Malbec, der große Verführer
Was ist Hefe?
Die Hefesprosspilze, die auch als Hefebakterien bezeichnet werden, gehören zu den Einzellern. Und wie Einzeller so sind, schauen sie zwar auf den ersten Blick einfach aus, beeinflussen unser Leben aber auf vielfältige, ja entscheidende Weise; denn die Hefen haben uns dabei begleitet, sesshaft zu werden und Brot, Bier und Alkoholika entstehen zu lassen.
Wie machen sie das? Das ist eigentlich sehr überschaubar. Hefen, vor allem jene, die wir nutzen, also die Gattung Saccharomyces (griechisch für Zuckerpilz), verwerten Kohlenhydrate, vor allem Zucker, und betreiben einen Energiestoffwechsel mithilfe der Gärung. Während dieses Verwandlungsprozesses nehmen die Hefen den Zucker auf und geben dafür Kohlenstoffdioxid bei der Atmung und Ethanol bei der Gärung ab. Das ist der Grund dafür, dass sich beim Backen der Teig aufbläht, und natürlich auch dafür, dass sich beim Vergären Alkohol bildet, wobei sich der Zucker abbaut. Währenddessen entwickeln sich zudem Duft- und Geschmacksmoleküle, so genannte Esterverbindungen.
Was ist eine Spontanvergärung, und geht es auch anders?
Spontanvergärung ist das, was als Vergärung auf natürliche Weise geschieht. Zum Beispiel wird euch das schnell klar, wenn ihr im Sommer in einen Obstgarten geht und am Boden liegende aufgeplatzte Früchte seht. Wenn sie dort schon länger liegen, dann haben frei herumfliegende Hefen längst damit begonnen, den Zucker der Früchte in Alkohol umzuwandeln. Genau das passiert im Weinkeller, wenn die überall vorhandenen Hefen damit beginnen, angequetschte Trauben zu bevölkern. Es können am Anfang wenige Hefen sein, doch sie vermehren sich explosionsartig. Am Anfang sind es auch verschiedene Hefearten, die dort tätig sind. Zum Schluss bleibt jedoch immer die Saccharomyces cerevisiae übrig, die sogenannte Bierhefe. Sie führt die Gärung zu Ende. Die anderen Arten sterben bei zunehmendem Alkoholgehalt ab.
Anders vergärt man, wenn man sogenannte Reinzuchthefen nimmt. Die sind Ende des 19. Jahrhunderts erstmals von Hermann Müller-Thurgau, der heute vor allem wegen der nach ihm benannten Rebsorte bekannt ist, aus der Saccharomyces cerevisiae entwickelt worden. Sie haben zusammen mit einer damals ebenfalls entstandenen neuen Mikrofiltertechnik für eine Revolution in der Weinherstellung gesorgt; denn plötzlich war es möglich, in großem Stil sehr sauber und kontrolliert vergorene Weine herzustellen.
Warum gibt es Diskussionen zum Thema Spontanvergärung und Reinzuchthefe?
Für die Verfechter des Terroir-Gedankens muss ein Wein spontan, also ohne Zugabe von Hefen vergären. Die Hefen, die sich im Weinberg und im Keller befinden, spiegeln für diese Winzer auch das Besondere des Ortes wider, der sich im Wein ausdrücken soll. Dafür nehmen sie auch in Kauf, dass eine solche Gärung oft viel länger dauert. Sie werfen den Hefe-Entwicklern vor, dass sie mit heute über 100 verschiedenen Zuchthefen den Geschmack der Weine deutlich verändern und ihn bestimmten Kundenwünschen anpassen. Zum Beispiel bieten einige der großen Getränketechnologie-Unternehmen Hefen an, die aus einem Sauvignon blanc einen Marlborough-Sauvignon mit Noten von Maracuja und frisch geschnittenem Gras machen. Auch für die typischen Bananen-Aromen im Beaujolais Nouveau gibt es eigene Hefen und für vieles mehr.
Die Vertreter der Reinzuchthefen dagegen schätzen den präzisen Gärverlauf mit den Reinzuchthefen. Gerade bei sehr kühlen Gärtemperaturen, bei sehr zuckerreichen Mosten oder auch bei der Versektung ist eine Gärung mit Reinzuchthefen viel einfacher zu handhaben. Und man kann mit Hefen, Enzymen usw. Mängel überschminken, die durch den Massenanbau oder auch durch den exzessiven Einsatz chemischer Mittel im Weinberg entstanden sind. Auch kann man Mängel im Most, wie z.B. fauliges Rebmaterial oder andere Beeinträchtigungen des Geschmacks ausgleichen.
Es gibt allerdings auch Zwischenlösungen. Manche Winzer nehmen die vielen Hefestämme aus ihren eigenen Weinbergen und lassen sich daraus eine eigene Hefe züchten. Andere gären spontan an und führen die Gärung später kontrolliert mit neutralen Zuchthefen durch. Ein Winzer aus der Wein-am-Limit-Familie, Peter Vindig Diers, der heute auf Sizilien lebt, war einer der Ersten, der den Zusammenhang zwischen Herkunft (Terroir) und Spontangärung herstellte. Das war 1985. Für seine Forschung wurde er in die angesehene Academie du Vin de Bordeaux aufgenommen.
Wie entstehen Probleme mit Hefen, zum Beispiel ein Hefe-Böckser, Mäuseln oder „Brett“?
Die Spontangärung ist ein komplexer Prozess, bei dem viele Hefen eine Rolle spielen. Manche möchte man dort gar nicht haben. Bekommt man eine Hefe wie Brettanomyces bruxellensis in die Gärung, dann hat man nachher den Geruch und Geschmack von Bauernhof, Stall und Pferdeschweiß im Wein. Das ist dann der sogenannte Brett-Ton. Den bekommt man aus dem Wein nicht mehr heraus. Ist er sehr stark vorhanden, dann spricht man bei Brett von einem Weinfehler. Es gibt aber viele Winzer, auch solche angesehener Weingüter, die sich immer ein Fass aufbewahren, das von Brettanomyces bruxellensis befallen ist, aus dem sie dann eine kleine Menge dem fertigen Wein beigeben, weil sie diesen bestimmten charaktervollen gôut in ihrem Wein nicht missen möchten. Bei einem Wein vom Château Palmer etwa kann man das sehr gut nachvollziehen. Diese Weine hatten gerade in den 1990er Jahren immer ein leichtes Brett-Aroma, das dem dortigen Weinmacher genauso gut gefiel wie der Sweet Spot beim damaligen Supermodel Cindy Crawford.
Andere Hefen, zum Beispiel solche aus der Gattung Hanseniaspora, sorgen gerne mal für flüchtige Säuren, also für den sogenannten Esterton. Ein weiterer Fehlton ist der Böckser, der an ein Aroma von faulen Eiern, Zwiebeln und gekochtem Kohl erinnern kann oder an den Geruch eines Ziegenbocks – daher der Name. Diese Note bilden Hefen während der Gärung aus schwefelhaltigen Aminosäuren, Sulfiten oder Sulfaten. Das kann durch eine zu starke Schwefelung, durch die Vergärung von Resten von Pflanzenschutzmitteln oder durch zu hohe Gärtemperaturen geschehen. Diese Noten können sich verstärken, wenn der Wein reduktiv, also luftdicht reift. Der Böckser kann sich jedoch im Laufe der Zeit abbauen. Und wenn man einen solchen Wein öffnet, dann sollte man ihn unbedingt in eine Karaffe schütten. Oftmals verfliegt der Böckser dann.
Nicht abbauen dagegen wird sich das sogenannte Mäuseln. Diese Note erinnert an Mäusepisse bzw. Ammoniak und ist ein schwerer Weinfehler, der auch durch Brettanomyces in Verbindung mit Stickstoffverbindungen entstehen kann. Das Mäuseln entsteht gern in besonders heißen Jahren und bei der Herstellung von Schaumweinen, wenn der zugegebene Zucker (Dosage) während der Autolyse mit Aminosäuren reagiert.
Und was ist nun Autolyse?
Als Autolyse bezeichnet man den Vorgang, wenn sich bei der Flaschengärung von Schaumweinen oder bei der langen Lagerung von Weißweinen auf ihren eigenen Hefen irgendwann die abgestorbenen Hefezellen auflösen. Dabei werden Aminosäuren und Mannoproteine freigesetzt. Das heißt, dass die abgestorbenen Hefen, die sich im Wein auflösen, für einen besonderen Geschmack sorgen, der an Hefeteig oder Brioche erinnert. Ihr kennt das vielleicht von gereiften Champagnern, bei denen man sehr oft davon spricht. Ihr könnt das aber auch sehr gut in unseren Fio-Weinen von der Mosel nachvollziehen; denn diese reifen über Jahre hinweg auf ihren eigenen Hefen und auf den Hefen der Vorjahre.
Haben Bâtonnage und sur lie etwas mit Autolyse zu tun?
Ja, in der Tat; denn die Bâtonnage ist ein Prozess, bei dem die Hefe in einem Weißweinfass immer wieder aufgerührt wird. Dadurch wird der Wein voller, also hefiger wie auch cremiger. Bei einem Verzicht auf die Bâtonnage würden sich also weniger abgestorbene Hefezellen auflösen. Das lange Lagern auf der Hefe nennt man sur lie, also auf der Hefe. Es ist ein Begriff, der in manchen Regionen auch als Qualitätsbegriff gilt. Die bekannteste Region ist Muscadet de Sèvre et Maine sur lie oder beim Gutedel in Baden, der den Marketingnamen Chasslie erhalten hat. Im Deutschen lautet der völlig unromantische Begriff für sur lie sonst schlicht Hefesatzlagerung.
Reifen Weine mit Hefesatzlagerung besser?
Es gibt verschiedene Formen der Hefesatzlagerung. Insgesamt aber kann man davon ausgehen, dass Weine, die lange auf ihrer eigenen Hefe lagen, stabiler sind und ein längeres Leben vor sich haben als Weine, die schnell von Hefesatz entfernt und filtriert wurden. Die Weine sollten allerdings komplett durchgegoren sein, bevor sie auf der Hefe lagern; denn sonst kann es zu Nachgärungen kommen. Normalerweise lagern die Weine so lange im Fass, bis der meiste Trub sich abgesetzt hat und die Weine recht transparent sind. Werden sie früher gefüllt, dann können die auch trüb sein, oder es setzt sich irgendwann ein leichtes Depot in der Flasche ab, was jedoch kein Problem darstellt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Weine, die auf der Hefe reifen, deutlich ausdrucksstärker und komplexer sind und erstaunlicherweise auch länger frisch wirken. Nur wenn die Hefe allzu oft aufgerührt wird, können die Weine irgendwann etwas zu üppig sein.
Und was sind Flor-Hefen?
Die sogenannten Flor-Hefen heißen so, weil sie irgendwann auf dem Wein tatsächlich eine oft zentimeterdicke Schicht bilden, was man im Spanischen als flor bezeichnet. Diese Hefen (für die, die es genau wissen wollen, es sind Saccharomyces bayanis, capensis, cheriensis, fermentati, montulensis oder rouxii) sorgen zunächst dafür, dass sie ohne Sauerstoff aus Zucker Alkohol erzeugen, dann aber irgendwann den Gang umschalten und aus Alkohol und Sauerstoff den bekannten wachsartigen Belag auf einem Wein bilden können. In machen Weinkellern sind diese Hefen ausdrücklich erwünscht. Das gilt etwa für Sherry, der unter der Flor-Schicht reift und der auch durch diese Florschicht besondere Aromen, zum Beispiel von unreifen Walnüssen, entwickelt. Genauso ist es mit den Vins Jaunes im Jura, wie wir sie vom Château d’Arlay anbieten. Im Jura ist es aber üblich, dass die Weingüter oxidierte und unter Flor gereifte Weine und nicht oxidierte Weine anbieten. Daher besitzen die Weingüter immer zwei Keller, damit die Flor-Hefen nicht in großen Massen in die „normalen“ Weine gelangen. Und doch erhalten auch diese den besonderen Jura-Geschmack.
Die Hefe – ein Fazit
Brett und Flor zeigen auf besondere Weise, wie deutlich sich Hefen auf den Geschmack des Weins auswirken können. Doch das sind extreme Formen. Etwas weniger extrem sind die Noten, die in manchen Kellern durch Spontanvergärung entstehen und die manchmal – vor allem bei Riesling – auch schon mal ein wenig an Autowerkstatt und Petrol erinnern können neben all den Böckser- und Krautnoten, die ebenfalls entstehen können und die man vor allem auch bei Weinen findet, die als vins naturels deklariert werden und von Leuten gemacht wurden, die zu wenig Ahnung hatten. Denn gerade wenn man auf zugesetzten Schwefel im Wein verzichtet (siehe unseren Artikel dazu), muss eine Gärung sehr sauber verlaufen. Mit Spontangärung ist das einfach schwieriger und erfordert u. a. hervorragendes Lesegut.
Hefen sorgen nach heutigem Erkenntnisstand für rund 400 von 800 Molekülarten, die man bisher im Wein entdeckt hat. Und insofern beeinflussen sie sowohl den Duft als auch den Geschmack des Weines erheblich. Eine Winzerin meinte einmal, dass es doch viele Weinliebhaber gebe, die den oben erwähnten Duft von spontan vergorenem Riesling so sehr mögen, dass, gäbe es diese Hefen nicht, eine Reinzuchthefe entwickelt worden wäre, die genau wie Spontanvergärung röche – für die Winzer wäre das, wie wenn eine Frau einen Orgasmus vortäuschte. Hefen können also extrem manipulativ eingesetzt werden oder ganz rein sein, recht neutrale Auswirkungen haben oder auch tatsächlich einen bestimmten Ort in gewisser Weise widerspiegeln. Zum Beispiel ist es so, dass Weinberge, in denen eine hohe Biodiversität herrscht und beispielsweise Obstbäume zwischen die Reben gepflanzt sind, eine deutlich höhere Vielfalt an Hefestämmen aufweisen. Und das wirkt sich ganz sicher auf den späteren Wein aus, wenn er spontan vergoren wird. Neutrale Reinzuchthefen haben ihre Vorteile, aber trotzdem bevorzugen wir das Spontane. Es passt einfach besser zu unserem Credo, Wein am Limit zu erzeugen und auch Weine, die nicht nur handgemacht sind, sondern so unverfälscht wie möglich den Ort ihrer Entstehung und den Charakter des Winzers widerspiegeln. Ohne Hefen, wäre das nicht möglich. Ohne Hefe, hätten wir keinen Genuss.