vertreten, nur in seiner Heimat sah man sie selten. Ein Zustand, der sich längst geändert hat.
Viele Winzer verzichteten ab Anfang der 2000er auf unnötigen Informations-Ballast und fanden den Weg in die Supermarktregale. Einer, der seine Botschaft besonders klar formulierte, war der charmante Pfälzer Markus Schneider. Keiner beherrscht die Geschicke des Marketings und des Vertriebes so professionell wie er. Einfache Etiketten, Rebsortenweine oder lustige Eigennamen in dicken Lettern prangten auf den Flaschen. Gleichzeitig schraubte er mit großen Investitionen in den Kellern an der Qualitätsspirale, um somit den Standard für die immer größer werden Nachfrage zu halten. Der Erfolg gibt ihm recht und Markus ist zum Vorbild für viele Nachwuchswinzer geworden.
Aber nicht auf der Flasche, sondern auch am Inhalt wird qualitativ weiterhin gedreht. Die Pioniere übergaben, manche aufgrund von Schicksalsschlägen wie Julian Huber oder Theresa Breuer, die früh zuhause einsteigen mussten, an die nächste Generation. Die neue Generation war wesentlich tiefgründiger ausgebildet, egal ob an Weinbauschulen in Davis (Ca), Montpellier oder Geisenheim. Viele haben Erfahrungen in Übersee oder etablierten europäischen Weinregionen gemacht. Das führte zwangsläufig zu anderen Ausbauweisen. Man denke an das Pfälzer Weingut von Winning und ihre sehr erfolgreichen und gekonnt im Holz ausgebauten Rieslinge um 2010. Ein Affront für viele alteingesessene.
Auch im Weingarten geht es voran. An dem noch in den 80igern belächelten Begriff „Bio“ oder sogar „Biodyn“ kommt man kaum vorbei, möchte man Spitzenqualität erreichen. Bürklin-Wolf ist ein Vorreiter seit Anfang der 90iger. Der Wissenstransfer auf allen Ebenen ist seit Anbeginn des Jahrtausends enorm gewachsen. Das Internet tut sein Übriges und hat die Weinwelt vollends „disrupted“. Sich auf seinen großen Namen zu verlassen ist brandgefährlich. Die beschauliche Weinwelt ist schneller geworden, Zeitgeist und Trends haben Einzug gehalten und die Dynamik noch beschleunigt. Der Hype und der Sekundärmarkt haben so manchen Produzenten erreicht, wie z.B. das Weingut Keller in Rheinhessen.
Doch es geht nicht nur ums große Geld. Seit einigen Jahren betritt eine wieder neue, noch jüngere Generation die Bühne. Sie scheint in manchen ihrer Ansichten noch fokussierter, risikobereiter, aber auch wesentlich entspannter zu sein. Viele haben das Klischee vom jankertragenden Winzer*in abgelegt und könnten optische Rapper oder Künstler sein. Sie sind lebenslustige junge Menschen mit Ideen und Charisma, manche etwas verrückt und mit offen zur Schau getragener Leidenschaft für ihr Metier. Viele unter ihnen sind Frauen mit entsprechendem Selbstbewusstsein, wie die Pfälzerin Sophie Christmann oder Katharina Wechsler aus Westhofen. Sehr gerne denken wir bei Wein am Limit an eine Liveverkostung mit Katharina Raumland und die großartigen Sekte aus Rheinhessen. Das war auf dem Niveau von sehr gutem Champagner. Sie ist dabei, den Betrieb ihrer Eltern gemeinsam mit ihrer Schwester Marie Luise in die neue Zeit zu führen.
Wo stehen wir heute? Deutscher Wein war nie so gut wie jetzt, er ist vielfältiger und besser denn je. Er orientiert sich an internationalen Standards und beruft sich neuerdings wieder auf Traditionen (eher in der Spitze) und weniger an Technologie. Die Vorarbeit der kantigen Pioniere und Entrepreneure von einst zahlt sich aus. Sie haben teilweise bereits an ihre Kinder und Enkel übergeben. Einige von Ihnen sind leider nicht mehr unter uns, aber sie wären stolz und zufrieden mit dem Erreichten. Wir erleben gerade einen weiteren qualitativen Peak des deutschen Weinbaus. Die Anerkennung, die er im eigenen Land erfährt, ist so hoch, wie lange nicht mehr. Sogar an den deutschen Botschaften wird seit einigen Jahren deutscher Sekt anstelle Prosecco ausgeschenkt. Wenn das mal kein Meilenstein ist.
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Autor: Hendrik Thoma