Willkommen im neuen Kalifornien
Burgund steht für Terroir
Die Region ist geprägt von verschiedenen Bodenschichten, von Kalk, Kalkmergel, Lehm und Ton. Weil sich all das im Laufe der Erdgeschichte im Untergrund der Weinberge verschoben hat, schmecken die Weine je nach Herkunft unterschiedlich. Die Zisterziensermönche, die ihre Klöster im Mittelalter in Burgund gegründet haben, waren die Ersten, die diesen spezifischen Ausdruck eines Ortes, der sich im Wein widerspiegelt, benannt haben. Sie haben von Terroir gesprochen und von Climat. Bis heute ist in Burgund ein Climat eine besondere Herkunft, von der ein Wein anders schmeckt als von einem anderen Climat. Diese Climats wurden im Laufe der letzten Jahrhunderte in eine Klassifikation gegossen, die wir Qualitätspyramide nennen und die wiederum ein Vorlage für viele andere Klassifikationen abgegeben hat, zum Beispiel für die des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter (VDP).
Was sagt die Klassifikation im Burgund aus?
Die Klassifikation sagt aus, dass alle Weißweine des Burgund Chardonnays sind, es sei denn, auf dem Etikett ist eine andere Rebsorte vermerkt. Sie sagt außerdem aus, dass alle Rotweine des Burgund aus Pinot noir vinifiziert wurden, es sei denn, es steht etwas anderes auf dem Etikett. Beide Rebsorten haben sich im Laufe des letzten Jahrtausends für Burgund als die besten durchgesetzt. Aligoté als weiße Rebsorte gewinnt erst langsam an Bedeutung, der Gamay wurde im 14. Jahrhundert aus Burgund verbannt und erzielt im Beaujolais auf Granit wohl bessere Qualitäten, als das auf den Kalkböden des Burgund möglich gewesen wäre. Trotzdem gibt es bis heute noch ein wenig Gamay im Burgund. Diese Rebsorte findet sich vor allem im Macônnais an der Grenze zum Beaujolais und auch in einigen Gemischten Sätzen, die Passetoutgrains genannt werden.
Die Klassifizierung der Weine erfolgt in einer vierstufigen Pyramide, Für die unterste Stufe gilt zunächst, dass die Trauben aus dem gesamten Burgund stammen können. Die Weine tragen die Bezeichnung Bourgogne AOC und machen rund 52 % der Gesamtproduktion aus. Im oberen Teil dieser Stufe gibt es seit 2017 die Bezeichnung Bourgogne Côte d’Or AOC. Die Trauben für diese Weine dürfen nur aus 40 Gemeinden der Côte d’Or stammen. In der Mitte der Pyramide stehen die Ortsweine, die sich hier Bourgogne Villages AOC nennen. Der Ort wird auf dem Etikett vermerkt. Diese Stufe umfasst rund 36 % aller Weine. In der Spitze befinden sich die Bourgogne Premier Cru AOC. Diese Weine stammen aus sehr guten Lagen, die auf dem Etikett genannt werden. Es gibt aktuell 562 Premier-Cru-Lagen. Der Anteil an der Gesamtproduktion liegt bei rund 10 %. Ganz oben thronen die Bourgogne Grand Cru AOC. Dies sind Weine aus herausragenden Lagen, die auf dem Etikett angegeben sind. Es gibt aktuell 40 Spitzenlagen. Der Anteil an der Gesamtproduktion liegt bei rund 2 %.
Das Burgund wurde erst ab den 1990ern herausragend
Auch wenn das Burgund sich über die letzten Jahrhunderte großes Ansehen erworben hat, so war es für die meisten bis in die 1990er Jahre hinein doch ein weitgehend unbekanntes Weinbaugebiet. Erst in den letzten drei Jahrzehnten ist es wie Phönix aus der Asche emporgestiegen, und das, obwohl es viele der heute so berühmten Weingüter und -händler wie Jadot, Drouhin, Latour oder Romanée-Conti schon seit mehr als 100 Jahren gibt.
Wie kann so etwas sein? Nun, es gab Zeiten, in denen sich die meisten Zeitgenossen nicht für das Terroir interessiert haben. Das ist zwar heute bei vielen ähnlich, bei Weinliebhabern aber eher nicht. Es gibt nämlich immer mehr Menschen, die sich für die Herkunft dessen interessieren, was sie genießen wollen. Und es sind vor allem immer mehr Menschen weltweit. Im Gegensatz zu heute war das im 20. Jahrhundert kaum der Fall. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg war das Qualitätsbewusstsein bei vielen etwas verkümmert. Damals kamen die ersten Fertigprodukte in die Küchen, es wurde immer mehr Zucker verwendet, und Weine wurden immer seichter. Masse statt Klasse war die Losung, und sie hielt Einzug in sehr viele Weinberge – auch im Burgund. Die 1970er und 1980er Jahre kann man mit großer Berechtigung als Tiefpunkt des europäischen Weinbaus bezeichnen, und zwar in Frankreich, aber auch in Italien, Deutschland und Österreich. Gepflanzt wurden Klone, die hohe Erträge brachten. Gespritzt wurde auf Teufel komm raus, sodass der bekannte und auf Weinberge spezialisierte Bodenforscher Claude Bourguignon 1991 in seinem Buch Le sol, la terre et les champs schrieb, dass manche Böden des Burgund weniger Bodenleben aufwiesen als der Sand der Sahara. Diese Aussage war für viele Winzer im Burgund ein Weckruf. Es wurde ihnen bewusst, dass sie das Erbe ihrer Vorfahren schlecht behandelten. Tatsächlich wehte danach ein neuer Wind durch viele Weinberge. Domänen wie Romanée-Conti, Richard Leroy oder Anne-Claude Leflaive begannen damit, biologisch und später biodynamisch zu wirtschaften. Bei vielen Weingütern wurden zudem bessere Klone gepflanzt, Erträge reduziert und eine sorgsame Weinbergsarbeit betrieben, um das Terroir wieder sprechen zu lassen.
Das weckte das Interesse von immer mehr Händlern, Importeuren und Weinliebhabern. Gleichzeitig wurde der Weinmarkt zunehmend internationaler. Gute Pinots und Chardonnays gab es auch aus anderen europäischen Ländern und vor allem aus Übersee, was das Judgment of Paris 1976 bewiesen hatte. Der französische Weinbau hatte sich viel zu lange auf seinem Renommée ausgeruht. Das galt es zu ändern. Und man tat es. Weine aus berühmten Lagen wurden nicht mehr nur wegen deren Berühmtheit erworben und getrunken, sondern zunehmend auch wieder wegen ihrer eigentlichen Klasse, die vor 1.000 Jahren schon die Mönche erkannt hatten; denn die meisten wirklich berühmten Premier Crus und Grand Crus besitzen ihre Titel zu Recht. Sie haben sich das Renommée über Jahrhunderte hinweg erworben. Gleichzeitig brauchen sie aber zwingend Winzer, die das Potential der Trauben aus solchen Weinbergen in die Flasche bringen können. Glücklicherweise sind das immer mehr Winzer. Und wie überall sonst auch ist die Durchschnittsqualität der Weine, selbst der einfachsten, inzwischen immer besser geworden.
Burgund Weinbaukarte
Das eigentlich Besondere am Weinbaugebiet Burgund?
Wer kauft sich schon einen Wein aus Burgund, um lediglich einen Durchschnittswein zu genießen? Wollen nicht die meisten etwas vom Mythos Burgund im Glas haben? Wollen sie nicht das Terroir schmecken, diese Verbindung aus Boden, Klima und dem Stil des Winzers? Tatsächlich ist es seit Längerem so, und entsprechend ist die Nachfrage nach den besten Weinen, die auf den rund 40.000 Hektar in Burgund entstehen, sehr hoch. Das liegt natürlich auch daran, dass die besten Weine häufig zu Spekulationsobjekten geworden sind und die berühmtesten Weine eminent hohe Preise erzielen. Wer allerdings schon einmal einen Grand Cru eines berühmten Weinguts im Glas hatte, weiß auch, weshalb diese Weine so gefragt sind. Die besten Weine aus Burgund wirken wegen ihrer Tiefe, Eleganz, Klarheit, Präsenz und Mineralität oftmals so, als wären sie von einem anderen Stern. Sie bezeugen, dass der Mythos Burgund keine Täuschung ist. Diese Region kann ganz große, berührende, unglaublich elegante und selbst nach langer Reifung vibrierend lebendige Weine hervorbringen.
Randlagen rücken in den Fokus
Schön aber ist, es braucht nicht zwingend und ausschließlich ein Grand Cru zu sein, um einen großen Burgunder und Terroir-Übersetzer im Glas zu haben. Und genau das macht das Burgund für uns so spannend; denn weil das Gebiet sich seit den 1990ern so stark zur Qualität hin verändert und so viel mehr Aufmerksamkeit gewonnen hat, sind auch die Premier-Cru- und die Village-Weine immer besser geworden. Und noch eines fällt auf: Randlagen, die ehedem kaum beachtet wurden, gewinnen an Interesse.
Beispiele? Früher wurden im Wesentlichen Weine des Chablis und der Côte d’Or beachtet. Die Côte d’Or setzt sich zusammen aus der Côte de Nuits (übersetzt heißt das so viel wie die Hanglagen von Nuits-Saint-Georges) und aus der Côte de Beaune (also den Hanglagen von Beaune). Von der Côte de Nuits wurden vor allem die Rotweine der berühmten Orte wie Chambolle-Musigny, Gevrey-Chambertin, Vosne-Romanée oder Morey-Saint-Denis gekauft, von der Côte de Beaune vor allem weiße Burgunder vom Corton, aus Meursault und Montrachet. Punkt. Das war’s im Wesentlichen.
Heute aber wird immer klarer, dass weiße wie rote Burgunder aus Pernand-Vergelesses (das liegt neben dem Corton-Hügel) in der Spitze ähnlich gut sein können wie Corton. Es wird immer deutlicher, dass es in Fixin, Saint Romain oder Saint Aubin gleichfalls hervorragendes Terroir gibt. Außerdem – und das ist entscheidend – gibt es Winzer, die das umsetzen. Man probiere nur einmal den Aubin 1er Cru »Murgers des Dents de Chien« von unserem Winzer Philippe Pacalet. Der macht übrigens auch einen exzellenten Weißwein aus dem Rotweinort Nuits-Saint-Georges – das wäre früher kaum beachtet worden. Auch die Hautes Côtes, die Weinberge, die oberhalb und etwas abseits der bekannten Weinorte der Bereiche Beaune und Nuits liegen, erhalten inzwischen mehr Aufmerksamkeit. Ganz besonders offensichtlich ist dies zudem in den südlich gelegenen Bereichen Côte Chalonnaise und Mâconnais, wo die Weine, gerade die Chardonnays des Mâconnais, schon etwas voller und üppiger werden, aber umwerfend charmant sein können. Nicht vergessen sollte man schließlich den neben Chablis gelegenen Bereich Grand Auxerre, wo sich neben Pinot und Chardonnay Rebsorten tummeln, die man nur selten auf dem Schirm hat. Auf uralten Anlagen wachsen dort noch Sauvignon, Auxerrois, Melon de Bourgogne (der eigentlich aus dem Burgund stammt, aber heute fast ausschließlich im Muscadet-Gebiet an der Loire wächst), ferner die alte rote Rebsorte César und – nicht zuletzt – Aligoté. Diese Rebsorte war ja lange das weiße Pendant zum Gamay. Sie war gewisser Weise das hässliche Entlein, das nur wegen seiner Säure genutzt wurde, um manchem Chardonnay mehr Frische zu verleihen, und das natürlich zusammen mit Cassis de Dijon gerne in den Kir geschüttet wurde. Heute aber – und das hat auch viel mit dem Klimawandel zu tun – zeigt die Sorte ganz andere Qualitäten. Sie wirkt feiner, aber auch komplexer. Sie ist aromatisch hell und strahlt vor Lebendigkeit und Energie, dazu ist sie beeindruckend langlebig. Der Klimawandel beginnt auch das Burgund zu verändern, und aktuell sieht es so aus, als würden gerade die bislang zu kühlen Lagen wie die Hautes Côtes und die nördlichen Appellationen besonders profitieren.
Was ist das Burgund heute?
Das Burgund hat heute zu Recht sehr viel von seinem Nimbus, eines des besten Weinbaugebiete der Welt zu sein, wieder erlangt. Sosehr wir die Pinots und Chardonnays aus Kalifornien, Oregon, Australien und Südafrika schätzen, so gerne räumen wir ein – auch die dortigen Winzer orientieren sich wie wir am Burgund. Es ist ähnlich wie bei den Vergleichen von Schaumwein mit Champagner. Man kommt nicht darum herum, die Champagne wie das Burgund sind nach wie vor der Maßstab. Die Kombination aus Rebsorten, Böden und Klima, auch wenn sie im Burgund stark variiert, ist außergewöhnlich. Und aus dieser Kombination entstehen berührend emotionale Weine. Das ist uns wieder einmal bewusst geworden, als wir vor kurzer Zeit Weine der Maison Harbour neu aufgenommen haben. Gleichsam aus dem Nichts ist dieses Haus zu einer besonderen Adresse geworden, weil die Passion der Gründer zusammen mit dem bedeutenden Terroir Weine entstehen lässt, die man so schnell nicht vergisst. Und bei sehr guten Winzern beginnt die Freude auch schon beim Gutswein, beim Bourgogne blanc oder Bourgogne rouge. Dann kommt es nur noch darauf an, ob man sich für einen recht klassischen und etwas holzbetonteren Stil wie den von Remoissenet begeistert oder für die von Beginn an etwas offeneren und geschmeidigeren Weine der Maison Harbour oder aber für die Burgunder von Philippe Pacalet, der bei einem der Avantgardisten der Naturweinszene, nämlich bei Jules Chauvet, gelernt hat und selber mit minimaler Intervention im Keller arbeitet.
Fest steht für uns – auch wenn Burgund in der Spitze sehr teuer geworden ist und ein Hektar Grand-Cru-Weinlage mittlerweile mit bis zu 14 Millionen Euro taxiert wird –, dass im Burgund gerade jetzt, wo die Kompetenz der Winzer im Weinberg wie im Keller so groß ist wie nie zuvor, ganz großartige Weine zu finden sind. Es sind nicht nur Weine, die uns bewegen, es sind auch Weine, bei denen man enorm lernen kann; denn sie verraten viel über ihre Herkunft und über die Unterschiede von manchmal nur einem Meter zum nächsten Climat, wie es kaum einem Wein aus einer anderen Region gelingt.