Kommentar

Die letzte Flasche!

Das letzte Hemd hat keine Taschen! So sagt man, aber mit wem würde man seine letzte Flasche oder das letzte Glas trinken? Wenn man schon nichts ins Jenseits mitnehmen darf, mit welchem Geschmack auf der Zunge soll das irdische Dasein beendet werden?

Diese, neben ein paar anderen, ist eine der am häufigsten gestellten Journalistenfragen. Ich finde sie eigentlich gar nicht so schlecht, sogar ziemlich gut. Denn sich wirklich festzulegen, dass macht kein Weintrinker gerne; denn dass diese eine letzte Flasche oder der letzte Schluck daraus die Essenz seiner Trinkerkarriere sein soll, dass würde tief in sein Innerstes blicken lassen. Ein Seelenstrip kurz vor dem Ableben … braucht kein Mensch. Doch bei dem ein oder anderen würde mich das schon interessieren. Je weiter der Horizont und die Erfahrung reichen, umso interessanter wird die Antwort. Heißt es nicht auch „in vino veritas“ und nicht „in vino quantitas“?

Die meisten mir bekannten Statements langweilen mich zu Tode und erinnern an Ausflüchte, an ein Leben, sich nie und nirgendwo outen zu wollen. Endlich dürfen Sommeliers, Weinkritiker und Connaisseurs wie Politiker rumlavieren und loten mit ihrer nonchalanten Antwort mögliche Mehrheiten aus. Aber selbst diese Herrschaften müssen ab und zu mal einen klaren Standpunkt beziehen. Das machen sie selten direkt, denn die Angst auf etwas reduziert zu werden, ist zu groß. Das kann einem später auf die Füße fallen? Wobei einem das hier sowieso nicht mehr passiert. Man hat auch kein Lieblingskind, einen Lieblingsmenschen usw., oder etwa doch?

 

Kornfeld Magazin
Wie Philippe de Rothschild eins sagte: „Es war die beste Flasche in meinem Leben, nur an das Etikett, an das kann ich mich leider nicht mehr erinnern.“ – Manchmal ist es halt die Situation, die den schönsten Moment im Leben beschreibt.

 

Nicht jeder hat das diplomatische, weltgewandte Geschick eines Philippe de Rothschild, der während des 2. Weltkrieges nach Schweden geflüchtet war. Seine Antwort auf die berühmte Journalistenfrage soll im hochbetagten Alter in etwas so gelautet haben: „Es war ein heißer Sommertag in Schweden, das ist von jeher selten und ich war in der Begleitung einer wunderbaren Frau. Wir saßen in einem Kornfeld auf einer Decke und liebten uns innig. Es war herrlich und wir hatten Wein dabei. Ich kann mich an jedes Detail dieses wunderbaren Tages erinnern, so schön und berauschend war es. Eines kann ich Ihnen auf alle Fälle sagen: Es war die beste Flasche in meinem Leben, nur an das Etikett, an das kann ich mich leider nicht mehr erinnern.“

In diesem von mir Eingangs beschriebenen Fall ist man allerdings chancenlos und es gibt keine Möglichkeit für Ausflüchte. Denn man sitzt bereits beim Fährmann Charon auf der Bank zur Fahrt über den Styx in den Hades und auf der anderen Seite des Flusses hört man den Höllenhund Zerberus bereits bellen.

 

charon fährmann
Bei der Frage was denn wohl die letzte Flasche im Leben sei, gibt es keine Ausflüchte. Ähnlich wie beider Fahrt über den Styx. (Quelle: Wikipedia)

 

„Momente der Wahrheit“ wird so etwas in der Werbung genannt. Jetzt ist es passiert … mit dem Wissen, aus dieser Nummer nicht mehr rauszukommen, muss eine Entscheidung getroffen werden. Welcher Weintrinker käme jetzt noch auf die Idee, ein Bier zu bestellen (ein paar Irre gibt es immer)? Der Zeitpunkt der Offenbarung ist gekommen. Das letzte Mal am Glas riechen und den besten Wein seines Lebens nochmals auf die Zunge bekommen. Wow, das hat was …

Falls man mir diese Frage auch irgendwann stellt, dann habe ich die passende Antwort parat; denn ich weiß ganz genau, welchen Wein ich in der „Death Row“ trinken werde, auch mit wem ich sie dann trinke. Doch das sage ich nur dem Fährmann. Denn wer Wein trinkt, der kostet Geheimnisse und dieses nehme ich mit ins Grab. Salve!

 

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