Malbec, der große Verführer
Unser Autor Christoph Raffelt hat Taras und Amber Ochota, die Gründer von Ochota Barrels, im November 2019 besucht. Ein Jahr später war Taras tot. Er war damals genauso alt oder jung wie der Autor. Über eine denkwürdige Begegnung und einen Ausblick auf die Zukunft von Ochota Barrels.
Im Oktober und November 2019 war ich in Australien. Drei Jahre lange hatte ich hin und her überlegt, ob ich eine Pressereise rund um die Welt annehmen soll, um zwei Wochen durch australische Weingebiete zu fahren. 2019 habe ich nach wiederholter Anfrage schließlich zugesagt, zumal sich herausstellte, dass es vor allem zu den kleineren Weingütern und nicht zu den großen Flaggschiffen gehen würde. Einer meiner dringendsten Wünsche bei der Planung der Reise war, Taras Ochota kennenzulernen. Ich hatte zwei, drei Jahre zuvor erstmals einen Wein von ihm im Glas gehabt. Es war der Texture like Sun, ein Gemischter Satz aus roten und weißen Trauben, der so rar ist, dass nicht einmal Hendrik ihn bekommen hat. Tatsächlich war er selbst bei Taras und auch in allen besuchten Weinshops in Australien ausverkauft – bis ich am letzten Tag in Perth von einer Sommelière unter der Hand eine Magnum ergattern konnte.
Der Wein hat mich nachhaltig beeindruckt, weil er sich so völlig anders präsentierte als das meiste, was ich sonst aus Australien kannte, und weil er das gewisse Etwas hatte, das wir wahrscheinlich alle immer in Weinen suchen und letztlich doch nur selten finden. Ihr wisst schon …, diese ganz besondere Form von Persönlichkeit, die sich dann herausbildet, wenn der Wein irgendwie frei zu sein scheint und gleichzeitig durch und durch gut gemacht ist. Ganz ohne Frage hatte jemand diesen Wein gemacht, der sein Handwerk ganz genau verstand und selbst eine Persönlichkeit war. Ich wollte diesen Jemand kennenlernen.
Also fuhren wir irgendwann auf unserer Reise in die Adelaide Hills, besuchten so klinisch reine Weingüter wie Shaw + Smith und Hardcore-Naturalista wie die Community of Buttons, bis wir eines Mittags in Uraidla in den sogenannten Basket Ranges auf den Parkplatz der Pizzeria und Weinbar Lost in a Forest einbogen. Wer das Portfolio von Taras kennt, dem wird der Name bekannt vorkommen. Tatsächlich stand die Pizzeria am Rande eines Waldes, sah aber überhaupt nicht nach einer Pizzeria aus, weil sie in einer alten Kapelle untergebracht war, und sie trug den Namen eines Songs von The Cure. Es ist so ähnlich wie bei Taras’ Weinen, die ebenfalls Songtitel seiner Lieblingsbands tragen – oder einfach gleich die Namen der Bands. Lost in a Forest war Taras’ letztes größeres Projekt, das er mit Familie und Freunden aus der Umgebung in Angriff genommen hatte.
Als uns Taras entgegentrat, stand da ein schlanker Mann im grünen Leinenhemd, der direkt eine große Wärme und Herzlichkeit ausstrahlte. Auch wenn er damals schon in einem Nebensatz fallen ließ, dass es ihm nicht gut gehe und er mit einer Autoimmunerkrankung kämpfe, war er ein Mensch, der in sich zu ruhen schien und lakonisch und selbstironisch für eine gute Atmosphäre und für Heiterkeit sorgte. Wir trafen uns mit einer kleinen Gruppe an Winzerfreunden aus den Basket Ranges, die so ähnlich tickten wie er. Unter ihnen war Louis Schofield, seine rechte Hand im Keller, der unter dem Namen Worlds Apart Wines längst selbst begonnen hat, Wein zu machen. Irgendwann, nach einigen hervorragenden Pizzas und diversen Weinen, wechselten wir den Ort und fuhren zu ihm nach Hause: ein abgelegener Zufluchtsort, aber offen und lichtdurchflutet, ein kleiner Sehnsuchtsort für sich, seine Frau Amber und die beiden kleinen Kinder.
Taras und Amber sind zusammen durch dick und dünn gegangen, wie Amber sagte. Sie haben sich sehr früh kennengelernt. Taras hat damals nach dem Abi für verschiedene Weingüter in den Adelaide Hills Weinberge angelegt und Wein in Cellar Doors verkauft, unterdessen Weinbau studiert und selber ein bisschen Wein gemacht, während Amber sich zur Erzieherin ausbilden ließ. Es war die Zeit, in der Taras in einer Punk Band den Bass spielte, der Joint locker im Mundwinkel steckte und die beiden in ihrer freien Zeit mit den Surfboards unterwegs waren.
Wein war allerdings schon immer ein Thema gewesen; denn sein aus der Ukraine stammende Großvater – daher auch der seltene Nachname – hatte selber Wein gemacht, und Taras hatte das schon immer fasziniert. Irgendwann ging er eine Zeitlang nach Kalifornien und bekam dann das Angebot einer schwedischen Weinfirma, für sie als Flying Winemaker zu arbeiten. Es war ein sehr gut dotierter Job, und so entschieden sich Taras und Amber, nach Schweden zu gehen und Sommer und Herbst in Italien zu verbringen, um dort genau die Primitivos zu erzeugen, die man in Schweden trinken wollte. Dabei haben sie immer auch kleine eigene Projekte verfolgt, um die Rebsorten, Böden und klimatischen Bedingungen besser kennenzulernen. Längst hatte sich Amber mit Taras’ Leidenschaft für Wein infiziert und arbeitete in Italien an seiner Seite.
Spätestens dort lernte Taras, was es bedeutet, Wein zu machen. Irgendwann aber wollten die beiden das nicht mehr fortführen. Die Zeit in Europa hat ihnen ein deutliches und klares Bild von europäischem Wein vermittelt, vor allem aber die Erkenntnis, dass es wenig Freude bereitet, große Mengen zu erzeugen. Mitten im Winter, in einer kleinen, abgelegenen Holzhütte mit jeder Menge Schnee vor der Tür und nach einigen Flaschen Burgunder, entstand dann das Konzept für Ochota Barrels und auch das einprägsame Logo.
Zurück zu Hause in den Basket Ranges fanden die beiden den Ort, an dem sie leben wollten, bauten ihr Haus und einen kleinen Keller. Sie fanden die biologisch und biodynamisch arbeitenden Winzer, von denen sie ihre Frucht kaufen wollten, und machten 2008 den ersten Single Vineyard Grenache, der seit 2010 Fugazi heißt. Nach der Geburt der Kinder ist Amber zwar in den Hintergrund gerückt, und Taras wurde das alleinige Gesicht des Weinguts, doch besprochen, probiert und entschieden haben sie immer gemeinsam, oder wie es Amber sagt: »Taras war meine große Liebe, mein bester Freund, mein Geschäftspartner und mein Ehemann.«
Amber weiß, wie Taras gearbeitet hat, und sie wird das fortsetzen. Taras hat über das Weinmachen in der Öffentlichkeit nur sehr wenige Worte verloren und meinte damals, als wir zusammen in seinem Keller standen, in dem außer einer Presse, einer Wanne, einem Plattenspieler, einem Surfboard und Fässern praktisch nichts zu sehen war: »Was wir machen, ist, für schöne Trauben zu sorgen, sie ins Fass stecken, in den Urlaub fahren, erfrischt zurückkommen, das ganze Puzzle zusammensetzen, abfüllen und verkaufen. Das ist es. Wir versuchen nicht, etwas Ausgefallenes zu machen. Wir wollen ein Glas nach dem anderen trinken und mit einem schönen Gefühl aufwachen. Wir schaffen nicht den Weltfrieden – wir versuchen nur, etwas Köstliches zu erzeugen.« Etwas Köstliches zu erzeugen, das war seine Idee. Und die zeigt sich in seinen Weinen in einer bestimmten Form von Subtilität, Finesse und Leichtigkeit. Damit unterscheiden sie sich sehr deutlich von den klassischen Gewächsen, die wir aus Australien kennen. Taras hat mit seinem Stil ein klares Zeichen gesetzt zu einer Zeit, als diese Stilistik in Australien fast einzigartig war. Dass er ausgerechnet diese Weine, die oft so hell, subtil und glockenklar leuchten, mit den Namen von Punk- und Hardcore-Bands bzw. deren Songs betitelte, passte wunderbar zu Taras’ feiner Ironie. Und es passte sehr gut zur gesamten Erscheinung von Taras, den man gerne als Rock-Star gesehen hätte und dessen Surfer-Attitüde man auf sein Weinmachen übertragen hat. Doch die Rockstars waren andere, Mick Jagger zum Beispiel, der nach einem Konzert in Adelaide extra zu ihm hinausfuhr, um mit ihm Wein zu trinken und den Rest der Nacht an seinem Klavier zu verbringen. Oder Maynard Keenan, der in Arizona Wein macht, auch der Kopf der Rock-Band Tool ist und mit dem zusammen Taras ein paar Sonderabfüllungen gemacht hat. Tatsächlich war Taras ein Perfektionist mit einem unglaublichen Gefühl für das Weinmachen. Und den Perfektionismus hat er hinter seiner entspannten Herzlichkeit versteckt, mit der er uns einen Nachmittag lang bewirtet hat, während im Hintergrund erstaunlich melodischer Jazz lief.
Wir verließen dann das Haus, als die Kinder seine Aufmerksamkeit suchten. Als sie um ihn herumtollten, meinte er: »Wisst ihr, ich versuche einfach nur, mit Amber die Kinder glücklich zu machen und ein schönes Leben zu führen.« Und ich dachte, dass das in diesem kleinen Paradies, in dem sie sich dort bewegten, wunderbar möglich sein müsste. Es wirkte perfekt. Ein Jahr später kam mir dann wieder ein Band-Name in den Sinn: Paradise Lost. Was für ein Verlust.
Doch Amber macht erst einmal weiter, und das mit der alten Truppe und der gleichen Philosophie. Dazu gehören Taras’ Vater Yari, Louis Schofield, der seit fünf Jahren mit dabei ist, sowie Peter Leske, der gerade erst von der Australian Society of Viticulture and Oenology zum Winemaker of the Year 2020 gewählt wurde und lange Taras’ Mentor war. Während der 2020er Jahrgang auf dem Weg nach Deutschland ist, steht die Truppe in den Weinbergen und im Keller, um den ersten Post-Taras-Jahrgang zu vinifizieren – so schwer es Amber auch fällt, wie sie schreibt. Doch Taras und sie haben sehr hart daran gearbeitet, und er war sehr zuversichtlich, dass sie es auch ohne ihn schaffen würde.
Also geht es erst einmal weiter mit low intervention: Sie nutzen perfektes, recht früh, aber nicht zu früh gelesenes Traubenmaterial mit natürlicher Säure, bei manchen Sorten wird Whole-Bunch vergoren, bei anderen teilweise abgebeert, bei manchen komplett abgebeert, teilweise vorher angequetscht, bei anderen nicht und bei wieder anderen kommt auch Kohlensäuremaischegärung zum Einsatz. Dann wird spontan vergoren, und es werden keinerlei Enzyme, Schwefel oder Säuren hinzugefügt. Vergoren wird nur in kleinen Fermentern, die Temperatur wird beeinflusst, indem sie die Fermenter aus dem Keller in die Sonne stellen und wieder zurück in den Keller bringen. Alle Weine wandern in weitgehend neutrale Fässer, und zum Schluss wird irgendwann minimal geschwefelt. Eigentlich nichts Besonderes, sollte man meinen. Aber trotzdem steckt in all diesen Weinen ein Geheimnis. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Amber dieses Geheimnis kennt.
Ein Gastbeitrag von Christoph Raffelt – lebt in Hamburg und bereist die Weinwelt als Betreiber von originalverkorkt.de