Rebsorten

Jura – Hype und Wirklichkeit

Jura ist in den Augen vieler Wein-Nerds in den letzten Jahren ein geradezu mythischer Begriff geworden. Jura ist besonders, Jura ist anders. Aber weshalb eigentlich? Wir schauen uns diese französische Region und ihre Weine mal etwas genauer an und verraten außerdem, wie wir an unser Jura-Weingut gekommen sind.

Die Suche nach Ecken und Kanten

Es gibt auch beim Wein wie bei anderen Themen immer Bewegungen und Gegenbewegungen. Beim Wein bestand die Bewegung in den letzten zwei Jahrzehnten sicher in der großen Aufmerksamkeit, die Robert Parker und seine Wein-Bewertungen bekommen haben. Parker-Punkte sind eine Macht in der Weinwelt geworden und haben viele Winzer und Weingüter dazu veranlasst, die Stilistik ihrer Weine in Richtung Parker-Geschmack zu optimieren. Dadurch sind die Weine ganzer Appellationen voller, konzentrierter, runder und schwerer geworden. Gleichzeitig hat sich die Kellertechnik immer weiterentwickelt, sodass der Durchschnittswein heute so gut ist wie nie zuvor. Allerdings ist er auch in gewisser Weise glattgebügelt, hat also mehr oder weniger von seinem Charakter eingebüßt.

Weil das so ist, gibt es Weinhändler wie uns, die Alternativen anbieten. Auch bei uns sind die Weine selbstverständlich sauber vinifiziert, aber wir bevorzugen nicht das Runde und Glatte, sondern wir suchen Weine mit Ecken und Kanten – eben mit Charakter. Auf dieser Suche sind wir keineswegs allein; denn es gibt eine bemerkenswerte Gegenbewegung von Weinliebhabern in diese Richtung. Auch das, was als Naturweinszene bezeichnet wird, ist Teil dieser Gegenbewegung. Und diese Szene bildet eine Schnittmenge mit den Liebhabern von Jura-Weinen; denn die Weine aus dem Jura haben genau diesen besonderen Charakter. Diese Weine gefallen nicht jedem. Aber wer das Besondere an Jura-Weinen mag, der kann ihnen sehr schnell verfallen.

Die komplette Range von Château d'Arlay
Die komplette Range von Château d’Arlay

Aufstieg und Fall einer Region

Die Weingeschichte des Jura hat etwas Tragisches. Lange Zeit waren die Weine äußerst beliebt, und das seit den Zeiten der Römer bis ins 19. Jahrhundert. Der Jura war reich, weil es dort Salz gab – das weiße Gold des Mittelalters. Das Gebiet war als Franche-Comté lange Zeit im Besitz burgundischer Adelsfamilien. Und die schätzten die dortigen Weine genauso, wie es Päpste und Könige taten. Bis ins 19. Jahrhundert hinein wuchs der Weinbau bis auf 20.000 Hektar. Heute allerdings sind es nur circa 2.000 Hektar. Dieser Beinahe-Zusammenbruch des Jura-Weinbaus hat viele Ursachen. Es beginnt mit dem Einzug der Technisierung Mitte des 19. Jahrhunderts und dem Bau der ersten Eisenbahnlinie vom Süden Frankreichs in die Metropole Paris.

Die Weine aus dem Languedoc und dem Roussillon waren günstiger als die aus dem Jura, zudem kräftiger, alkoholstärker und voller. Es machte sie also attraktiver als die eher leichten und hellen Weine des Jura. Zudem gab es im Jahr 1852 den ersten flächendeckenden Befall mit Oidium, dem Mehltau. 1879 wurden die ersten Rebläuse entdeckt, 1884 die Peronospera, der falsche Mehltau, 1886 die Schwarzfäule. 1892 war der gesamte Jura von Rebläusen befallen. Während im übrigen Frankreich die Weinbauflächen nach der Reblausplage um 23 % zurückgingen, waren es im Jura 62 %. Die Weltkriege und Wirtschaftskrisen taten das Ihrige, und zurück blieben nur einige wenige Nebenerwerbswinzer und ein paar Genossenschaften. Jura war out und verschwand fast vollständig von den Weinkarten der Gastronomie.

Traubenlese Anfang des 20. Jahrhunderts auf Château d'Arlay
Traubenlese Anfang des 20. Jahrhunderts auf Château d’Arlay

Der langsame Wiederaufstieg

Der langsame Wiederaufstieg des Jura hat viel mit einigen wenigen Personen zu tun. Dazu gehört sicher Henri Maire. Dessen Familie stammt aus dem Jura, er selbst war aber in Paris aufgewachsen und hatte dort gute Kontakte. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog es ihn allerdings in den Jura, und er gründete 1945 seinen ersten Weinhandel. Maire kaufte sodann verschiedenen Winzern insgesamt rund 45 Hektar Rebflächen ab und begann damit, Vin Jaune, den bekanntesten Wein des Jura, zu vinifizieren. Maire war ein Marketing-Genie, und er brachte den Vin Jaune, den er Vin Fou nannte, wieder in die besten Pariser Restaurants.

Neben Maire waren es sicher die Köche André Jeunet und Jean-Paul Jeunet, die im kleinen Arbois eine Sterne-Küche etabliert hatten und Feinschmecker in den Jura lockten. Unter den Winzern waren es Pierre Overnoy und Jean Macle, welche die Grundsteine für eine neue Sicht auf den Jura legten. Pierre Overnoy gilt heute als einer der ersten Naturweinwinzer, die so wenig wie möglich in den Entstehungsprozess des Weines eingreifen. Jean Macle hat aus seinen Weinen des Château Chalon Weine mit Grand-Cru-Status gemacht.

Fass mit Florhefe
Fass mit Florhefe – Foto: Wikipedia

Jura-Kalk, Savagnin und Hefen

Doch was ist eigentlich das Besondere am Jura-Wein? Da ist zum einen der Jura-Kalk-Boden, den man auch aus dem Burgund kennt. Er liefert die Basis für besonders langlebige und lebendige Weine. Da sind zum anderen neben Chardonnay und Pinot noir die eigenen Rebsorten des Jura. Davon hat es früher sehr viele gegeben. Doch die meisten sind mit der Reblausplage so gut wie ausgestorben. Der Jura galt als Schatzkammer besonderer Sorten, und früher fand man im weißen Bereich neben Chardonnay die Sorten Savagnin, Gueuche blanc, Fariné blanc, Chasselas blanc, Melon, Meslier blanc, Pourriseux, Aligoté Poulsard blanc, Gamay blanc und Cinquien. Im roten Bereich gab es neben dem Pinot noir vor allem Poulsard und Trousseau, Mondeuse, Enfariné, Gamay noir, Meunier und ein gutes Dutzend weiterer Sorten, die man heute kaum noch kennt. Übrig geblieben sind tatsächlich nur Chardonnay und Pinot noir, Savagnin, Poulsard und Trousseau.

Auch das birgt eine leichte Tragik. Aber immerhin, mit Savagnin, Poulsard und Trousseau findet man im Jura sehr eigene Rebsorten, von denen der Savagnin am bekanntesten ist. Soweit man heute weiß, ist der Savagnin so etwas wie der Urtyp des Traminers, der sich vom Jura aus nach Mitteleuropa verbreitet hat. Das eigentlich Besondere am Jura aber ist die Tradition der le voile. Die Rede ist von der Hefeschicht, unter der bestimmte Jura-Weine reifen. Diese Hefeschicht entspricht in etwa jener, die man vom Sherry kennt und die dort flor genannt wird. Sie bildet sich auf dem Wein, wenn die Fässer nicht immer wieder neu aufgefüllt werden. Immerhin verdunstet ja im Holzfass pro Jahr ein gewisser Teil des Weins. Damit dieser nicht oxydiert, wird aufgefüllt. Unterlässt man es, wird die Kontaktfläche von Wein und Luft immer größer. Und im Jura kommt die Hefeschicht dazu, die den Wein einerseits schützt, ihn andererseits aber auch geschmacklich beeinflusst.

Der Vin Jaune wird traditionell in 625ml fassenden Clavelin-Flaschen abgefüllt
Der Vin Jaune wird traditionell in 620ml fassenden Clavelin-Flaschen abgefüllt

Vin Jaune

Der bekannteste Wein, der in dieser Art reift, ist der Vin Jaune, früher als Vin de Garde bezeichnet. Dieser Wein fällt schon durch sein Äußeres auf; denn er darf nur in einer bestimmten Flaschenform mit bestimmter Größe veräußert werden. Die geduckte Flasche nennt sich Clavelin, und in ihr befinden sich exakt 620 ml. Diese Maßangabe hat sich daraus entwickelt, dass der 100 %ige Savagnin, der sich darin befindet, nach der Gärung über sechs Jahre und drei Monate im Fass reifen durfte, ohne dass mit ihm noch irgendetwas passiert wäre. In dieser Zeit verdunsten knapp 40 % des Weines, was dem entspricht, was von einem Liter übrigbleibt, um eine Clavelin zu füllen.

Diese Art der Weinbereitung sous voile hat den Jura-Wein berühmt gemacht. Der komplett trockene Wein mit den markanten Nussaromen und einer großen Komplexität passt übrigens ganz hervorragend zu einem weiteren Hochgenuss der Gegend, dem Comté, der überwiegend in kleinen Käsereien hergestellt wird. Und hier gilt, je älter der Vin Jaune, desto länger gereift darf auch der Comté sein. Vin Jaune wird unter den Appellationsnamen Côtes du Jura, Arbois, L’Etoile und Château-Chalon angeboten.

Ouillage - Verdunsteter Wein wird wieder aufgefüllt
Ouillage – Verdunsteter Wein wird wieder aufgefüllt

Ouillé ou non ouillé?

Unter den anderen Weißweinen der Gegend gibt es zwei Richtungen. Die traditionelle ist die der Weine, die sous voile, tradition, typé oder non ouillé vinifiziert wurden. Das sind Savagnin, Chardonnay oder eine Cuvée beider Sorten, die ebenfalls unter der Florschicht gereift sind, allerdings nicht so lange wie ein Vin Jaune. Die Weine, die den Zusatz ouillé oder floral auf dem Etikett tragen, wurden reduktiv, also ohne größere Mengen an Sauerstoff und ohne Florschicht ausgebaut. Trotzdem meint man auch ihnen einen ganz leichten Touch dieser Hefe-Jura-Note anzumerken.

Marc du Jura - Ein Tresterbrandspezialität aus dem Jura
Marc du Jura – Eine Tresterbrandspezialität aus dem Jura

Crémant, Macvin und Vin de Paille

Neben den klassischen und oxydierten Weißweinen findet man im Jura klassische Rotweine, Rosés und viel Crémant, bei dem alle fünf heutigen Jura-Rebsorten Verwendung finden können. Auch beim Macvin dürfen alle Rebsorten verwendet werden. Der Macvin ist ein aufgespriteter Wein, bei dem die Gärung mit Tresterbrand vom selben Weingut gestoppt wird. Es ist also ein Likörwein, der mindestens 14 Monate im Holzfass ausgebaut werden muss.

Noch länger, nämlich 18 Monate, reift ein Vin de Paille, ein Strohwein im Fuder. Die hochreifen Trauben für diesen Wein müssen mindestens sechs Wochen in unbeheizten, gut durchlüfteten Räumen auf Strohmatten oder in kleinen Boxen gelagert werden, bevor sie vergoren werden.

Besuch auf Château d'Arlay
Besuch auf Château d’Arlay

Wie wir zu unserem Weingut kamen

Anfang 2017 waren wir ein verlängertes Wochenende in Paris unterwegs, nicht zuletzt deshalb, weil wir endlich einmal in dem weltberühmten Restaurant L’Ambroisie essen gehen wollten. Uns fiel damals der 2001er Vin Jaune des Château d’Arlay auf. Wir kannten den Namen schon, hatten auch hier und da schon einmal Weine des Châteaus probiert. Doch in Deutschland gab es die Weine damals nicht. Was wir erlebten, war ein Feuerwerk an Aromen, und das zu so gut wie jedem Gang, den man uns vorsetzte. Besonders zum gerösteten Bressehuhn, das ja ebenfalls aus der Gegend stammt, war der Vin Jaune ein Gedicht.

Also haben wir uns noch in Paris entscheiden, bei Comte Alain de Laguiche, dem Besitzer des Château d’Arlay, anzufragen und ihn zu besuchen. An diesem Besuch war alles faszinierend – die Gastfreundschaft der Familie, die Besichtigung des Schlosses und der uralten Weinkeller, die Arbeit in den durchschnittlich 50 Jahre alten Weinbergen und natürlich die Weine, die in Frankreich einen legendären Ruf genießen und ganz hervorragend altern. Wir waren uns schnell einig und sind natürlich glücklich, ein solch renommiertes Jura-Weingut in unserem Programm führen zu dürfen.

Austern, Bresshuhn und Comte
Austern, Bresshuhn und Comte

Traditionell und modern zugleich

Jura wird gehypt, und in den meisten Fällen können wir das sehr gut nachvollziehen. Es gibt eine große Zahl sehr etablierter Winzer oder deren junge Nachfolger, die in dieser einzigartigen Gegend großen Stoff in die Flasche bringen. Dabei fallen diese Weine aus allen gängigen Klischees heraus. Sie tragen viel Tradition in sich, wirken oft archaisch, und genau das macht sie wieder modern, weil sie eben nicht den gängigen Denkmustern vom heutigen Wein entsprechen.

Sie sorgen im besten Fall dafür, dass man sein Denken ein wenig verändert, sich öffnet und sich auf diese Vielfalt an Aromen und Texturen einlässt. Dabei sind diese Weine, so ganz nebenbei angemerkt, hervorragende Tischweine, die weit mehr als ein Bressehuhn und einen Comté begleiten können. Für uns sind die Weine großes Kino, und eine Flasche Vin Jaune wird zu Weihnachten sicher dran glauben müssen. Mindestens eine.

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