Allgemein

Ein guter Weinjahrgang - Was steckt dahinter?

Wer hat ihn nicht gesehen? Den legendären Hollywood Film „Ein gutes Jahr“ von Sir Ridley Scott mit Russell Crowe und Marion Cotillard in der Hauptrolle. Neben den schönen Bildern aus der romantischen Provence stehen in diesem Streifen die Liebe und das Erbe im Vordergrund, der Wein spielt eine untergeordnete Rolle. Er bleibt Statist.

In der Vorlage zum Film, dem Buch von Sir Peter Mayle, spielt der Wein eine zentralere Rolle und entlehnt sich im weitesten Sinne der Methode, des im 19. Jahrhundert üblichen „Hermitagisée“, dem aufpimpen von Bordeaux Weinen mit kräftigen Rhôneweinen. Das führte zu größerer Haltbarkeit, vor allem zu mehr Frucht und Körper, sprich Alkohol. Der Begriff fand sich damals sogar auf der Flasche wieder, wurde also nicht kaschiert. In der Novelle und im Film wird der „le Coin perdu“ als teurer Bordeaux für 40.000$ verkauft, seinen Ursprung hatte er aber in der Provence, die bekanntlich für Roséwein steht.

 

Ein gutes Jahr - DVD und Roman
Ein gutes Jahr – Der Film von Sir Ridley Scott basiert auf der Romanvorlage von Peter Mayle. Einer der bekanntesten Weinfilme, die in Hollywood produziert wurden. Eine Ode an die Liebe zur Provence und zum Wein. Quelle: https://www.bonaventura.blog/2007/ein-guter-jahrgang-ein-gutes-jahr/

Welche praktische Bedeutung hat der Jahrgang eines Weines?

Womit wir beim eigentlichen Thema dieses Beitrags wären, im Grunde einem anderen, wesentlich intransparenten: dem Jahrgang und seiner Bedeutung. Denn der Flascheninhalt kann trotz Angabe auf dem Label von 75-95 % variieren. Er bezieht sich auf das Jahr, in dem die Trauben gelesen wurden. Dabei handelt es sich nicht um Panscherei, wie jetzt vorschnell unterstellt werden kann. Häufig geht es um pragmatische Lösungen, wie das Auffüllen aka das spundvoll halten der Barriques, um den jährlichen Verdunstungsschwund von 3-5% auszugleichen. Als Beispiel führe ich das Weinbauland Kalifornien an. 95% vom Jahrgang sind Pflicht bei kalifornischen Weinen aus einer Herkunftsregion oder Subregion (z.B. Napa Valley oder Stag‘s Leap District), der so genannten American Viticultural Area, kurzum AVA. Bei der Bezeichnung „California“ auf dem Etikett sind es dann nur noch 85%, so wie in Deutschland (gilt auch für Lage und Rebsorte). In Chile sind es nur noch mindestens 75% vom Jahrgang. Das wäre in D auch noch möglich, aber nur für Weine mit Süßreserve.

 

Gesetzliche Herkunftsbezeichnung
Diese Tabelle gibt eine Übersicht über die Top-Wein-am-Limit-Weinländer und ihre gesetzlichen Anforderungen zur Jahrgangsdeklaration. Quelle: eigene Darstellung

 

Natürlich halten sich, unserer Erfahrung nach, die meisten Produzenten an die 100% Regel, aber es ist vom Gesetzgeber nicht vorgeschrieben. Somit bleibt ein Gestaltungsfreiraum, den nur das geschulte Kundenauge wahrnimmt. Einige halten sich deswegen an Jahrgangstabellen. Denn wer schafft es heute Schritt mit der globalen Entwicklung im Weinbau zu halten? Richtig, niemand, noch nicht mal die Experten. Ich nenne diese Tabellen auch die Genuss-Guillotinen des Weins, weil sie selten auf die Individualität der Subregionen oder des Produzenten eingehen und dem Versprechen auf mehr Spaß im Glas kaum gerecht werden (können).

 

Jahrgangstabelle
Die klassische Jahrgangstabelle – Eine Guillotine für den passionierten und ambitionierten Weingenießer.

Der Grad der Handwerklichkeit und der Klimawandel sind wichtige Faktoren für die Jahrgangsqualität

Nicht umsonst gibt es das alte Sprichwort in Bordeaux: „Ja, es hat geregnet, aber nur auf die Reben des Nachbarn!“ Ich kenne Winzer, die haben in kleinen Jahrgängen fantastische Weine gekeltert, manche unter ihnen sogar bessere Weine als in berühmten Jahrgängen. Natürlich spielt der Jahrgang eine Rolle, vor allem im marginalen Klima (Weinbau am Limit), aber nur in einer differenzierteren Betrachtung, in erster Linie für Spitzenweine. Im 80 km langen Napa Valley gibt es 5 Klimazonen von kühl bis heiß. Deswegen wachsen hier von Pinot Noir, Syrah, Merlot bis Cabernet Sauvignon einige bedeutende Sorten mit unterschiedlichen Anforderungen. Ein großes Cabernet Jahr, muss noch lange kein großes Pinot Noir Jahr sein, oder umgekehrt.

Bis Anfang der 2000er galten heiße oder warme Jahrgänge als großartig. Heutzutage überraschen die kühlen Jahrgänge, vor allem, weil sie manchmal genauso lange halten, meistens sogar mit einem besseren „Trinkflow“ ausgestattet sind. Der Geschmack der Kunden ändert sich, das Wetter sowieso und die Vorlieben der internationalen Verkoster und damit deren Bewertungen auch. Für die Journalisten waren und sind Jahrgänge, vor allem die mit einer dichten Frucht und außergewöhnlicher Qualität über alle Appellationen und Klassifikationsstufen hinweg, z.B. in Bordeaux oder Burgund, ein Wesensmerkmal eines großen Jahres. Das ist nachvollziehbar, aber nur eine Tendenz. Mehr nicht.

Die komplexe Beurteilung der Qualität eines Jahrgangs und die gefühlte Wahrheit

Wenn demnächst in der Headline der deutschen Medien mal wieder von einem außergewöhnlichen Weinjahr gesprochen wird, dann bezieht es sich häufig auf eine reichhaltige Erntemenge mit einer besonderen Qualität, vor allem natürlich gebildetem Zucker, dem Mostgewicht. Es wird viel gleichgesetzt mit guter Qualität und diese Botschaft kommt beim deutschen Verbraucher an.

 

Headline BILD Zeitung
Eine Headline von der größten Tageszeitung Deutschlands. Doch welche Aussagekraft hat dieses Statement? Quelle: https://www.bild.de/

 

Darüber hinaus hat jeder Mensch seine eigene gefühlte Wahrheit, nicht erst seit Facebook & Co. Häufig höre ich: „Oh, es war ein heißer Sommer, das wird sicherlich ein großer Weinjahrgang!“ In Zeiten des Klimawandels werden wir alle wetterfühliger, aber nicht zwangsläufig wissender. Hitze bedeutet häufig Stress, vor allem Trockenstress, für die Reben. Der seit Beginn der Wetteraufzeichnung damals heißeste Sommer aller Zeiten war 2003 in Zentraleuropa. Es war auch der erste in dem viele in der Weinbranche merkten: Hier ändert sich grundlegendes. Nur wenige Winzer konnten damals mit den krassen Temperaturen gut umgehen.

Gegen einen großen steht der Wein aus einem kleinen Jahrgang. Snobs benutzten früher den Ausdruck „Gastronomie-Jahrgang“. Dieser kann, zur richtigen Zeit getrunken, noch mehr Freude bereiten als ein brachialer Klopper aus einem berühmten Jahr, der zu jung konsumiert wird.

 

Mehr Transparenz im Umgang mit dem Weinjahrgang: Das erfolgreiche Projekt Atomo bei Wein am Limit

Jemand, der aus der Wein am Limit Familie sehr transparent mit dieser Thematik umgeht, sind Alejandra Reid und Malik El Khoury mit ihrem Projekt „Atomo“. Sie blenden nicht nur Wein von unterschiedlichen Produzenten, Sorten und Regionen, sondern auch ganz bewusst aus unterschiedlichen Jahrgängen. „Da es sowieso häufig beim Blending passiert, schreiben wir es gleich auf das Etikett!“ Ihr Wein schmeckt köstlich, darauf kommt es den beiden an. Nicht jeder Kunde ist von dieser Transparenz begeistert. Die Wahrheit kann wehtun.

 

Atomo Wines
Atomo Wines – Das Projekt von Alejandra und Malik. Sie haben sich dem Blending auf allerhöchstem Niveau verschrieben. Hier werden mehrere Jahrgänge vereint, um eine Harmonie entstehen zu lassen. Anfang 2022 waren sie zu Besuch bei Wein am Limit.

 

Dann gibt es noch die Weine, bei denen das Blenden unterschiedlicher Jahrgänge eine lange Tradition hat. Allen voran in der Champagne, einer kühleren Region mit großen klimatisch bedingten Jahrgangsunterschieden. Um den geschmacklichen Standard zu halten, werden die Non Vintage Cuvées mit Reserveweinen aus dem aktuellen Jahrgang geblendet. So erhält sich der Stil des Hauses, an den der Kunde sich gewöhnt hat. Meistens sind 3-4 Jahrgänge in einer Flasche enthalten.
Wer also glaubt, dass der Jahrgang alleinentscheidend für die Qualität ist, der muss stärker differenzieren. Manche Dinge sind genauso überbewertet, wie die Headlines in der Zeitung.

Array ( )
Name des WeinesSoulfaktorPreis

Spread the Love - Teile diesen Beitrag!