Die Hänge an den Flüssen Sil und Miño erinnern mit ihren steilen Terrassenlagen an Teile des Douro oder auch an die Mosel, nur dass die Böden aus einem Mix aus verwittertem Granit, Schiefer und Sandstein bestehen und das Klima sich deutlich unterscheidet, mit seinen inländischen und atlantischen Einflüssen.
Spanien ist das größte Weinland in Europa mit knapp einer Million Hektar Rebfläche. Da kann schon mal was verloren gehen. Zumindest, was die allgemeine Aufmerksamkeit betrifft. Manchmal sind es sogar ganze Landstriche und Regionen. Das Priorat war so ein Landstrich. Früher berühmt, dann vergessen und irgendwann wiederentdeckt. Galicien ging es ähnlich. Galicien, das ist nicht etwas die Grenzregion zwischen Polen und der Ukraine; denn die heißt Galizien, mit „z“. Verwechselt wird das gerne mal. Galicien liegt an der spanischen Atlantikküste und ist eine autonome Region. Davon hat Spanien eine so große Menge, dass immer mal wieder gefragt wird, ob Spanien tatsächlich ein einzelnes Land sei oder nicht vielmehr viele.
Galicien befindet sich im Nordwesten Spaniens und bildet die nördliche Grenze Portugals.
Erstmal hat man sich darauf geeinigt, dass es ein Land ist, in welchem Galicien rund 30.000 Km² im Nordwesten einnimmt. Es ist die Küstenregion am Atlantik, die im Osten eine Grenze zum Baskenland hat und im Süden bis zum Miño, dem Grenzfluss zu Portugal reicht.
Der Fluss Miño bildet die Grenze im Süden zum Nachbarland Portugal.
Hinter den Bergen …
Dass man diese Region zeitweise vergessen hat, liegt daran – und das hat sie wiederum mit dem Priorat gemein – dass es ein großes Mittelgebirge gibt, das die Region vom Rest, sprich von den Hochebenen Kastilien-Leóns abtrennt. Diese Cordillera Cantábrica war lange Zeit eine natürliche Grenze für alles Mögliche: Für Volksstämme, denn die Bewohner Galiciens stammen von Westgoten und Kelten ab. Für Sprachen; denn die Leute dort sprechen Gallego, was dem Portugiesischen durchaus ähnlich ist. Für Mauren; denn die sind bei der Besetzung Spaniens nie wirklich bis nach Galicien gelangt. Auch für Rebsorten; denn in Galicien pflegt man bis heute Varianten, die es im Rest Spaniens kaum gibt. Das Besondere an der Region ist zudem, dass sich unzählige Flüsse aus dem Mittelgebirge ins Meer schlängeln, weshalb die Region auch gerne „Land der 1.000 Flüsse“ genannt wird.
Die zerklüftete Atlantikküste mit ihren fingerförmigen Felsen, den Rías.
Sie formen am Atlantik viele sogenannte Rías. Das sind Buchten, die wie Finger aussehen und zum Beispiel den Rías Baixas, den „unteren Buchten“ ihren Namen verliehen haben.
Klöster, Mönche und ein Jakobsweg
Galicien ist stark vom Atlantik geprägt und eine der grünsten und feuchtesten Regionen Spaniens. Trotzdem gibt es viele Sonnentage, was dem Weinbau natürlich zugutekommt. Den haben, wie so üblich, schon die Römer betrieben und dann die Klöster. Immerhin liegt Santiago de Compostela samt dem letzten Streckenabschnitt des Jakobswegs in Galicien.
Der Jakobsweg endet in der galicischen Stadt Santiago de Compostela.
In einer Ecke der Region stehen an den Hängen der Flüsse so viele Klöster, dass man die Region „Heiliges Ufer“ – Ribeira Sacra – genannt hat. Die Klöster, die Mönche, die Pilger haben lange für regen Austausch und auch für einen Export der Weine gesorgt. Galicien war erfolgreich, bis die Reblaus kam. Von da an bis in die 1980er Jahre würden viele lieber einen Mantel des Vergessens ausbreiten. Es kamen und gingen Kriege, die spanische Grippe, die Diktatur General Francos, der eigentlich Francisco Paulino Hermenegildo Teódulo Franco Salgado y Bahamonde Pardo hieß und selber Gallego war und jegliche Autonomiebestrebungen unterdrückte. Damals verarmte das eigentlich so stolze Spanien zu einem rückständigen Agrarland und Galicien wurde sein Armenhaus. Galiciens Weinbau überlebte nur dank Genossenschaften, die alles, was man ihnen an Trauben anbot, für kleines Geld zu namenlosen Weinen verarbeiteten. Zudem galt Spanien international als Rotweinland und in Galicien wurde viel Weißwein erzeugt. All das änderte sich erst sehr langsam, als Spanien zurück nach Europa fand, von der Diktatur zur Demokratie und dann in die EU.
Aufstieg und Langeweile beim Albariño
Heute stehen in Galicien rund 10.000 Hektar unter Reben. Und zwar in den Appellationen Monterrei, Rías Baixas, Ribeira Sacra, Ribeiro und Valdeorras sowie den Landwein-Bereichen Betanzos, Ribeiras do Morazzo und Valle de Mino-Ourense.
Die Veränderungen kamen ab den späten 1980er Jahren in vielen kleinen Schritten. Einer davon war, dass die Aufnahme in die EU den Weg für Förderungen und Investitionen frei machte. So kamen die ersten Pioniere mit Geld, teilweise aus der Rioja, um vor allem in den Rías Baixas reinsortigen Albariño anzubauen. Es ist die Sorte, von der man lange dachte, sie wäre mit dem Riesling verwandt, weshalb sie übersetzt „Weiße von Rhein“ heißt. Heute weiß man es besser. Nicht etwa Pilger hatten sie nach Galicien gebracht, sie ist vielmehr ein heimisches Gewächs. Die Sorte, die vorher eher im gemischten Satz mit den anderen typischen Sorten der Region angebaut wurde, passte sehr gut in das Konzept von Weingütern wie Pazo de Señorans, Terras Gauda oder Pazo de Barrantes. Sie sorgten für den ersten großen Weißwein-Boom Spaniens. Vorher war Spanien eher für oxidative Weißweine bekannt. Nun entstand das genaue Gegenteil.
Albariño ist die wohl meist angebaute weiße Rebsorte in Galicien und nicht wie bisher gedacht mit dem Riesling verwandt oder verschwägert.
Die neue Zeit brachte temperaturkontrollierbare Edelstahltanks und der Albariño wurde mit hohen Erntemengen recht früh mit viel Säure gelesen, kühl mit Reinzuchthefen im Edelstahl vergoren und ausgebaut. Er wurde ein Star des neuen Spaniens. Es blieb allerdings ein im wahrsten Sinne fahler Beigeschmack. Der Wein war zwar erfolgreich, er schmeckte auch, war frisch und durch die Granitböden der Region auch vibrierend mineralisch. Aber irgendwie schmeckte alles mehr oder weniger gleich und in gewisser Weise auch seelenlos.
180 Jahre alte rote Reben
Das empfand auch Rodrigo „Rodri“ Méndez Laredo so. Er hatte einige Weinberge von seinem Vater bzw. Großvater in Meaño übernommen, wusste aber noch nicht so richtig, was er damit anstellen sollte. Er war kein Winzer und das Geschäft seiner Familie, das den Namen Forjas del Salnés trug, basierte auf der für die Rías Baixas typischen Muschelzucht.
Die Muschelzucht konzentrieren sich seit mehreren Generationen auf die fünf große Flussmündungen an der Atlantikküste. Miesmuscheln aus Galicien sind seit 2007 eine geschützte Ursprungsbezeichnung (Mexillón de Galicia).
Der Zufall wollte es, dass einer der großen Erneuerer des spanischen Weinbaus, Raúl Perez, der Mann mit dem Rauschebart, der sich mit exzellenten roten Mencias im Bierzo einen Namen machte, gehört hatte, dass die Méndez’ die besten Weinberge der ganzen Gegend hätten. Und Raúl war auf der Suche nach guten Trauben, die nicht in großen Massen angebaut wurden wie sonst üblich. Er wollte feinen Albariño erzeugen und dazu brauchte er den passenden Partner, mit dem er einen im neutralen Holz spontan vergorenen Wein erzeugen wollte.
Pergola-Erziehung in Rías Baixas. Je höher die Trauben über dem Boden hängen, desto besser der Schutz gegen Fäulnis.
Rodri war sein Mann. Doch Rodri wollte nicht nur Albariño machen, sondern noch etwas ganz anderes. Er wollte Rotwein aus seltenen Sorten der Region erzeugen. Raúl hielt das zunächst für eine fixe Idee, bis ihm klar wurde, dass solche roten viñosatlanticos sehr spannend sein könnten. Er half Rodri beim Aufbau des neuen Weinguts und sie wagten sich daran, Rotweine aus Caíño, Sousón, roter Treixadura und Brancellao zu erzeugen. Rodri ist im Laufe der Zeit zu einem Caíño-Besessenen geworden und hat im Hinterland der RíasBaixas uralte Weingärten aufgetan, mit teilweise 180 Jahre alten Reben, die bezeugen, dass rote Sorten in Galicien durchaus ihre Geschichte haben.
Eigentlich ist Caiñ0 eine autochthone rote Rebsorte, die in Galicien verbreitet ist. Im Nachbarland Portugal findet man auch die Sorte, allerdings unter dem Name Borraçal.
Vom Atlantik zum heiligen Ufer
Diese Geschichte kann auch Eulogio Pomares erzählen. Er stammt aus den Rías Baixas, erzeugt dort auch die meisten seiner Weine, nutzt aber ebenso Früchte aus Ribeira Sacra. Die Hänge an den Flüssen Sil und Miño erinnern mit ihren steilen Terrassenlagen an Teile des Douro oder auch an die Mosel, nur dass die Böden aus einem Mix aus verwittertem Granit, Schiefer und Sandstein bestehen und das Klima sich deutlich unterscheidet, mit seinen inländischen und atlantischen Einflüssen.
Der Río Sil fließt durch ein schmales Tal mit über 500 Meter hohen, steilen Abhängen in strikter Ost-West-Richtung, bevor er sich bei Os Peares mit dem zweiten bedeutenden Wasserlauf in Galicien, dem Miño, vereinigt.
Zusammen mit Valdeorras, ist Ribeira Sacra eine Region, in der die roten Sorten noch deutlich offensichtlicher die Weinberge prägen, also weiter verbreitet sind. In den Zeiten vor der Reblaus dürften sie sogar die Mehrheit gebildet haben. Vor allem die Mencía, bekannt durch das ebenfalls wieder populär gewordene Bierzo, das zwar nicht mehr zu Galicien gehört, aber daran angrenzt, sorgt hier für viel Tiefe und dunkle Saftigkeit. Hinzu kommen neben den schon erwähnten Sorten weitere, oft uralte Varietäten wie Merenzao, Castañal, Pedra und Ferrón. Schließlich ist da noch die schon länger heimisch gewordene Sorte Alicante Buschet, die auch Garnacha Tintorera genannt wird. Was die weißen Rebsorten angeht, so werden in den Regionen Ribeiro, Ribeira Sacra, Valdeorras und Monterrei die weißen Sorten im Gegensatz zu den Rías Baixas eher als Cuvées oder gemischte Sätze erzeugt. Neben dem Albariño gibt es dort Treixadura, Godello oder Torrontés, Caíño Blanco, Loureira, Dona Branca und Lado.
Während die weißen und roten Weine der Rías Baixas das volle atlantische Klima abbekommen und wirklich pure, frische, oft jodig salzige Meeresweine sind, spürt man in den Weinen von den terrassierten Steilhängen der weiter inländisch gelegenen Gebiete wie Valdeorras und Ribeira Sacra schon die Wärme der angrenzenden Hochebenen.
Entenmuschel gehört entgegen ihrem Namen nicht zu den Muscheln oder Enten, sondern zu den Rankenfußkrebsen.
Stellt man sie alle gemeinsam auf den Tisch, dann passen sie in ihrer Vielfalt sehr gut zur Fülle, die die Küche der Region zu bieten hat. Muscheln, vor allem Entenmuscheln, Schwertmuscheln, Jakobsmuscheln und Austern sowie das Neunauge Lampreadirekt von der Küste, Pimientos di Padrónund dann natürlich Txogitxu, das Fleisch von den inländisch weidenden, glücklichen fetten Kühen mit ihrem einzigartigen Fettpolster. Galicien ist definitiv eine Entdeckung wert – in vielerlei Hinsicht.
Ein Gastbeitrag von Christoph Raffelt – lebt in Hamburg und bereist die Weinwelt als Betreiber von originalverkorkt.de
