Als wichtigsten Kompromiss sollte man konstatieren, dass sich fast alle bedeutenden Weingüter Badens entlang der Rheinschiene befinden. Entsprechend stark prägt das breite Flusstal mit seiner Süd-Nord-Ausrichtung sowohl die Geologie als auch das Klima.
Trotz ihres offensichtlichen Exotenstatus sollte man Taubertal und Bodensee jedoch nicht vernachlässigen. Der badischen Historie ist es zu verdanken, dass der untere Abschnitt des Taubertals zum Anbaugebiet Baden gehört. Mit Muschelkalk und Buntsandstein im Untergrund, dem stark kontinental geprägten Klima und mit Weinen, die im Bocksbeutel abgefüllt werden dürfen, befinden wir uns allerdings kulturell schon stark unter fränkischem Einfluss. Der Bodensee hingegen ist eigentlich eine Welt für sich und vermutlich genau deswegen ebenso wie das Taubertal administrativ multipel geteilt. Auf steinigem Endmoränenschotter aus der Eiszeit wachsen hier primär Weißweine mit Blick auf den See.
„Der Garten Deutschlands“ – so lautet seit 2021 der Slogan der badischen Winzer. Der Vorgänger „Von der Sonne verwöhnt“ hatte es unglaubliche 61 Jahre lang ausgehalten, vermutlich einer der dauerhaftesten Werbeslogans überhaupt. Nach den heißen und trockenen Jahren 2019 und besonders 2018 wollte man jedoch offenbar den Klimawandel nicht auch noch verbal anheizen. Ohnehin besitzt Baden bereits die meisten Sonnenstunden und die höchsten Durchschnittstemperaturen aller deutschen Weinbaugebiete. Zwar erreicht man auch mit 1.800 Sonnenstunden im Jahr lediglich gut 60 % des Werts mediterraner Stationen von Marseille bis Andalusien. Als einziges deutsches Weinbaugebiet gehört Baden aber zur Weinbauzone B der Europäischen Union, was Auswirkungen auf bestimmte Regelungen z. B. zur Chaptalisierung hat.
Warm ging es auch im Untergrund zu; denn der Oberrheingraben zwischen Frankfurt und Basel ist ein sogenannter Grabenbruch. Vor über 50 Millionen Jahren begann sich die Erdkruste entlang des heutigen Rheintals zu dehnen, sodass sich das Land zwischen Vogesen und Schwarzwald absenkte. Vulkanische Aktivitäten waren während dieser Zeit an der Tagesordnung, wobei die Entstehung des Kaiserstuhls vor etwa 16 bis 19 Millionen Jahren den Schlusspunkt bildete. Aus diesem Grunde kann man auch heute noch überall entlang des Rheingrabens auf vulkanisches Gestein treffen. Wesentlich später, zu Beginn der Eiszeiten, gab es die zweite prägende Phase für den Untergrund der heutigen Weinberge. Kalkhaltiger Flugsand aus den Alpen wehte durchs Rheintal und lagerte sich zu teilweise bis zu 30 Meter hohen Auflagen ab – der Löss.
Auch wenn insgesamt auf 60 % der Anbaufläche weiße Rebsorten stehen, ist es doch der Spätburgunder, der mit 33 % die mit Abstand wichtigste einzelne Rebsorte darstellt. Auf dem Silberrang folgt mit Müller-Thurgau ein Protagonist, der sich mengenmäßig allerdings im freien Fall befindet. Was der Müller-Thurgau eingebüßt hat, haben Weiß- und Grauburgunder dazugewonnen. Die beiden unteren Plätze in den Top Six nehmen zwei Rebsorten ein, die lokal eine sehr große Bedeutung besitzen. Gutedel nämlich ist das Steckpferd des Markgräflerlands ganz im Süden Badens, und Riesling besetzt eine Nische im Durbacher Tal, das in den Schwarzwald hineinreicht.
Qualitativ sind die Burgundersorten, die natürlich auch den Chardonnay mit einschließen, nicht zu toppen. Bevor daraus großartige Weine wurden, die auch in ihrer Individualität ganz an der deutschen Spitze stehen, musste Baden allerdings durch ein Tal der Tränen – für Weinfreaks, versteht sich. Die Kombination aus günstigen Anbaubedingungen und dem deutschen Weingesetz von 1971 führte nämlich zu einer fatalen Missachtung von Weinqualität und Charakter.
Baden war und ist teilweise immer noch von Genossenschaften dominiert. Rund drei Viertel der badischen Rebfläche werden von ihnen bewirtschaftet. Das Problem der Genossenschaften: Sie besitzen oft viele Mitglieder mit geringer Rebfläche in den unterschiedlichsten Lagen. Um daraus eine Cuvée zu keltern, die einen Einzellagennamen führen darf, musste man zunächst an diesem Lagensystem rütteln. Das Weingesetz von 1971 ermöglichte es, ehemals kleine Einzellagen zu großen Gebilden zusammenzufassen.
Im Kaiserstuhl rückten sogar Planierraupen an, um die steilen und verwinkelten Parzellchen zu maschinell bewirtschaftbaren Großterrassen umzugestalten. Die heutige Lage Oberbergener Bassgeige umfasst dadurch beispielsweise fast 240 ha Rebland, das in einer Steilheit von 0–70 % in praktisch alle Himmelsrichtungen zeigt. Der Weinatlas Deutschland von Braatz, Sautter und Swoboda urteilt dazu: „Die besten Parzellen können als besonders privilegiert gelten, die schlechtesten sind nur bedingt für den Weinbau geeignet.“
Ähnlich wie in den USA vor der Craft-Beer-Revolution scheint es für Neuaufbrüche manchmal nicht schlecht zu sein, eine gewisse strukturelle Katharsis durchgemacht zu haben – Schicksal als Chance sozusagen. Und so gibt es jetzt, zwei Jahrzehnte ins 21. Jahrhundert hinein, kaum eine andere deutsche Weinbauregion, in der beeindruckende Weine und Talente so aus dem Boden sprießen wie in Baden.
Zum einen hängt das damit zusammen, dass badische Weine eigentlich schon immer trocken waren, sprich durchgegoren. Die Kombination von Wein und Speisen hat hier im Südwesten, nahe der französischen Grenze, eine tief verwurzelte Tradition. Zum anderen hat die Nähe zu Frankreich auch dazu geführt, dass sich ambitionierte Jungwinzer während des Praktikums und für erste Jobs durchaus im Burgund umschauen.
Und schließlich besitzt auch die genossenschaftliche Vergangenheit ihre Vorteile. In den letzten Jahren haben vermehrt Nebenerwerbswinzer mit dem Eintritt ins Rentenalter ihren Betrieb nicht mehr weitergeführt. Was sich zunächst nicht besonders positiv anhört, ist jedoch eines der Schlüsselelemente für das badische Weinwunder. Auf diese Weise kamen nämlich Parzellen wieder auf den Markt, die teilweise nur händisch zu bewirtschaften waren. So entstanden Projekte und Mini-Weingüter, die jungen und ambitionierten Weinmenschen auch ohne großes Kapital die Möglichkeit eröffneten, ihren Weintraum zu verwirklichen: naturschonender Anbau, frühere Ernte bei phenolischer Reife, Spontangärung, langer Ausbau in Holzfässern ohne önologische Tricks und Eingriffe. So geht der neue Deal.
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