Willkommen im neuen Kalifornien
Irgendwie war Australien damals cool, und diese Shiraz, die es plötzlich gab, waren das auch. Natürlich waren sie eigentlich das Gegenteil von cool, weil sie einen ordentlichen Wumms hatten und mächtig waren. Aber genau das war ja für uns das Spannende; denn europäische Weine waren eher selten mächtig. Seit dieser Zeit hat sich allerdings in der Weinwelt sehr viel verändert. Robert Parker wurde mit seinem Punkte-System populär und bevorzugte genau diesen mächtigen, konzentrierten Weinstil, den zum Beispiel die Australier so gut konnten oder auch die Kalifornier. Irgendwann beherrschten ihn auch die Top-Bordeaux-Châteaux, und uns begannen diese ganzen fetten Schnecken zunehmend zu ermüden, zumal immer offensichtlicher wurde, wie technisch die meisten dieser Weine gemacht waren. Zehn, fünfzehn Jahre später war der Australien-Hype schon weitgehend wieder vorbei, und was mal cool gewesen war, wurde sehr uncool – Mel Gibson zum Beispiel … Dafür aber betrat Cate Blanchett die internationale Bühne – ein deutlicher Stilwechsel.
Es ist ruhiger geworden um australische Weine. Es gibt immer noch eine ganze Reihe Liebhaber für klassischen Shiraz oder Cabernet Sauvignon, und man findet natürlich heute große Marken wie [yellow tail] in den Supermärkten. Dazwischen gab es allerdings lange Zeit sehr wenig zu entdecken – zumindest hierzulande. Aber auch in Australien selbst wurden die Weine der Nachfrage nicht mehr gerecht; denn auch dort hat sich in den letzten 20 Jahren viel verändert. Die australische Küche ist eine Produktküche geworden – frisch mit erstklassigen, bevorzugt regionalen Zutaten. Diese eher leichte Küche suchte nach frischen Weinen, und davon gab es einfach zu wenig australische. Mit dem Aufstieg Neuseelands und seinen aromatischen, knackig frischen Sauvignon blancs sah der große Nachbar plötzlich ziemlich alt aus. Die stolze australische wine industry war in die Jahre gekommen, es musste Veränderung her.
Weinbau seit 1822
Entstanden ist der Weinbau in Australien Anfang des 19. Jahrhunderts mit dem Schotten James Busby, der 1822 die ersten der 362 verschiedenen Rebsorten nach Australien brachte. Einige Jahre später folgten unter anderem Christopher Rawson Penfold, Johann Christian Henschke, die Beringer-Brüder und Thomas Hardy. Doch der Weinbau, der in Australien entstand, unterschied sich deutlich von dem in Europa. Es wurde vor allem aufgespriteter Wein nach Portwein-Manier erzeugt. Erst der in den 1940ern zum Kellermeister von Penfolds aufgestiegene Max Schubert hatte eine andere Vision. Da man bei Penfolds von Visionen zunächst nicht viel wissen wollte, füllte er den Wein, den er Grange Hermitage nannte, mehr oder weniger geheim ab und experimentierte zwischen 1944 und 1951 mit der Stilistik, bis er ihn offiziell vorstellte. Der Grange, wie er heute heißt, veränderte die australische Weinwelt. Es dauerte aber schließlich bis in die frühen 1990er, bis neben dem Grange weitere Weine aus down under hierzulande bekannt wurden.
Kaum bekannte Vielfalt
Die Auswahl blieb allerdings beschränkt. Die Weingüter änderten im Laufe der Jahre in Teilen ihre Stilistik, was zum Beispiel sehr gut deutlich wurde an dem Koonunga Hills Chardonnay von Penfolds, der in den 1990er Jahren sehr fett und buttrig war und viel Holzeinfluss hatte, während er heute mehr wie ein Cool-Climate-Chardonnay wirkt. Bei den Rotweinen gab es deutlich weniger Stilwechsel. Und weil das so war, fiel hier in Deutschland gar nicht auf, dass in den letzten 15 Jahren eine ganze Reihe von Winzern in Australien begonnen hatte, endlich wieder coole Weine zu machen. Und das in größeren Maße auch in einem kühleren Klima, zumal sich der australische Weinbau sowieso mit der Frage konfrontiert sieht, wie wegen des Klimawandels seine Zukunft in den traditionellen Gebieten aussehen wird. Weinbau braucht sehr viel Wasser – rund 600 bis 1.000 Liter für jede Flasche Wein.
In Gebieten, in denen es genügend regnet, ist das kein Problem. Dort, wo es aber heiß ist und es nur wenig Niederschlag gibt wie in Südaustralien, wird es allerdings zum Problem, wenn zudem die Temperaturen – wie im Januar 2019 – auf 50 °C im Schatten steigen. Die Erschließung kühlerer Gebiete gehört also auch zur Überlebensstrategie – auch für die großen Weinkonzerne. In Australien – und die Menschen in den Metropolen dort haben inzwischen ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein – ist es nicht mehr vermittelbar, für den Weinbau so hohe Wasserressourcen einzusetzen und später eine Flasche Industriewein billiger zu verkaufen als eine Flasche Mineralwasser.
Die ersten Appellationen, die neu auftauchten, gehörten zur südöstlich vor dem Festland liegenden Insel Tasmanien sowie zu den höher gelegenen Adelaide Hills, zu Orange County, Yarra Valley und der direkt am Meer liegenden Mornington Peninsula. Die Weine, die aus diesen Anbaugebieten stammten, konnte man jedoch europaweit fast ausschließlich in England trinken. In Deutschland sind bis heute kaum welche davon angekommen. Es wurde sowohl von deutscher Händlerseite wie auch von der australischen Exportseite jahrzehntelang verschwitzt, Alternativen zu den riesigen Wein-Konglomeraten bekannt zu machen. Man hat auf Uniformität gesetzt, auf ein bis zwei bekannte international funktionierende Weinstile und hat mit viel Marketing versucht, die großen Abfüller als gemütliche, traditionsbewusste Mittelständler vom Land darzustellen – etwa so, wie man es bei Jack Daniel’s Tennessee-Whiskey macht.
Um dem entgegenzuwirken, war es unsere Idee, engagierte Winzer mit kleinen Betrieben zu finden, die hands on arbeiteten und eine Alternative zu den großen Konzernen bildeten, die das Traubengut von Weinbergen zusammenführen, die teils 1.000 Kilometer voneinander entfernt sind.
Cool Climate
Damals haben wir Mike Aylward kennengelernt und mit ihm eines der spannendsten Gebiete für kühle und elegante Chardonnays und Pinots rund um Melbourne. Es ist die Mornington Peninsula, eine Melbourne und Port Philipp vorgelagerte Halbinsel quasi mit Blick auf Tasmanien, das allerdings etwa 240 km entfernt liegt und ein weiteres Cool-Climate-Gebiet ist. Wer seine Weine kennengelernt hat – zu Chardonnay und Pinot noir kommt noch ein ungewöhnlicher Pinot gris hinzu –, war immer wieder erstaunt, wie fein australischer Burgunder sein kann.
Nun sind zur Wein-am-Limit-Familie noch ein paar Mitglieder hinzugestoßen, die noch weitere Gebiete Australiens repräsentieren. Am bekanntesten sind sicher die Adelaide Hills, die man unweit der Stadt Adelaide rund um dem Mount Lofty findet. Die Hügel gehören zu den ältesten Weinbaugebieten Südaustraliens. Sie sind vor rund 500 bis 850 Millionen Jahren entstanden, sind reich an Lehm und Ton mit Sedimentgestein, Schieferverwitterung und Eisenstein. Dort findet man heute vor allem kleine Weingüter – manche sind sehr klassisch, und manche sind echte Rock’n’Roller. Zu letzteren gehören Taras und Amber Ochota, zwei sehr freie Menschen, die lange Zeit im alten Bulli mit ihren Surf-Brettern durch Kalifornien gezogen sind, um dort nicht nur die richtigen Wellen zu finden, sondern auch die richtigen Weine, und die jetzt umwerfend lebendige Weine erzeugen, die so viel Seele haben, wie wir es uns wünschen.
Unweit der Mornington Peninsula bzw. der Stadt Melbourne, nur weiter östlich Richtung New South Wales, liegt Gippsland. Da ist nicht etwa Gips im Boden, es wurde vielmehr 1840 nach dem damaligen Gouverneur von New South Wales, George Gipps, benannt. Die ländliche Region ist ziemlich flach und hat Erhebungen von gerade einmal 50 Metern, dafür ist sie aber deutlich vom Pazifik beeinflusst. Was unsere Neuentdeckung, William Downie, dort auf schwarzem Lehm und roter Tonerde an Pinot noirs zaubert, ist absolut berührend und dürfte jede Natural-Wine-Probe sprengen; denn wer würde solche naturreinen Pinots am anderen Ende der Welt erwarten?
Dass wir es geschafft haben, ein paar Kisten von Giaconda aus Beechworth, Victoria, zu erhalten, macht uns besonders glücklich. So haben wir neben den streitbaren Naturals noch einen echten modernen Klassiker unter den kleinen handwerklich arbeitenden australischen Weingütern ins Programm bekommen. Der Chardonnay gehört sicher zum Besten, was es weltweit gibt. Doch auch Pinot noir und Syrah sind zum Niederknien. Gerade einmal 112 Hektar umfasst die abgelegene Region – auf sechs Hektar entstehen diese raren Schönheiten.
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Old vines and bold wines
Dass es nicht immer Cool Climate sein muss, sondern dass auch im Barossa Valley geradezu spektakuläre Weine entstehen können, zeigt uns der Neuseeländer und Wahl-Australier Fraser McKinley. Auf gerade einmal drei Hektar entstehen dort Weine, bei denen schon die Flaschen selbst angewandte Kunst sind. Was sich den Flaschen befindet, ist zwar kraftvoll und opulent, aber gleichzeitig faszinierend vielschichtig und elegant. Eines seiner Geheimnisse ist das Terroir. Seine Flächen befinden sich in einigen der ältesten Anlagen von Barossa in der Subregion Ebenezer, wo es noch Rebstöcke aus den 1840er Jahren gibt. Diese wurzelechten Rebstöcke im Barossa-Valley verfügen über das älteste Syrah- und Cabernet-Genmaterial weltweit. Fraser selber besitzt im Hoffmann Dallwitz Vineyard 885 Stöcke aus den Jahren 1888 bis 1912 und 1.170 Stöcke von 1927. Den geringen Ertrag verarbeitet er tatsächlich so pur wie möglich und ohne irgendwelche Formen von Zusätzen, Schönungen oder Filtrierungen.
Unser Australien-Angebot deutlich zu erweitern, hätten wir früher als Wagnis angesehen. Heute sind wir froh über jede einzelne Flasche, die wir von Weingütern wie Sami Odi und Konsorten bekommen können. Denn glücklicherweise dringt es immer weiter durch, dass es in Australiens Weinwelt zwei Seiten einer Medaille gibt. Und eine dieser Seiten wird langsam, aber sicher wieder sehr cool. Ihr wisst jetzt, welche Seite gemeint ist …
Copywright Cover: Colmar Estate, Orange