Das Bundesland Baden-Württemberg besteht, wie sein Name sagt, aus zwei Regionen. Es gibt daher auch die beiden Anbaugebiete Baden und Württemberg. Baden nimmt dabei den westlichen Teil des Bundeslands entlang des Rheintals ein, Württemberg hingegen hat mit dem Neckar zwar auch einen zentralen Fluss, aber die Weinberge bewegen sich bis tief in die Täler der Nebenflüsse hinein. Im Norden hat Württemberg einen kleinen Anteil am Taubertal, das mit dem Markelsheimer Probstberg immerhin über eine potenziell hochkarätige Lage verfügt. Im Süden werden bis vor die Tore Tübingens Reben angebaut, wenn auch nicht in großer Menge. Mengenmäßig den Löwenanteil trägt jedoch die große Region nördlich von Stuttgart bei, allgemein als Unterland bezeichnet. Vor allem qualitativ bedeutsam sind dafür die oberen Flussläufe mit Rems- und Neckartal östlich der Landeshauptstadt.
Auch wenn es politisch im Ländle nie danach aussah, in den Weinbergen liegt Rot vorn, jedenfalls bei den Rebsorten. 60 % der 11.424 Hektar Weinfläche (Platz 4 in Deutschland) werden von roten Rebsorten eingenommen. Interessanterweise liegt jedoch eine weiße Rebsorte allein an der Spitze, die man zunächst hier gar nicht vermuten würde: der Riesling. Auf den Plätzen folgen mit Trollinger und Lemberger zwei ausgesprochen landestypische Exemplare. Mit Spätburgunder und Schwarzriesling sind die Top 5 dann komplett.
Weinbau soll in Württemberg schon von den Römern betrieben worden sein, die erste schriftliche Aufzeichnung ist aber deutlich jünger. In einer Schenkungsurkunde des Klosters Lorsch aus dem Jahr 766 wird der Weinbau in der Region erstmals erwähnt. Im 17. Jahrhundert sollen rund 45.000 Hektar unter Reben gestanden haben, viermal so viel wie heute. Wurde bis tief ins 19. Jahrhundert hinein der Weinberg fast immer im Mischsatz angelegt, um Ernteausfälle zu vermeiden, gab es staatlicherseits Bemühungen, die Weinqualität zu steigern. König Wilhelm I. ließ in seinen Weinbergen neue Bewirtschaftungsmethoden erproben, der Riesling als Qualitätsrebe wurde eingeführt, und ab 1825 gab es eine sogenannte Weinverbesserungsgesellschaft, die den Winzern zeigen sollte, wie man es richtig macht.
Der Weinbau in Württemberg war und ist bis in die heutige Zeit geprägt von vielen Kleinbetrieben und Nebenerwerbswinzern. Das bedeutet in aller Regel einen geringeren finanziellen Spielraum und eine eher eingeschränkte Experimentierfreude. Falscher und Echter Mehltau sowie die Reblaus gefährdeten Ende des 19. Jahrhunderts den Weinbau insgesamt. Als Reaktion auf diese ungünstigen Rahmenbedingungen wurden die ersten Weingärtnergenossenschaften gegründet, die älteste in Neckarsulm bereits im Jahr 1855. Ihren Höhepunkt erreichte die Genossenschaftsbewegung in den 1960er und 1970er Jahren, als bei massiven Flurbereinigungen viel Erdreich bewegt und viele Kleinlagen zu größeren Bereichen zusammengefasst wurden. Die eigentlich extreme Kleinteiligkeit des Gebiets sowohl landschaftlich als auch strukturell verschwand dadurch teilweise.
Der zentrale Bereich des Anbaugebiets Württemberg befindet sich in einem weiten Umkreis östlich und vor allem nördlich von Stuttgart. Dabei wird, anders als beispielsweise in Rheinhessen, nicht in der gesamten Fläche Wein angebaut, sondern man konzentriert sich auf günstig exponierte Lagen an Südhängen von Hügeln, auf das Neckartal und auf seine Nebenflüsse. Die meisten Weinberge befinden sich auf Muschelkalk in Flusstälern und auf Keuper in den nach Süden ausgerichteten Hanglagen. Lagennamen wie der Untertürkheimer Gips direkt bei Stuttgart lassen schon unmittelbar auf den Untergrund schließen. Schilfsandstein im Remstal und lehmige Partien in flacheren Lagen ergänzen das Portfolio.
Was außerhalb des Ländles jedoch kaum bekannt ist, sind die zahlreichen und durchaus spektakulären Terrassenweinberge. Die Rosswager Halde im Enztal, das Cannstatter Zuckerle bei Stuttgart, der Mundelsheimer Käsberg und der Besigheimer Wurmberg am Mittleren Neckar – das sind die eigentlichen Spitzenlagen der Region, in kleinsten Parzellen bestockt, letztlich nur mühevoll per Handarbeit richtig zu bewirtschaften. Weshalb aber kommen kaum überregional bekannte Weine aus diesen Lagen?
Eine exemplarische Antwort liefert die Situation am Mundelsheimer Käsberg. Dieser Prallhang am Neckar, die gemessen heißeste deutsche Lage, ist nämlich zu 95 % mit Trollinger bestockt. Mit viel Wasser aus der Gießkanne – Sonne und Wärme waren ja von allein da – ließen sich hier Erträge von bis zu 250 hl/ha realisieren. Das Geschehen wird von der größten Genossenschaft der Gegend dominiert, es gibt in Mundelsheim keinen einzigen unabhängigen Winzer mehr. Früher waren gute Preise für pralle Trauben garantiert, aber heute ist mit Trollinger auf dem Markt nicht mehr viel Staat zu machen. Die Erzeugnisse landen zu einem Flaschenpreis von unter 5 € im Supermarkt, eine kostendeckende Arbeit im Weinberg ist so nicht mehr möglich.
Das System funktionierte bislang nur deshalb, weil die vielen Hobby- und Nebenerwerbswinzer in der wirtschaftsstarken Region gar nicht auf den Erlös aus dem Weinbau angewiesen waren. Trauben abliefern, Freunde und Verwandte bei der Lese beschäftigen, als Gegenwert ein „Fässle Trollinger fürs Fescht“, so lief es die letzten Jahre noch recht gut. Ob eine nächste Hobbywinzer-Generation allerdings noch bereit sein wird, in ihrer Freizeit aus Tradition und Lokalstolz heraus Trauben anzubauen, ist mehr als fraglich. Und so entstehen immer mehr Brachen in den schönsten Kulturflächen.
Aber wie so oft bietet ein nicht mehr zeitgemäßes System auch die Möglichkeit, es abseits davon gänzlich anders zu versuchen. Im Nachbarort Hessigheim haben junge Weingüter den Sprung gewagt. Sie holen bio-zertifizierte Handarbeitsweine aus der Steillage und erzielen auf dem Markt peu à peu auch die angemessenen Preise dafür. Während die einen sich dafür entschieden haben, die alten Trollinger-Reben auf Lemberger umzuveredeln (statt die tief wurzelnden Rebstöcke zu roden), gehen die anderen alternative Wege. Mittlerweile stehen Cabernet Sauvignon und Albariño in der Steillage. Selbst die Genossenschaft experimentiert mit Rebsorten wie Carmenère und Nero d'Avola.
Ganz so exotisch geht es an Rems und Oberem Neckar nicht zu. Hier ist die Heimat von Weingütern, die zu den dynamischsten in ganz Deutschland gehören. Angebaut werden vor allem Lemberger mit immer besseren, eher burgenländischen Klonen, Riesling und Spätburgunder. -> Rainer Schnaitmann hat es dabei ganz unzweifelhaft in die deutsche Spitze geschafft.
Auf der Karte der württembergischen Weine erscheinen mittlerweile auch Betriebe vom Bodensee. Um den alten Weinort Nonnenhorn herum gibt es die kuriose Konstellation, dass ein auf bayerischem Boden gelegener Bereich zum Anbaugebiet Württemberg zählt. Obwohl es sich um die südlichsten deutschen Weinberge handelt, ist es hier deutlich feuchter und kühler als im württembergischen Unterland. Mit Obstbau haben die Bodenseeler ja reichlich Erfahrung. Gut möglich also, dass künftig von den Rebstöcken mit Alpenblick ebenfalls immer interessantere Weine kommen.
Funktionale Cookies sind für die Funktionalität des Webshops unbedingt erforderlich. Diese Cookies ordnen Ihrem Browser eine eindeutige zufällige ID zu damit Ihr ungehindertes Einkaufserlebnis über mehrere Seitenaufrufe hinweg gewährleistet werden kann.
Tracking Cookies helfen dem Shopbetreiber Informationen über das Verhalten von Nutzern auf ihrer Webseite zu sammeln und auszuwerten.