Reblaus
Phylloxera vastatrix – die verwüstende Laus. Der Name, den der französische Wissenschaftler Jule Émile Planchon der Reblaus gegeben hatte, trifft ihr Wesen höchst präzise. Als Ursache für das bis dahin unerklärliche, europaweite Rebstock-Sterben in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. In den folgenden rund 50 Jahren fielen dem Serial Killer rund drei Viertel aller Rebstöcke in ganz Europa zum Opfer. Daktulosphaira vitifoliae, so der heutige wissenschaftlicher Name der Reblaus, hätte damals um ein Haar fast den gesamten europäischen Weinbau ausgerottet.
Von dieser Katastrophe ist heute im Bewusstsein von Otto Normalweintrinker nicht mehr viel zu spüren. Und das, obwohl die Gegenwart der europäischen Weinproduktion in Teilen immer noch von ihr mitbestimmt wird. Denn wurzelechte Reben – also solche, deren Wurzeln auch auf der Genetik klassischer europäischer Rebsorten wie Riesling, Spätburgunder oder Cabernet beruhen – sind seitdem eine höchst rare Ausnahme.
Maximal drei Jahre hatte damals eine Rebe nach dem Befall durch die Reblaus durchschnittlich noch zu leben. Genauer gesagt, nach Befall der Variante, die die Wurzeln angreift. Denn es gab und gibt noch heute auch einen Reblaus-Typ, der die Blätter befällt. Doch dessen Wirkung ist bei weitem nicht so verheerend. Die Erkenntnis, dass sich das tödliche Drama im Dunkel unter der Erde abspielt, war der entscheidende Schlüssel, um den Fortbestand des Weinbaus auch in Europa zu sichern. Das Pfropfen auf resistente Unterlagsreben erwies sich als die Rettung, nach der man verzweifelt gesucht hatte.
Das Spektrum der zuvor ergriffenen Maßnahmen war nämlich ebenso breit wie wirkungslos. Das Einleiten von elektrischem Strom in den Boden brachte ebenso keine Lösung wie das Übergießen der Rebstöcke mit Weißwein oder das Vergraben von toten Kröten. Einzig das unterirdische Begasen befallener Reben mit Schwefelkohlenstoff zeigte ebenfalls Wirkung – war aber angesichts von Milliarden europäischer Rebstöcke als generelle Lösung deutlich zu arbeitsaufwendig und kostspielig.
Dass mit dem Import von resistenten Unterlagsreben aus den Vereinigten Staaten dann prompt Schwarzfäule und Perenospora (a.k.a. Falscher Mehltau) die nächsten Schädlinge nach Europa eingeschleppt wurden, entbehrt nicht einer gewissen bitteren Ironie. Nach Oidium (a.k.a. Echter Mehltau) und der Reblaus folgte in nur einem Jahrhundert die dritte große Katastrophe für den europäischen Wein. Im Kern beruhte sie auf der gleichen Ursache, wie die beiden Heimsuchungen zuvor: nämlich der extremen Form von Monokultur, mit der kommerzieller Weinbau betrieben wird.