Weinwissen

Die Maus im alten Wäschesack

Das Mäuseln scheint eng verbunden zu sein mit der Erzeugung von Naturwein. Naturweine zeichnen sich dadurch aus, dass man bei ihrer Entstehung so wenig wie möglich wegnimmt und so wenig wie möglich hinzufügt. Dadurch fallen Stellschrauben beim Weinmachen weitgehend weg, die sonst üblich sind; denn sie werden bei Naturwein nicht oder nur sehr zurückhaltend angewendet.

Es ist nicht das erste Mal, dass wir uns hier im Magazin mit Weinfehlern beschäftigen, siehe. Aber so ist es halt: Weinfehler kommen einem immer wieder ins Glas. Auf einen wollen wir hier besonders eingehen, weil er zunehmend häufiger erwähnt wird – manchmal zu Recht, manchmal weil er vielleicht gerade auch ein bisschen en vogue ist. Es geht ums Mäuseln, was im Englischen als Mousiness ziemlich exakt das Gleiche bezeichnet.

 

Was haben nun Mäuse mit Wein zu tun?

Erst einmal nicht viel. Es geht hier auch nicht wirklich um die kleinen Nager. Es geht eher darum, was Mäuse erzeugen. Wer schon mal Mäuse im Keller oder in der Garage hatte, wird diesen leicht scharfen, zugleich auch leicht süßlichen Geruch von Mäuse-Urin kennen. Manch einen erinnert das Mäuseln auch daran, wie es riecht, wenn man ein feuchtes Handtuch in einem Sack mit schmutziger Wäsche vergessen hat. Wieder andere erinnert das Mäuseln an eine Form von kränklicher Süße, wie sie bei unentdeckter Diabetes vorkommt, wo der Atem dann nach Azeton riecht. Andere wiederum denken an Wurstpelle oder sogar an Erbrochenes. Definitiv also ist das Mäuseln kein besonders angenehmes Aroma. Man will es im Wein nicht haben, aber man findet es in den letzten Jahren zunehmend häufiger.

Puh, wer hat das nasse Handtuch in der Wäsche versteckt?


Weshalb mäuselt es immer öfter?

Das Mäuseln scheint eng verbunden zu sein mit der Erzeugung von Naturwein. Naturweine zeichnen sich dadurch aus, dass man bei ihrer Entstehung so wenig wie möglich wegnimmt und so wenig wie möglich hinzufügt. Dadurch fallen Stellschrauben beim Weinmachen weitgehend weg, die sonst üblich sind; denn sie werden bei Naturwein nicht oder nur sehr zurückhaltend angewendet. Einer der entscheidenden Zusätze, um Wein in seiner Entstehung zu beeinflussen, ist der Schwefel. Das haben wir hier schon mal sehr ausführlich erklärt.  Noch vor zwei Jahrzehnten war die Zugabe von Schwefeldioxid (SO2) allgemeiner Standard. Doch heute gibt es eine größer werdende Bewegung, die auf SO2 verzichtet oder es erst ganz zum Schluss kurz vor der Füllung in minimalen Dosen einsetzt. Wegen des Verzichts auf SO2 taucht das Mäuseln tatsächlich häufiger auf, während man es früher fast nur aus dem Lehrbuch kannte. Dort ist die Bezeichnung Mousiness übrigens erstmalig 1894 in Johann Ludwig Wilhelm Thudichums A Treatise on Wines aufgetaucht. Das Erstaunlichste an dem Fehler ist wohl, dass man ihn so gut wie nie riechen kann. Wein mäuselt nicht, wenn man ihn im Glas schwenkt – es sein denn, er ist wirklich extrem belastet –, sondern erst, wenn man ihn am Gaumen hat.


Warum riecht es nicht nach Maus?

Das liegt vor allem daran, dass die verantwortlichen Verbindungen erst dann für Aroma sorgen, wenn sich der pH-Wert des mäuselnden Weines dem pH-Wert im Mund anpasst. Da unsere Mundflora allerdings genauso individuell ist wie der Rest von uns, nimmt jeder von uns Wein am Gaumen unterschiedlich wahr. Entsprechend gibt es Menschen, die überhaupt kein Mäuseln erkennen können, während andere sehr empfindlich sind. Das gilt übrigens auch für andere Weinfehler. Es gibt Menschen, die kaum Korkschmecker wahrnehmen, die Brettanomyces nicht als störend empfinden und auch flüchtige Säuren erst in hoher Konzentration als unangenehm bezeichnen.


Wie kommt das Mäuseln überhaupt zustande?

Um das zu erklären, wird es ein bisschen chemisch, aber ohne Chemie geht’s nicht. Mäuseln wird durch flüchtige Stickstoffbasen der Tetrahydropyridine (THP) verursacht. Diese Basen entstehen durch bestimmte Stämme von Milchsäurebakterien (die gerne an Erbrochenes erinnern) oder durch Brettanomyces-Hefen (die gerne an Landwirtschaft oder Pferdeschweiß erinnern). Wenn die Bakterien oder Hefen nun auf Fructose, Ethanol oder Aminosäuren treffen, die alle im Most vorkommen, und wenn der Wein zudem viel Sauerstoff aufnehmen kann, die Umgebungstemperatur warm ist und kein Schwefel verwendet wird, um diese Bakterien oder Hefen wieder loszuwerden, dann kann solch ein Mäuselton entstehen. All das dürfte vor allem in Weingütern passieren, die sehr natural arbeiten.

Manchmal hat man nur eine kleine Maus im Glas, manchmal ist es aber auch eine dicke, fette Ratte


Ist das Mäuseln tatsächlich nur ein Problem bei Naturweinen?

Das Mäuseln kann unter den beschriebenen Voraussetzungen entstehen, muss es aber nicht. Das ist das große Mysterium bei diesem Weinfehler. Bisher weiß man nicht genau, welche exakten Voraussetzungen zum Mäuseln führen. Abgesehen davon kann der Mäuselton auch nach Stunden, Tagen oder Wochen wieder verschwinden. Manchmal taucht er nur in einem einzelnen Fass auf, das vielleicht eine Spur zu viele Brettanomyces im Holz hatte, andere Fässer mit dem gleichen Wein im selben Keller sind aber nicht betroffen. Und noch etwas ist interessant: Pascaline Lepeltier, Sommelière und Autorin, schreibt in ihrem gerade erschienen Buch Mille Vignes, dass sie seit 2016 das Mäuseln immer häufiger in eher konventionell geschwefelten Weinen bemerkt hat. John McCarroll wirft in seinem Artikel The Wine Flaw of Our Times die Frage auf, ob das Ganze nicht noch eine andere Ursache haben könnte als den Verzicht auf Schwefel. Und er meint damit, dass wir dem Wein möglicherweise oftmals zu wenig Zeit lassen. Konventionelle geschwefelte Weine brauchen Zeit, um wieder durch den Schwefel durchdringen zu können. Schwach- und ungeschwefelte Weine wirken zwar von Beginn an offener, doch auch sie brauchen Zeit zur Entwicklung. Wenn Winzer ihre Weine zu schnell freigeben, kann es sein, dass man als Verbraucher davon einige erwischt, die sich gerade in einer schwierigen Phase befinden. Eine weitere These, die McCarroll anspricht, ist die, dass möglicherweise Trockenstress in heißen Jahren die pH-Werte in den Weinbergen so durcheinandergewirbelt hat, dass sich das auf die späteren Weine auswirkt, die dann schlicht mehr Zeit brauchen. Naturweine bilden das möglicherweise durch die Art ihrer Entstehung viel deutlicher ab als konventionelle und stärker geschwefelte Weine.

 

Was das Mäuseln nicht ist

Gerne werden heute auch andere Weinfehler zum Mäuseln hinzugezählt, zum Beispiel eine Verunreinigung mit Brettanomyces (meist als Brett abgekürzt), einer Hefe, die in Rotweinen recht häufig vorkommt und die in hohen Konzentrationen den Geruch von Tierstall, Pferdeschweiß und Landwirtschaft bewirkt. Brett kann man riechen, Mäuseln nicht. Außerdem gibt es Brett nur bei Rotweinen, das Mäuseln aber auch bei Weißweinen. Mäuseln wird auch schon mal mit Schwefel-Böcksern verwechselt, die an Knallplättchen oder an Kohl erinnern. Manch einer verwendet den Begriff auch für flüchtige Säuren oder unreife Noten von frisch gemähtem Gras. All das ist Mäuseln nicht.

Mäuseln ist defintiv kein angenehmes Aroma, manche erinnert es an Mäuseköttel, andere an kalte Leber


Was tun, wenn’s mäuselt?

Wem ein mäuselnder Wein unterkommt, der möge seinem Händler oder dem Winzer Bescheid geben. Im Zweifelsfall sollten diese den Wein dann noch mal für eine Zeit zurücknehmen und ihn beobachten. Auch wenn es zunächst enttäuschend sein mag und einem nach dem Öffnen einer fehlerhaften Flasche gerade nicht weiterhilft: Viele dieser Weinfehler wie flüchtige Säuren, Schwefel-Böckser, das Brett oder die Maus verschwinden oft von selbst wieder, erheblich häufiger jedenfalls als die Mäuse, die sich im Keller einnisten  und dort für Nachwuchs sorgen.

 

Christoph Raffelt

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