Biodynamie
Wenig bringt das Blut einer Runde von Weinfreunden so zuverlässig in Wallung wie die Frage nach dem Sinn und Unsinn der Biodynamie im Weinbau. Auf der einen Seite stehen die begeisterten Befürworter des Weinbaus nach Ideen des Anthroposophen Rudolf Steiners aus den 1920er Jahren. Auf der anderen Seite die strikt naturwissenschaftlich orientierten und streng evidenzbasierten Skeptiker, die mehr oder minder weite Teile des Steiner’schen Gedankenguts zur Landwirtschaft für Schwurbelei halten.
Zwischen den Fronten dann: Otto Normalweinfreund, der sich angesichts des ihm hervorragenden Biodyn-Tropfens vor sich fragt, wo denn da eigentlich das Problem ist: Auf den zugrunde liegenden zentralen Gedanken können sich alle Beteiligten meist noch einigen. Die Biodynamie betrachtet den Weinberg als hochkomplexes, lebendiges Ökosystem. Frucht und Boden sind untrennbar miteinander verbunden und bilden eine sich gegenseitig bedingende, wechselwirkende Einheit. Und auch der sich daraus ergebenden weitestgehenden Verzicht auf chemisch-synthetischen Pflanzenschutz ist meist noch konsensfähig.
Aber spätestens, wenn die Rede auf die Arbeit mit den biodynamischen „Präparaten“ zur Vitalisierung des Bodens kommt, ist für viele eine Grenze überschritten. Mit Dung gefüllte Kuhhörner, für ein halbes Jahr im Boden vergraben? Deren Inhalt danach nach genauesten Rührvorschriften in Wasser gelöst (a.k.a. „dynamisiert“) und in homöopathischen Dosen ausgebracht? Für die streng naturwissenschaftlich Orientierten nur ein Beleg für wissenschaftsferne Esoterik. Was für die Biodynamiker ein „spirituelles Geschenk mit feinstofflichen Kräften“, das ist ihnen nicht mehr als ein ordinäres „Kackhörnchen“.
Aber auch die härtesten Gegner kommen nicht umhin zur Kenntnis zu nehmen, dass überdurchschnittlich viele Weine aus biodynamisch bewirtschafteten Gütern merklich spannungsreicher, komplexer und individueller ausfallen, als konventionell produzierte Massenware und auch handwerklich gekonnt gemachter Weine. Ob tatsächlich Mondkalender und Einklang mit „irdischen und kosmischen Kräften“ dafür verantwortlich sind, oder ob die Qualität nur ein Effekt der besonderen Aufmerksamkeit ist, die biodynamisch arbeitende Betriebe nahezu jedem Detail auf dem Weg zu fertigen Wein widmen, kann dem Weinfreund aber letztlich herzlich egal sein.
Der älteste Verband biodynamisch arbeitender Betriebe ist Demeter. Daneben gibt es den 1995 in Frankreich gegründeten BIODYVIN, dessen Mitglieder im Gegensatz zu Demeter ausschließlich Weinbaubetriebe sind. Er gilt als moderater und in seinen Vorschriften flexibler. Im Jahr 2007 ist als Drittes schließlich noch die in Österreich gegründete Vereinigung respekt hinzugekommen, die sich seit 2015 respekt - BIODYN nennt. Auch sie fokussiert sich ausschließlich auf Weinbaubetriebe. Ihre Mitglieder finden sich heute in Deutschland, Österreich, Südtirol und Ungarn.